BLOG

Generation Zwanzig.10 erfindet sich neu

Manfred Klemann

Eben aus den USA zurück, um dort zu sehen, wie der normale Amerikaner tickt. Um einen Trend zu erkennen, geht man am besten in Gebiete und Städte eines Landes, die nicht zu den privilegierten Gebieten gehören. Also fahre ich von Orlando (Florida) über Jacksonville (die E-Spiele-Hauptstadt der USA) nach Mobile (Alabama), nach Biloxi (Mississippi) und New Orleans (Louisiana). Den Westen der USA hatte ich ja einige Wochen zuvor bereist.

Gespräche mit Bürgern und Bürgermeistern, aber vor allem mit Jugendlichen der Generation Zwanzig.10, also den heute Sechs- bis Achtzehnjährigen. Das ist leicht in den USA, denn die Bürger sind – gerade auch für Besucher – sehr offen und freundlich. Jeder fragt: «Where are you from?», und jeder stösst bei dem Wort «Swiss» ein begeistertes «Oh! Great!» aus. Meist waren die Gesprächspartner nicht in der Schweiz, aber das Wort ist mit Wohlergehen, Geld und Ordnung besetzt. Und gerade Ordnung und Sicherheit ist ein wichtiges Thema der jungen Bürger heute. Man lässt sich einfach nicht gerne erstechen, erschiessen, verprügeln.

Und wie leben die Bürger der USA in dieser Zeit, wo uns von den europäischen Medien ein gespaltenes, verunsichertes Land vorgeführt wird? It’s the economy, stupid! Dieser berühmte Satz von Bill Clinton zu einem Wahlhelfer, der wissen wollte, wie man Wahlen gewinnt, gilt ganz deutlich: Es geht dem US-Bürger seit zwei Jahren erstaunlich gut: Überall finden sich Schilder: Help wanted. Die Anzahl «homeless people» ist in Städten sehr stark zurückgegangen. Die jungen Leute in den Schulen haben keinerlei Sorgen, dass sie einmal ohne Ausbildungsstelle oder ohne Job dastehen. Bei Veranstaltungen, bei denen es um den beruflichen Neueinstieg, etwa in der boomenden Computerspiele-Szene, geht, buhlen die grossen Anbieter mit lukrativen und fantasievollen Arbeitsplätzen geradezu um die Schulabgänger der Zwanzig.10er. Weil die Infrastruktur des Landes – wie man an den zahlreichen Baustellen sehen kann – kontinuierlich verbessert wird, sind auch die klassischen Handwerksberufe stark ausgelastet und nachgefragt.

Denn nicht jeder der Zwanzig.10er-Generation will und kann sich mit den Computer- und Mobilgeräten vertiefend befassen. Ich habe durch die Gespräche und Beobachtungen sogar den Eindruck, dass der Reiz der mobilen Geräte, die bei uns noch den Alltag der Jungen bestimmen, hier in den USA langsam zurückgeht. Die klassischen «Vergnügungen» wie Freizeitparks, Wasserrutschen, Brettspiele, Bummeln in Shopping-Malls und alles rund um den Sport gewinnen ihre Bedeutung zurück. Und es herrscht eine für Schweizer beziehungsweise europäische Verhältnisse dauerhafte «Rede-Kultur». Wenn Gruppen zusammensitzen, gibt es immer lebhafte Gespräche und selten ein stummes Starren auf das Mobilgerät vor einem.

Klar, alles wird auf dem Handy festgehalten als Video oder Foto – und vieles davon dann gleich gepostet: Instagram, Pinterest, Twitter und auch das bei uns schon totgesagte Snapchat reüssieren: Aber haben unsere Post-68er-Generation und die Generation Golf nicht auch schon Fotos und Aufgeschriebenes und Mediales genutzt, um kommunikativ zu bleiben? Das «kommunikative Handeln» (Habermas) der Generation  Zwanzig.10 erfüllt mich nach der USA-Reise wieder mit Hoffnung. Die Menge an medialen Informationen, heute im Handy oder am PC aufgenommen, nimmt bei den Jungen zu. Und durch eigene Interaktion auf Twitter, Instagram, Facebook und Co. wissen und erfahren sie eben mehr als wir damals durch die Filter der oft gleich berichtenden, regierungsgesteuerten Medien.

Auch wenn alle Medien und die Politik einseitig in eine Richtung schreien und schreiben und zu manipulieren versuchen sollten: Die Generation  Zwanzig.10 bildet sich eine eigene Meinung. Und die muss und wird den Herrschenden, den Diktatoren, aber auch den gewählten Politikern nicht gefallen. Denn diese Meinung entsteht durch das Sehen und Erleben der Realität und nicht durch den vernebelten Blick der Glaskugel Bern, Berlin, Brüssel, London oder Washington. Die Welt draussen ist eine andere! Man spürt sie nicht in einer vom Fahrer gesteuerten Mercedes-S-Klasse.



Manfred Klemann ist Serial Entrepreneur und einer
der Pioniere des europäischen Internets. Er gründete 1993 die Firma Unterwegs-im-Internet und später die Plattformen wetter.com, reise.com, internateportal.de und das Deutsche Wetter Fernsehen. Heute beteiligt er sich an aussichtsreichen Start-ups in der Schweiz und in Europa.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

Kommentar wird gesendet...

Kommentare

  • Peter Stöckli, 11.10.2018 09:29 Uhr
    "Where are you from?" - "Swiss" ... äh?
Kommentarfunktion wurde geschlossen

Die neuesten Blogs

13.04.2024 - Hansmartin Schmid

Die Schweizer Medien und die Kriege

Die Schweizer Auslandberichterstattung ist in deutsche Hände geglitten.

Zum Seitenanfang20240425