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Glückliche Rolling Stones am Ball

Also ich weiss nicht, wo Sie den Unterschied zwischen Mensch und Maschine sehen. Zwischen Ihnen persönlich und dem Roboter. Hängt ja auch davon ab, wie man sich selbst gerne sieht. Nicht wenige werden erst froh, wenn sie sich perfekt vorkommen, im Cayenne oder an der neuesten Grillmaschine, am liebsten wären sie selbst eine Maschine, reibungslos funktionierend, pannenfrei und fraglos. Nur zwischendurch lesen diese Leute von frappanten Fortschritten bei Robotern und so – und fragen sich ängstlich: Holt künstliche Intelligenz den Menschen ein? Überholt sie uns gar?

«Warum sollte sie das wollen?», kann ich da nur fragen. Die Maschine kann, was sie kann, perfekt. Zum Menschen aufschliessen hiesse unperfekt werden, störungsanfällig, mal verliebt, mal betrunken, verzweifelt, verträumt etc. Dank schlauer Software kann eine Maschine natürlich so tun als ob, doch das wäre dann ziemlich lachhaft – etwa so lachhaft, wie wenn Menschen so tun, als wären sie perfekt. Sie wirken gerade dann wie Idioten, wie Roboter eben, denen ausser Programm nichts einfällt, denen nichts misslingt. Speziell menschlich ist, was Stan Wawrinka auf den Unterarm tätowieren liess: «Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser.» Samuel Beckett.

Die Römer nahmen es gelassener: Errare humanum est. Das ging mir wieder auf, als ich zusah, wie sich Franzosen und Schweizer im Fussball total verausgabten – um schliesslich 0 : 0 auseinanderzugehen. Ich wusste schlagartig: Fussball ist so beliebt, weil er das Urmenschliche zelebriert: das Scheitern. In einer Welt, die besessen ist von Effizienz und Perfektion, von Optimierung und Fortschritt, bietet sich Fussball an als grandiose Schule der Vergeblichkeit, als Fest stupender Ineffizienz, als Ritual typisch männlichen Verzichts auf Optimierung.

Wer nicht genau hinsieht, denkt gern, es werde permanent aufs Tor geballert. Man glaubt, das sei Sinn und Zweck des Spiels. Passiert aber extrem selten. Im besagten Spiel gegen Frankreich stürmten die Schweizer heldenmässig, schossen aber nie aufs Tor. Nicht ein einziges Mal. Und wurden danach gross gelobt – für all die Angriffe, die unterwegs stecken blieben, für all die zwecklosen 70-Meter-Spurts, für knochenharte Zweikämpfe, für die monströse vergebliche Müh.

In einer Welt der Glattheit und Perfektion wird Scheitern zum Fluchtpunkt unserer Wünsche. Warum sonst werden Jeans zerrissen produziert? Soll nach Riss im Lebenslauf, nach gelebtem Leben aussehen. Warum zieht Fussball die Massen an, obwohl fast alle Spielzüge scheitern? Darum. Subkutan wissen wir: Magie kommt nicht durch Makellosigkeit und maschinenhaftes Gelingen ins Leben, sie zwängt sich durch die Risse, die Lücken, taucht aus der Vergeblichkeit menschlicher Provokation des Zufalls.

Fussballer sind exemplarisch, was wir alle sind: späte Enkel des Sisyphus. Im «Mythos des Sisyphos» von Albert Camus heisst der letzte Satz: «Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.» Glücklich? Weil er den Stein zu seiner Sache macht, im eigenen Auftrag am Berg unterwegs ist. Wie Fussballer, die auf dem Feld des notorischen Scheiterns den Ball noch raffinierter treten, noch schlauer, noch schneller. Als glückliche Rolling Stones.

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