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Good News are No News

Gottlieb F. Höpli

Es waren jeweils die Highlights des Journalismus: Wenn Korrespondenten aus fernen Ländern direkt von den Brennpunkten des Geschehens berichteten. Besonders dann, wenn Radio und Fernsehen die entsprechenden, authentischen Geräusche (bevorzugt: Sirenen) und Bilder (bevorzugt: Rauch) dazu lieferten. Da fühlte man sich vor dem Fernseher als Teil des Geschehens, fieberte mit und bangte wohl auch ein bisschen um die Gesundheit des Reporters. Derweil die Redaktion in der Heimat, so sie denn überhaupt in Erscheinung trat, höchstens als Befrager und Stichwortgeber auftrat. Tempi passati.

Wie es heute läuft, zeigte – ein fast zufällig gewähltes Beispiel – die Nachrichtensendung «10 vor 10» am zweiten Tag des US-amerikanischen «Wahlkrimis» (O-Ton). Da kamen die hochdramatischen Töne fast allesamt vom Leutschenbacher Moderatorenpult: Von «aufgeheizter Stimmung», «zerrissenem» und «tief gespaltenem Land» war die Rede, atemlos. Zum Auftakt hatte die Redaktion ein Bilddokument aufgetrieben, bei dem eine amerikanische Flagge verbrannt wurde – man fühlte sich in den Iran oder nach Syrien versetzt.

Als Ursache für die ausserordentliche, krisenhafte «Zerrissenheit Amerikas» wurden dem Publikum aber einzig das Zweiparteiensystem und das Kopf-an-Kopf-Rennen der Kandidaten serviert. Ausgerechnet Dinge, die zu den Konstanten der US-amerikanischen Politik gehören und als solche wenig Neuigkeitswert besitzen. Den Kampf zweier Parteien, zweier Kandidaten kann man ja jederzeit mühelos zu einer Schlacht der Giganten, zu einem «Kampf um die Seele von …» (bitte Namen des Landes einsetzen) hochstilisieren. Das ist einfach, und nicht tief geschürft, sondern lediglich flach gemalt.

Im Gegensatz zum Drama vom Moderationspult (Bigna Silberschmidt) versuchten die SRF-Korrespondenten Düggeli und von Grünigen abzuwiegeln: Die Stimmung im Land sei friedlich, ja geradezu «zivilisiert» – was ja die eigentlichen, die überraschenden News gewesen wären, nachdem unsere Medien uns tagelang auf «bürgerkriegsähnliche Zustände» und Ähnliches vorbereitet hatten. Auch der Geschichtsprofessor von der HSG wies vergeblich auf jahrhundertealte Bruchlinien in der Geschichte der Vereinigten Staaten hin, die sich bei Präsidentenwahlen jeweils im Kampf zweier Parteien und Kandidaten bündelten – vergebliche Liebesmüh! Eskalation war gefragt, nicht Deeskalation. Konflikt mit Gewaltpotential, nicht das Bild einer überraschend reifen Demokratie. Das hätte ja auch gar nicht zur Dämonisierung Donald Trumps gepasst, in der man sich vier Jahre lang erfolgreich geübt hatte.

Good News are No News – die alte amerikanische Journalistenregel hat ja durchaus ihre Funktion. Sie verliert aber ihren Sinn, wenn Redaktionen die Bad News lange zum voraus herbeireden oder -schreiben. Und dann versuchen müssen, aus der Ferne in ein nicht existierendes Feuer zu blasen. Worauf den Korrespondenten vor Ort nur noch übrigbleibt, das Ausbleiben des Skandalons zu rapportieren.



Gottlieb F. Höpli ist ehemaliger Chefredaktor des St. Galler Tagblatts und heute Gastautor bei Die Ostschweiz.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 

 

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