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Invasion der Häuptlinge

«Die Chef-Schwemme» titelte die «Schweiz am Sonntag» und stellte dazu eine eindrückliche Grafik über ihren Artikel. Innert 25 Jahren hat sich die Anzahl Führungskräfte pro hundert Mitarbeitende verdreifacht. Allein seit 2010 ist diese Quote von knapp sieben auf über neun gestiegen. Man kann sich vor- stellen, dass der Wegfall von Routinejobs, die grosse Führungsspannen ermöglichen, einen Teil dieser Entwicklung erklärt. Aber nicht die massive Steigerung in den letzten Jahren. Der Arbeitgeberverband findet eine geradezu absurde Begründung für das exponentielle Wachstum in den Chefetagen.

Angestellte seien eben nicht mehr reine Weisungsempfänger, sie wollten die Führung mittragen. Zudem seien die Firmen heute flacher organisiert. «Dafür muss die Arbeit anders koordiniert werden, was mehr Führungskräfte braucht.» Man möchte dem Verband einen Grundkurs in Mathematik empfehlen. Flachere Hierarchien führen mit zwingender Logik zu einer tieferen Quote von Führungskräften. Wenn der Arbeitgeberverband tatsächlich der Ansicht ist, man müsse den Effekt der flacheren Hierarchie mit zusätzlichen Führungskräften überkompensieren, dann käme noch ein erstes Semester in Betriebswirtschaftslehre dazu.

Am gleichen Sonntag lese ich in der «NZZ am Sonntag» über die unterschiedlichen Spielphilosophien der beiden Eishockey-Trainer Kari Jalonen und Guy Boucher. Für Boucher sei Eishockey eine exakte Wissenschaft, in der jede Einzelheit präzise geplant werde. Jalonen hingegen setze auf die Selbstständigkeit seiner Spieler. «Wir arbeiten nicht mit Torhütern, Verteidigern, Centern und Flügeln, sondern mit Menschen.» Boucher ist beim SCB gescheitert, Jalonen kann in dieser Saison zeigen, dass er es besser kann. Auch beim Fussball erleidet der durchgeplante Fussball Abnützungserscheinungen. «Bei uns wird nicht improvisiert» ist (war?) das Credo von Pep Guardiola. Nun besinnt sich eine neue Generation von Fussballtrainern wie Thomas Tuchel von Borussia Dortmund auf die irrationale Seite des Spiels. Er wendet sich vom «gnadenlosen Besitzfussball», der auch die Zuschauer zunehmend nervt, ab und lässt der Improvisation freien Raum.

Was hat das miteinander zu tun? Auch Management hat eine irrationale Seite. Es ist ein Amalgam von Logik, Emotion, Unsicherheit und Menschen. Was die Ballbesitz- und Planbarkeits-Philosophie im Fussball, sind die Sozialingenieure in der Wirtschaft. Sie sind überzeugt, dass man soziale Systeme planen kann wie eine Maschine. Das Resultat sind starre Kommando- und Kontrollstrukturen. Das bremst und blockiert und führt zu einer Invasion von Häuptlingen. Die Zentralen werden aufgebläht, Entscheidungsprozesse in die Länge gezogen und Initiativen entmutigt. Das ist in einer Zeit, die von zunehmenden Diskontinuitäten geprägt ist, fatal. Carl von Clausewitz, der preussische General und Wiederentdecker der Lehre von der Strategie, hat es schon vor langer Zeit verstanden. «Je genauer man plant, desto gründlicher wird man scheitern.»

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