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«Katie Price breit wie Buddha»

Roger Schawinski

Fast alle waren sich einig: Die Blick-Berichterstattung über das grauenhafte Walliser Busunglück überschritt die Grenzen der Ethik und des Anstands. Mit dem Abdruck der aus dem Internet heruntergeladenen Bilder getöteter Kinder habe man journalistisch rote Linien überschritten, hiess es. Dabei verhielten sich die Blick-Macher doch nur wie immer. Gemäss dem angelsächsischen Boulevard-Prinzip «If it bleeds, it leads» bringt man auf der Titelseite beinahe ausschliesslich Blut und Schrecken. Dies hat selbst Verleger Michael Ringier bemängelt. Bei einer internen Blattkritik meinte er: «Wenn in 600 Jahren Ausserirdische zur Erde kommen sollten und dort nur Blick-Exemplare vorfinden würden, müssten sie annehmen, dass in der Schweiz damals völliges Chaos geherrscht habe.» Aber so funktioniert er eben, der deutsche und englische Boulevard. Und den haben wir nun. Besonders stossend waren für mich in diesem Fall nicht alleine die Bilder der Kinder. Bei einem Ereignis, über das alle Medien grossflächig berichten, geht ein knallharter Boulevardblatt-Macher immer einige Schritte weiter – und dies ohne Rücksicht auf moralische Verluste. Schlimmer war für mich die gewaltige Sülze, mit der man Betroffenheit heuchelte, obwohl man sich ja Tag für Tag vom Unglück der Menschen ernährt. Eine weitere Form der Anbiederung findet sich dort, wo der deutsche Chefredaktor in einem Kommentar jubelt, dass «wir» im Fussball gesiegt haben. Als Sat.1-Chef wäre mir ein solch unappetitliches Ranschmeissen nie eingefallen. Zwar hatte ich als Schweizer zu entscheiden, welche Champions-League-Partie mit deutscher Besetzung im TV zu sehen sein werde. Aber gewisse Grenzen überschritt ich nie. Wenn Deutschland spielte, so waren es eben die Deutschen und nicht «wir». Erst als meine Familie nach Berlin kam und ich nicht mehr jedes Wochenende nach Zürich pendelte, konnte ich die für einen Journalisten und Manager notwendigen sozialen Kontakte knüpfen. Dies ermöglichte es mir auch, die Mentalität der Deutschen besser zu erfassen. Bei den Hors-sol-Blick-Chefs besteht ein solches Bedürfnis offenbar nicht, und deshalb sind sie in der «Sex and Crime»-Falle gefangen, für die sie weder politische noch gesellschaftliche Kenntnisse, noch ein eigenes Network brauchen. Das Desinteresse an unserem Land manifestiert sich zusätzlich an der Sprache, die die ehemaligen Bild-Leute verwenden. Dabei sind sie laut den Ringier-Sprechern deshalb eingeflogen worden, weil sie eben viel, viel besser schreiben als wir Schweizer. So wurde der Abgang von Joe Ackermann bei der Deutschen Bank mit der hämischen Schlagzeile begleitet: «Joe, mach dich vom Acker». «Sich vom Acker machen» ist in Deutschland gebräuchliche Gassensprache, bei uns ist der Ausdruck unbekannt, genau wie das oft im Blick verwendete «blank ziehen» (ausziehen). Am 9. Februar fand sich als Aufmacher auf der letzten Seite die Zeile «Katie Price breit wie Buddha». In Deutschland ist «breit» ein Slang-Synonym für total besoffen, bei uns ist dieser Ausdruck absolut unverständlich. Verblüffend dabei ist nicht nur, dass der Chef aus seinem Bild-Sprachfundus gedankenlos eine der dort gängigen Formulierungen hervorkramte. Erschreckend ist hingegen, dass ihn keiner seiner Schweizer Mitarbeiter auf seinen Missgriff aufmerksam machte. Man kann nur rätseln, ob es schlicht niemanden kümmerte oder sich keiner getraute, dem Big Boss zu widersprechen. Auf jeden Fall belegt all dies, dass der aktuelle Blick mehr Probleme hat als das stillose Abdrucken von Bildern toter Kinder, die man aus dem Internet geklaut hat.
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