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Kein Fingerspitzengefühl

Matthias Kost

Die ganze Welt hustet – und auch die Schweiz hustet. Aber in der Schweiz glücklicherweise erst die Wirtschaft und noch nicht allzu viele wegen Corona. Diesen unsäglichen Virus scheint der Bundesrat und das BAG im Griff zu haben, dafür gebührt allen Verantwortlichen ehrlichen Respekt.

Und am Donnerstag war sie dann, die viel beachtete und bereits vor Wochenfrist angekündigte Pressekonferenz des Bundesrates zur Coronakrise. Dass sich dabei in dieser ausserwöhnlichen Situation niemand für die ordentlichen Geschäfte des Bundesrates interessiert, war zu erwarten. Betretenes Schweigen der grossen Journalistenschar dann auch auf die entsprechende, einleitende Frage der Moderatorin der Medienkonferenz.

Das hinderte aber Bundespräsidentin und Medienministerin Sommaruga nicht daran, proaktiv, einleitend und mitten in der Corona-Kommunikation den aktuellen Bundesratsbeschluss zu kommunizieren, dass einerseits die Radio- und TV-Gebühren künftig um 30 Franken sinken – und andererseits noch zusätzliche 50 Millionen Franken an die SRG fliessen werden (persoenlich.com berichtete). Zusätzlich zu den 1,2 Milliarden, welchen das Stimmvolk vor zwei Jahren mit der umstrittenen Billag-Abstimmung zugestimmt und damit aber auf 1,2 Milliarden plafoniert hat. Dies mit der Begründung sinkender Werbeeinnahmen, dessen Anteil sich bei der SRG übrigens auf rund 25 Prozent des Gesamtetats beläuft.

Dass der gleiche Bundesrat just zwei Wochen zuvor auf die 12 Millionen einmalige Nothilfe aus den zweckgebundenen, vorhandenen Schwankungsreserven der Radio- und TV-Gebühren für die sich – übrigens nicht aufgrund von gegenwärtig sinkender, sondern komplett weggebrochener Werbeeinahmen – in einer heiklen Situation befindenden Privatradiostationen verzichtet hat, wirkt dabei ebenso surreal wie vieles dieser Tage – und hat einen faden Beigeschmack. Dass es sich bei diesen Schwankungsreserven nicht um Steuergelder handelt, die der Bundesrat aktuell nicht «a fond perdu» verteilen möchte, wird gekonnt verschwiegen oder kommunikativ so verwedelt, dass es der Betrachter als Steuergelder und damit als fair und Gleichbehandlung für alle suggeriert. Damit reiht sich auch dieser Entscheid in die seit Jahren protektionistische und oft schwer nachvollziehbare Schweizer Medienpolitik ein.

Dass diese 50 Millionen für die SRG (übrigens «a fond perdu») just in der gleichen Pressekonferenz kommuniziert wurden, in welcher viele Firmenchefs oder Mitarbeitende von wirklich existenzbedrohten KMUs aus allen Branchen mit erhöhtem Puls und Blutdruck auf eine Öffnung, Unterstützung ihrer Branchen oder eine klare Ansage (Eventveranstalter) gehofft haben, zeugt von ebenso wenig Fingerspitzengefühl wie die Tatsache, dass die gleiche SRG auch noch Kurzarbeit beantragt hat. Unabhängig der unbestrittenen Wichtigkeit unserer SRG und den journalistisch sowie publizistisch zweifelsohne grossartigen Leistungen und Erzeugnisse unserer öffentlich-rechtlichen Sender – speziell dieser Tage. Sie schöpfen mit ihren üppigen Mitteln jetzt aus dem Vollen und untermalen ihre Leistungen mit einem Imagespot im TV zusätzlich. Dies darf aber die aktuell ebenso grossartigen Leistungen und den regionalen Service public der Privatsender – von denen die meisten wie die SRG übrigens konzessioniert sind und ebenfalls einen Leistungsauftrag des Bakom und damit des Bundesrates erfüllen – keineswegs schmälern und deren Existenz bedrohen. Auch dieser Wichtigkeit für unsere Demokratie sollten sich der umsichtige Bundesrat und das Parlament bewusst sein.

Seit dieser Pressekonferenz hat es mich nun auch erwischt. Ich huste neuerdings auch … diesen trockenen, etwas nervenden Reizhusten.



Matthias Kost ist Geschäftsleiter von Radio Zürisee, dem «grössten unabhängigen (und keinem grossen Medienkonzern angehörenden) Privatradio der Schweiz».

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

 

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