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Köppel ertappt

René Zeyer

Endlich der Beweis. Viele haben es schon immer gesagt. Für manche ist es eine unumstössliche Gewissheit. Für diese marschierte der Nationalrat, Verleger und Chefredaktor Roger Köppel schon seit langem «Seite an Seite mit Neonazis», konnte sich aber immer wieder dank geschliffener Rhetorik herausschwatzen. Doch jetzt wurde er ertappt. Auf frischer Tat. Es gibt einen fotografischen Beweis.

Köppel war in Chemnitz. Aber nicht etwa am Konzert der guten Kräfte, die unter dem selten einfältigen Slogan «wir sind mehr» friedlich der Musik lauschten, auch eine Trauerminute für das Gewaltopfer einlegten, aber nicht im Traum daran dachten, für dessen Hinterbliebene zu spenden. Denn Protest muss wohlfeil sein. Aber mit seiner Teilnahme hätte Köppel endlich ein Zeichen setzen können, wäre doch nicht zu schwer gewesen. Aber nein, was müssen wir sehen? Köppel nahm an einem «Neonazi-Aufmarsch» teil! Seit einer Twitter-Meldung kriegt sich das Netz nicht mehr ein. Denn: Wer läuft an der linken (!) Seite von Köppel mit? Laut dem Blog «recherche nord» ein gewisser Yves Rahmel, der ein neonazistisches Plattenlabel betrieben haben soll. Köppel will ihn nicht kennen und auch nicht mit ihm gesprochen haben. Aber wollen wir ihm das glauben, wo doch sonst immer jeder, der in einem Umzug mitläuft, sich mit allen ihn umgebenden Personen bekannt macht?


Erschwerend kommt noch hinzu, dass bei diesem Umzug Journalisten von Versammlungsteilnehmern attackiert worden sein sollen. Aber Köppel ist unbeschädigt in die Schweiz zurückgekehrt. Offensichtlich wurde er nicht als Mitglied der Lügenpresse gesehen, ist doch sonnenklar. Interessant ist natürlich auch, ob Köppel während dieser Demonstration auch ein Plakat mit der hübschen Aufschrift «Nehmt ihr nicht die Messer weg, nehmen wir die Ämter weg» trug. Oder vielleicht ein SVP-Plakat mit den Messerschlitzern, oder die schwarzen Schafe, der Stiefel, damit hätte er doch Schweizer Solidarität zum Ausdruck bringen können.

Wobei, bei näherer Betrachtung des Fotos fällt auf, dass Köppel einen Schreibblock und einen Kugelschreiber in den Händen hält. Moment, ist das vielleicht Tarnung? Oder notiert er rechtsradikale Liedzeilen? Nimmt er gar Weisungen von der deutschen national-populistischen Szene entgegen? Oder schreibt er auf, wie man eine solche Demonstration organisiert, damit er das auch in Zürich oder Bern durchführen kann? Fürchterliche Möglichkeiten tauchen da vor dem angstgeweiteten Auge des Betrachters auf.

Oder aber, das scheint uns jedoch abwegig, könnte es gar sein, dass Roger Köppel schlichtweg das macht, was ein Journalist, sogar, wenn er Chefredaktor ist, von Zeit zu Zeit machen sollte? Was wäre das, mögen nun viele Journalisten sich fragen, die es gewohnt sind, Recherchen per Google und Skype zu betreiben. Nun, es könnte doch sein, dass Köppel einen Satz beherzigt hat, der sprichwörtlich geworden ist: «Schreib das auf, Kisch.» Geh hin und schreib das auf. Manche mögen sich nun fragen: Und wer war Kisch? Aber lassen wir das und halten fest: Köppel ist hingegangen, hat sich die Sache angeschaut und dabei Notizen gemacht.

Also genau das, was ein Reporter machen sollte, aber heutzutage im allgemeinen Sparwahn kaum mehr machen darf. Daher ist ein Chefredaktor, der sich höchstpersönlich ins Getümmel stürzt, tatsächlich Anlass zur Aufregung. Darf der das, was macht der da, warum ist der da? Badet er im rechten Sumpf, marschiert er bei seinen Brüdern im Geist mit? Welch unsinnige Fragen. Köppel macht genau das, was ein Journalist machen muss. Wenn er kann.

Man muss und wird wohl nicht mit allem einverstanden sein, was Köppel am Donnerstag in der «Weltwoche» veröffentlichen wird. Aber interessanter als die Schreibtischanalysen aus Zürich wird es allemal sein.



René Zeyer ist Inhaber von Zeyer Kommunikation in Zürich. Er ist Publizist (BaZ, «SonntagsZeitung», «Weltwoche», NZZ) und Bestsellerautor.

Der Autor vertritt seine eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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Kommentare

  • Kurt Heller, 08.09.2018 14:25 Uhr
    Die Ausrede hör ich schon: "Was habt ihr denn? Ich wollte doch nur authentisch über die Demo schreiben. Und wer neben mir steht, dann kann ich ja nicht beeinflussen. Gekannt hab ich den jedenfalls nicht." Wenn Block und Schreibstift zur Tarnung gehören! Schön, wenn die "Lügenpresse" gleich an der Demo mitmacht, dann verschwinden wenigstens die Vorurteile der Schreihälse?
  • Petra Ristow, 07.09.2018 12:57 Uhr
    "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache - auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazu gehört." Hanns Joachim Friedrichs Unter diesem Aspekt dürfte vielleicht der Journalist Köppel im Schaudermarsch hinfällig sein und der Politiker Köppel erkannt. Man muss Yves Rahmel als lokal bekannte Größe nicht kennen, aber nur ein paar Meter davor liefen Stürzenberger (Die Freiheit), Bachmann und Däbritz von Pegida in der 2. Reihe hinter den AfD-Vereinsvorturnern um Bernd Höckels. So auch der MdB Junge, der niemanden von Pegida gesehen haben will. Offensichtlich gehört die braune Blindenbrille zum Standardequipment. Ich bin übrigens auch über den BaZ-Artikel hier gelandet, den (oh, uupssi) die große alte Dame und Hundekrawattenbusenfreundin Erika Steinbach verlinkt hat.
  • René Zeyer, 06.09.2018 12:21 Uhr
    Lieber Herr Wild, wem sagen Sie das ...
  • Anne Boxleitner, 06.09.2018 11:31 Uhr
    @Reda ElArbi: Danke. Herr Zeyer hat erst gestern in der Baz im Artikel "Die Welt als Wille und Wahn" das Rechten-Problem in Deutschland verharmlost und versucht, die mediale Berichterstattung der letzten Wochen ins Lächerliche zu ziehen. Auf die gleiche, pseudo-ironische Weise wie in diesem Artikel hier. In welcher (Doppel-)Funktion auch immer Herr Köppel an der Demo teilgenommen hat - er muss sich die Fragen danach gefallen lassen. Oder sich ein für alle mal klar von rechts aussen distanzieren.
  • Karl Wild, 06.09.2018 10:20 Uhr
    Erneut ein brillanter Text von René Zeyer. Als Journalist - seit bald einem halben Jahrhundert - stelle ich fest, dass die Zahl der Hohlköpfe beziehungsweise Schreibtischtäter beängstigend zunimmt.
  • Reda El Arbi, 06.09.2018 10:01 Uhr
    Klar kann man Köppels Anwesenheit (mit dem Blöckli) dem Journalisten Köppel geschuldet sehen. Nimmt man den gewählten Nationalrat als Grundlage, sieht die Situation anders aus. Köppel hätte einen Journalisten hinschicken können, ohne dass ein Schweizer Parlamentsmitglied mit den Nazis mitläuft. Spannend wär aich die Frage: Wann läuft Köppel 1. Mai im Berlin mit dem Schwarzen Block, so als Recherche ...
  • René Zeyer, 06.09.2018 09:17 Uhr
    Ja, solche Behauptungen gibt es, auch in zittrigem Deutsch. Aber wer recherchieren kann, möchte schon Belege sehen statt Behauptungen lesen, dass dann am Rande auch noch gesammelt worden sei. Falls die auftauchen, bin ich gerne bereit, diesen Nebensatz zurückzunehmen.
  • Valeria Heintges, 06.09.2018 08:58 Uhr
    ja, eben, herr zeyer, wer recherchieren kabb, ist klar im vorteil: Beim Konzert wurden auch Spenden gesammelt. Die Hälfte der Summe wird an die Hinterbliebenen von Daniel H. gehen. Die andere Hälfte geht an antifaschistische, antirassistische und zivilgesellschaftliche Initiativen in Sachsen.
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