R., ein guter Bekannter, ist ein Weltenbürger in konstanter Sorge. Vor allem Klimawandel, Verlust von Biodiversität und die ungleiche Verteilung von Chancen drücken schon länger schwer auf sein sanftes Gemüt.
R. ist ein konsequenter Mann; ernährt sich vegan, bezieht Haustiere aus dem Heim, versorgt sich mit Strom aus eigenen PV-Anlagen und fährt ein bekanntes amerikanisches Elektroauto. Genau damit hat er jetzt aber ein Problem. Und ist damit, wie es scheint, nicht der Einzige, wie ein Blick auf die aktuellen europäischen Verkaufszahlen und Aktienkurse des Stromers zeigt.
Noch bis vor Kurzem als idealistisches Statement des schonenden Privatverkehrs bei Menschen beliebt, die sich um die Reduktion von Treibhausgasen bemühten und sich um das Wohl des/der Nächsten sorgten, sitzen Besitzende eines solchen Elektromobils offenbar zusehends konsternierter hinter dem Steuer.
R. verspürt nun das dringende Bedürfnis, den anderen Verkehrsteilnehmenden kundzutun, dass er die «Werte und Sitten» seines Autoherstellers selbstverständlich nicht teile. Zum Beispiel durch das Anbringen eines jener Stickers, die derzeit in sozialen Medien die Runde machen und welche sich um die Wiederherstellung der moralischen Unbescholtenheit der besorgten Fahrer:innen bemühen. Und so beabsichtigt er, sich ein Abziehbild mit dem Text «I bought this, before Elon went crazy» auf das Heck seines Wagens zu kleben; aus seinem Auto quasi ein mobiles Korrigendum zu machen.
Wir schmunzeln.
Nur: Unproblematisch ist das alles ja nicht. Was hier passiert, ist auch aus Kommunikationsperspektive eine Unmöglichkeit: Kund:innen agieren plötzlich als Krisenmanager:innen in eigener Sache. Sie sehen sich offenbar genötigt, der Gesellschaft mitzuteilen, wer und was sie NICHT sind. Nämlich Befürworter:innen oder Dulder:innen weltanschaulicher «Konzepte», die sie nicht teilen.
Sagen müssen, wer man NICHT ist. Ein Unterfangen, das nicht gelingen kann, weil es den – zumindest bisher gültigen – Gesetzen der Kommunikation widerspricht.
Der Unternehmens- und Change-Kommunikation erwachsen aktuell fast schon stündlich neue operative Dimensionen. Für Marken und Unternehmen auf dem Fundament eines etablierten Wertekanons der Fairness, Achtung und Seriosität ergeben sich Chancen. Sagen, wer man ist, und betonen, dass sich dies auch nicht ändern wird, schafft differenzierende Konturen in einem Markt, in dem sich die herkömmliche Lesart vieler Marken grad disruptiv verändert.
Marco Meroni ist Managing Director bei June Corporate Communications.
Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.
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06.03.2025 16:01 Uhr
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Korrigenda auf Rädern