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Kriegsrhetorik gezielt eingesetzt

Marcus Knill

Vor und während des Angriffs der russischen Truppen auf die Ukraine finden wir einmal mehr gute Beispiele von gezielter Kriegsrhetorik. Weil das Wort Krieg offensichtlich nicht so einfach zu definieren ist, wird bei militärischen Aktionen meist nur von Konflikt oder Krise gesprochen.


Journalisten schrieben beim Angriff auf die Ukraine zum Teil von Auseinandersetzung mit militärischen Mitteln. Später wurde bei dem Überfall doch Klartext gesprochen und die Rede Putins als Kriegserklärung bezeichnet und die militärische Operation als Krieg. Putin verbot den Medien, von Krieg zu sprechen. Er bezeichnet den militärischen Überfall als «Friedensmission». Der Bundesrat sprach bei den verhängten harten Sanktionen nur von Massnahmen.

Im landläufigen Sinn verstehen wir unter Kriegsrhetorik aggressive Rhetorik, mit der direkt oder indirekt gedroht oder Angst eingejagt wird. Politiker greifen gerne zu martialischer Rhetorik, weil sie Aufmerksamkeit schafft. Zu den eher amüsanten Beispielen zählt die Indianer-Parabel von Peer Steinbrück.

Kriegerische Rhetorik hat für Politiker den Vorteil, dass nicht argumentiert werden muss. Kriegsrhetorik zeichnet sich mitunter dadurch aus, dass Kriegshandlungen beschönigt werden. Zum Beispiel:

  • Kollateralschäden = getötete oder verletzte Zivilisten

  • Enthauptungsschlag = Bombenhagel auf Regierungsgebäude 

  • Chirurgischer Eingriff = Zerstörung von Häusern und Leben 

  • Menschen befreien = ein Land angreifen 

  • Grossangelegte Kampagne = Krieg führen 

  • Das gibt keinen halbherzigen Feldzug = Ankündigung eines grauenhaften Luftschlages 

  • Ein brutaler Kampf steht bevor = grosse Schlacht mit vielen Toten 

  • Speerspitze = Frontlinien 

  • Intelligente Waffen = GPS-gesteuerte Waffen 

  • Die Truppen sind herausgefordert = viele eigene Verletzte 

  • Wir degradieren diese Kräfte = Wir töten viele. 

  • Friendly Fire = eigene Truppen unter eigenem Feuer 

  • Wir haben logistische Probleme = schlecht geplanter Feldzug. 

  • Städte werden gesäubert = Städte werden erobert, Häuser bombardiert 


In der BZ konnten wir die Meinung von Politologen und Konfliktforschern über die Kriegsrhetorik vor dem Angriff Putins lesen. Während die Amerikaner und die Briten stärker auf Kriegsrhetorik setzen, würden Deutschland und Frankreich eher auf Diplomatie pochen. Putin verfolge die Strategie der Drohung schon länger.

Im Nachhinein erstaunte folgende These eines Politologen: Putin habe nicht die Absicht, die Ukraine zu überfallen. Der Aufmarsch bleibe nur eine Drohgebärde, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Durch die Kriegsrhetorik von aussen könnte jedoch Putin zu einer militärischen Aktion getrieben werden. Ein Krieg passe nicht zu Wladimir Putin. Wenn Russland die Ukraine angreife, verspiele der Präsident alles, was er die letzten 20 Jahre aufgebaut habe. Das könne eigentlich nicht sein Ziel sein.

Lars-Erik Cederman, Politologe ETH Zürich, vertrat die Meinung, es sei schwierig, eine klare Antwort zu finden, welche rhetorische Strategie bei der Nato-Ost-Erweiterung momentan die beste wäre. Die Meinung dominierte. Verhandeln, verhandeln, verhandeln. Im Glauben: Solange geredet wird, schweigen die Waffen.

Der Angriffskrieg erwischte dann aber alle auf dem linken Fuss. Kriegsrhetorik war in Europa in den letzten Jahrzehnten nichts Neues. Aber an einen wirklichen Krieg hat niemand mehr glauben wollen.


Marcus Knill ist Experte für Medienrhetorik, Coach, Dozent und Autor von rhetorik.ch.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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