Wie sieht es aus? Haben auch Sie letzthin ein paar Selfies auf Lensa hochgeladen und sich in einen Avatar transformieren lassen? Oder genauer, in hundert Avatare? In hundert abenteuerliche, verspielte, futuristische, anrüchige und abstrakte Versionen Ihrer selbst?
Waren Sie zuerst überrascht, fasziniert, amüsiert und jetzt, nach ein paar Tagen, beunruhigen Sie die Berichte, dass die App Frauen übersexualisiere und das geistige Eigentum von Künstlerinnen und Künstlern klaue?
Dann geht es Ihnen wie mir.
Denn falls künstliche Intelligenz sexistische Geschlechterstereotypen auf plumpeste Weise reproduziert und Kunstdiebstahl begeht, ist das ein nicht tolerierbarer Übergriff und ein klares No-Go.
Mich treibt aber noch eine andere Frage um, und zwar: Wieso funktioniert so ein Klon-Kopierer wie Lensa überhaupt? Wieso stellen Menschen hunderttausendfach – mich eingeschlossen – und einfach so ihr Konterfei in einen künstlich intelligenten Zufallsgenerator, nur um sich selbst dann in den unterschiedlichsten Versionen zu begegnen? Oder anders gefragt: Wieso gehen wir nicht automatisch davon aus, dass ein solcher Reproduktionsalgorithmus Interpretationen unserer selbst hervorbringen wird, die wir vielleicht nicht mögen werden?
Die Antwort liegt meiner Meinung nach in einer natürlichen, menschlichen Anlage (welche wir in der Kommunikation notabene schon seit je nutzen): nämlich im Wunsch des Menschen, eine bessere, erfolgreichere, begehrenswertere Variante seiner selbst zu sein. Die Kleider, die wir tragen, die Autos, die wir fahren (oder nicht mehr fahren), die Körper, die wir uns antrainieren, die Apps, die uns zu mehr Schlaf, mehr Achtsamkeit, weniger Kalorien mahnen, die Bestseller, die uns in aller Frühe in Yogastunden und Eisbäder treiben – alles Tools, die uns versprechen, dass es das bessere Ich tatsächlich gäbe – und es gleich um die Ecke mit offenen Armen auf uns warte.
Aber ist es problematisch, dass wir so sind? Sind wir alle gerade wieder blind in eine (von wem auch immer) gigantisch inszenierte Selbstoptimierungsfalle getappt, wo wir, weit entfernt von unserem ursprünglichen Ich, nichts gewinnen werden, als die Überzeugung, als Original nicht zu genügen? Nun: Wir sind Menschen unserer Zeit. Menschen, die mit den technischen Möglichkeiten ihrer Zeit einfach ihrem genetischen Programm folgen und immer die bessere Version von sich werden wollen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Und das ist – als wichtiger Treiber von Fortschritt – ja nicht grundsätzlich zu beklagen.
Klar: Die Aussicht, dass wir künftig vielleicht häufiger mit Superheldinnen, Stammesfürsten, Elfen oder Astronautinnen in digitalen Meetings sitzen werden, ist noch etwas gewöhnungsbedürftig. Aber wenn die realen Menschen hinter den Figuren ihre Avatare aus freiem Willen wählen und die Technik, die sie generiert, ethischen Grundsätzen folgt, why not? Die aktuellen und berechtigten Bedenken an Lensa zeigen auch: Gefahren, Verfehlungen, Übertretungen werden von uns Menschen aus Fleisch und Blut nach wie vor schnell lokalisiert und breit diskutiert. Gut so. Denn dieser öffentliche Diskurs wird letztlich auch die weiteren Entwicklungen solcher KI massgeblich prägen.
Aileen Zumstein ist Kommunikationsstrategin, Unternehmerin und Co-Founder von V-oice.
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Mensch, Avatar!