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So werden die Radiodaten verfälscht

Roger Schawinski

Die Idee schien bestechend: Gleich wie den TV-Konsum würde man die Radionutzung nicht mehr durch Umfragen, sondern durch Messungen erfassen. Damit sollten genauere Resultate erzielt werden. SRG-Publikumsforscher Matthias Steinmann liess die Radiouhr in seiner eigenen Firma entwickeln, um sie anschliessend der SRG – also sich selbst – zu verkaufen. Trotz dieser Steilvorlage durch einen klaren Insiderdeal konnte man mit dieser Idee im Ausland nicht punkten. Sogar das winzige Zypern, wo man einen Abnehmer fand, sprang nach einigen Jahren ab. Und so ist die Schweiz weltweit das einzige Land, in dem eine Radiouhr eingesetzt wird. Das wäre eigentlich Anlass, diesen Umstand zu hinterfragen. Doch dies geschieht nicht – und zwar aus gutem Grund, den es hier zu erläutern gilt. Jede Mediennutzungs-Methode hat Nachteile. Die Radiouhr, mit der die Radiosignale überall identifiziert werden können, schien diese auszumerzen. Doch ein gravierendes Problem wurde wohl bewusst übersehen: Die Uhr am Handgelenk ist zum wichtigsten Statussymbol unserer Zeit geworden. Unsere Uhrenindustrie lebt davon, dass sich Menschen für Tausende von Franken Zeitmesser kaufen, die ihre ursprüngliche Aufgabe weniger gut erfüllen als digitale Billigstprodukte. Entscheidend für den Kauf ist eben nicht die höchstmögliche Genauigkeit, sondern das Prestige der Marke und die Ästhetik des Produkts. Wer gutes Geld verdient, gibt es oft auch für teure Uhren aus, die man tragen und herzeigen kann. Wie aber soll man solche Menschen überzeugen, ihre kostbaren Uhren abzulegen, um ein unansehnliches Messgerät anzuschnallen? Bei unteren Einkommensklassen gelingt dies zwar noch leidlich gut, nicht aber bei höheren. So belegt die Statistik der Publicadata, dass bei der höchsten Einkommensklasse (über 9501 Franken pro Monat) nicht annähernd genügend Uhrenträger gefunden werden, um zu einem repräsentativen Sample zu gelangen. Die Minusdifferenz beträgt satte 31 Prozent! Das ist jedoch noch nicht alles. So ist es in der Stadt schwieriger als auf dem Land, Uhrenträger zu finden, wo man generell obrigkeitshöriger ist und sich deshalb bereitwilliger als Versuchskaninchen instrumentalisieren lässt. Das verfälscht die Resultate zusätzlich. Diese Defekte sind kein Problem für Radios, die ein vorwiegend einkommensschwächeres und ländliches Publikum ansprechen wie viele Lokalradios und die SRG-Programme. Die sind ja die Profiteure der Radiouhr. Deshalb stellt die SRG diese Methode auch nicht infrage, während man im TV, also dort, wo man die Werbemillionen verdient, nun einen radikalen Systemwechsel vornimmt, weil man mit der Erhebungsmethode und deren Resultaten nicht zufrieden ist. Eine solche Möglichkeit hat ein Premium-Radio in der reichsten Stadt der Welt, wie es (mein) Radio 1 ist, aber nicht. Radio 1 in Zürich erreicht überdurchschnittlich viele Menschen mit den höchsten Einkommen, wie die Publicadata-Zahlen belegen. Durch die Fehlkonstruktion der Radiouhr wird dies aber durch die Hörerdaten nicht richtig reflektiert, was sich etwa bei den rein quantitativ gefällten Entscheiden im nationalen Werbeverkauf niederschlägt. All dies scheint die Publicadata und ihren wichtigsten Auftraggeber nicht zu kümmern. Wie sonst ist das Vorgehen bei der Suche nach Uhrenträgern zu erklären? So bietet man allen Willigen als Entgelt für die erbrachte Leistung – no joke! – eine Swatch an. Eine unsinnigere Belohnung ist für Personen kaum vorstellbar – und ich denke nicht nur an Frauen –, die die geliebte Rolex, IWC oder Omega für einige Zeit im Schrank verstauen sollen, um sich mit einem besonders hässlichen Gerät in der Öffentlichkeit zu zeigen.  
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