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Stillstand im La La Land

Manfred Klemann

Ich schreibe diese Kolumne direkt aus Palo Alto, dem Herzen des Silicon Valley. Die Universität Stanford direkt hinter meinem Hotel; einige Meilen weiter das Hauptquartier von Google; die verschlossene Welt von Facebook sechs Meilen Richtung Norden; und Richtung San José das utopische Raumschiff Apple.

All diese Firmennamen klingen doch inzwischen so wie Volkswagen, Nestlé oder Ford. Als gäbe es sie schon immer, als wären ihre Geschäfte «old economy». Und ein bisschen fühlt sich auch das digitale Wundertal rund um San Francisco so an: veraltet. Es besteht erst seit 2005 und scheint im Hier und Jetzt doch ohne neue Inspiration. Gehobener Stillstand. Staunen über die eigene Grösse. Die Villen der Gründer und der früheren Mitarbeiter der Big Five stehen mächtig und prächtig und teuer in Redwood, in Menlo Park, in Cupertino. Und wenn ich meinen Freund Markus Lipp, CFO von Kongregate.com, höre, ist auch der Preis dieser Villen und überhaupt der Immobilien rund um Palo Alto weiter in fantastische Höhen unterwegs. Nur: wie lange noch?

Stillstand ist für diese Welt schrecklich. Das Fehlen von neuen Ideen, von Einhörnern, wie man sie hier nennt, lässt sich direkt körperlich spüren. So, als ob ein schweres Tuch der Nullerjahre über dem Silicon Valley hinge. Ist die Party vorbei? Sind die grossen Utopisten, die Digitalisten, müde geworden? Wo ist der neue Zuckerberg, der neue Bezos, der neue Jobs, der neue Musk? Ja, selbst solche Riesen wie Amazon, Uber, Tesla und deren Erfinder verzetteln sich scheinbar im Klein-Klein oder in privaten Affären. Und es kommt nichts nach, so macht es den Eindruck.

All die Stichworte – künstliche Intelligenz, Blockchain, Cyber Money – geistern durch die Gespräche im Peet’s Coffee in Berkeley, in der True Food Kitchen in Stanford oder im Morton’s The Steakhouse in San José. Aber konkrete, erklärbare Geschäftsmodelle mit Nachhaltigkeit und Skalierung fehlen. Luftschlösser werden gebaut, fallen aber täglich in sich zusammen. Die Stimmung hier erinnert mich stark an 2007, als die vielen «For sale»-Schilder in den USA die kommende Finanzkrise plakatierten.

Ja, die Rezession wird kommen. Nicht morgen, aber spätestens 2020. Und sie wird dieses Mal nicht von der alten ökonomischen Welt aus verursacht, also vom Immobilienmarkt, den Industriefirmen oder der Finanzindustrie. Sie kommt von den scheinbar unantastbaren Riesen aus der digitalen Welt. In den letzten fünfzehn Jahren hat sich eine Struktur des «Einfach weiter so», des «Läuft doch» entwickelt, die neue Ideen und Kräfte nicht zulässt. Google, einst ein Wunder der täglichen öffentlichen Selbsterfindung, verschanzt sich hinter dicken Mauern und alten Köpfen. Facebook, der Elefant des sozialen Lebens, zerstört das Glashaus unserer Kommunikation und schneidet dabei jedem, der im Geschäftsfeld sozialer Kommunikation tätig werden will, die Gurgel durch. Nur noch Selbsterhaltung, nirgendwo Aufbruch und Spass wie im Film «The Social Network» so brillant dargestellt.

Wir werden also im nächsten Jahr und danach vielleicht zwei bis fünf Jahre lang wieder durch ein Tal der ökonomischen Tränen gehen – der digitalen Tränen! Hätte sich in der Schweiz 2006 jemand vorstellen können, dass CS oder UBS zu einem permanenten Sanierungsfall werden würden? Niemals. Und kann man sich heute vorstellen, dass die grossen (digitalen) Fünf (Google, Apple, Microsoft, Facebook, Amazon) zu einem weltweiten «Problem» werden?

Warten wir es ab. Der Blick ins tiefe Tal hinter dem mit Obdachlosen überfluteten San Francisco mit seinen überteuerten Häusern, Büroräumen, Restaurants und den leeren Verkaufsflächen verheisst nichts Gutes. Das Beunruhigteste aber, um mich zu wiederholen, ist das offensichtliche Fehlen neuer Ideen. Und das Fehlen unternehmerischer junger Menschen, die sich nicht einfach in die verlockende Welt der Etablierten einnisten, sondern sich auf den Weg durch die harte Wirklichkeit der eigenen Selbsterfindung machen.

Schwarzsehen ist nicht meine Lust. Aber für einmal hat mich die Reise ins Tal der Fantasie, der Ökonomie, des grenzenlosen persönlichen Aufbruchs ratlos zurückgelassen. Und eben eher pessimistisch, was die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre angeht. Denn wenn das Silicon Valley hustet, hat die Welt bald eine veritable Erkältung.
 



Manfred Klemann ist Serial Entrepreneur und einer der Pioniere des europäischen Internets (wetter.com). Er ist mit 20 Prozent an C-Films beteiligt, welches den «Zwingli»-Film produziert hat. Zudem ist er Miteigentümer des «persönlich»-Verlags.

Unsere Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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