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The Good, the Bad and the Ugly

Die meisten Talkshows sind heute bloss eine weitere Form von Reality-Fernsehen, bei der inhaltlich massiv eingegriffen wird. Dies beginnt bei der Auswahl der Gäste, deren Meinungen von Redaktoren in länglichen Vorgesprächen abgefragt werden, damit der Moderator selbst alle zu erwartenden Antworten auf seinen Kärtchen aufgelistet erhält, die er nur noch abrufen soll. Auf diese Weise nähern sich diese Talkshows anderen fragwürdigen Formaten, die nicht die Realität abbilden, sondern teilweise oder ganz "gescriptet" sind. Im "Sonntalk" bei TeleZüri wurde dieser Ansatz über längere Zeit in einer besonders starren Form angewandt. Das Casting verlief gemäss dem Prinzip von "The Good, the Bad and the Ugly", dem Titel eines legendären Spaghetti-Western von Sergio Leone. Die Rolle des Guten wurde Peter Rothenbühler zugeteilt, der bei jeder Frage reflexartig das Positive in den Vordergrund rückte. "The Bad" war ich, der umgekehrt alles und alle infrage stellen sollte. Und für den "Ugly" gab es nur einen denkbaren Protagonisten: den PRBerater Klaus J. Stöhlker, dem die Rolle des Unsympathen auf den Leib geschneidert war. Ähnliche Konzepte werden heute von vielen Talkshows mit wechselnden Protagonisten umgesetzt. Da komponieren grosse Redaktionen Sendungsabläufe, die scheinbar spontan entstehen. Zwar werden damit verblüffende Diskurse oder Abläufe verhindert. Aber das nimmt man locker in Kauf. Wichtiger ist, dass der Moderator alles im Griff hat und das Erkenntnis- und Klamaukniveau mithilfe der zusätzlichen Redaktionsstimme im Ohr subtil steuern kann. Wie das zurzeit in deutschen Talkshows abläuft, habe ich in letzter Zeit erfahren. So habe ich mehrere Anfragen erhalten, ob ich an Sendungen zum arg belasteten Verhältnis Schweiz–Deutschland teilnehmen möchte. Nachdem ichim unerlässlichen Vorgespräch jeweils meine Positionen darlegt hatte, kam am nächsten Tag jeweils die Absage. "Sie sind in Bezug auf den Steuerstreit einfach zu nett", wurde mir offenherzig beschieden. Im Klartext heisst dies, dass die Rolle des Schweizers mit einem Hardliner besetzt werden muss, der das aktuelle Image unseres Landes transportiert: nämlich engstirnig, geldgierig, unsolidarisch, kleinherzig und etwas ungelenk. Ein weltoffener und vielleicht sogar sympathischer Schweizer ist für solche Sendungen nicht vorgesehen, weil er zu wenig Reibungsfläche bietet, mit der die bestehenden Vorurteile bedient werden. Denn die Aufgabe dieser Art von Fernsehen ist es nicht, neue Erkenntnisse zu liefern. Sie soll unter dem Deckmantel der Ernsthaftigkeit und mithilfe von prominenten Zeitgenossen vor allem ein Spektakel bieten, bei dem der Zuschauer nicht bereits nach wenigen Minuten in Versuchung gerät, die ewig lockende Fernbedienung in Gang zu setzen. Und deshalb gibt es zurzeit keine "netten" Schweizer in deutschen Talkshows, das heisst besonnene Zeitgenossen, wie es die meisten unserer Landsleute nun mal sind. Meist sitzt dort Roger Köppel, der die ihm zugeteilte Rolle beinahe schon schlafwandlerisch spielen kann – und sie vor Kurzem bei "Maischberger" wie immer zuverlässig ablieferte. Und im Notfall greift man auf einen Funktionsträger wie einen Botschafter, der bolzengerade und von Amtes wegen die wenig prickelnde Position unserer Regierung vorträgt. Und deshalb sind diese Talkshows der ultimative Beweis dafür, dass wir als Land wirklich ein ernsthaftes Imageproblem haben, auch wenn dies viele nicht wahrhaben wollen. Denn von den drei archetypischen Rollen gibt es nur eine, die man uns zuteilt. Und es ist weder "the Good" noch "the Bad".
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