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Warum digitaler Journalismus so viel kostet

Edith Hollenstein

Nun stirbt auch noch diese Hoffnung. Digitaler Journalismus galt bislang als Heilsbringer. Die in mittlerweile existentielle Bedrängnis geratenen Verlage hofften darauf, ihre Inhalte auf dem digitalen Verbreitungsweg günstiger an den Leser bringen zu können als noch im Bleisatz-Zeitalter. Dass sie damit einem Irrglauben aufgesessen sein könnten, zeigt sich immer deutlicher.

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Was Marc Walder am Mittwoch an der jährlichen Bilanzmedienkonferenz sagte, war bemerkenswert. «Digitaljournalismus ist teurer als Printjournalismus», sagte der Ringier-CEO. Was? Hatte ich richtig zugehört? Solche Worte von Marc Walder, dem wahrscheinlich umtriebigsten Digital-Apostel der Schweiz? Das erstaunt. Wenn digitaler Journalismus tatsächlich nicht günstiger ist als herkömmlicher auf Papier, könnte das auf folgende Gründe zurückzuführen sein:

Zum einen auf das gesteigerte Tempo: Durch die Verbreitung übers Internet ist Journalismus schneller geworden. Dies ermöglicht oder erfordert mehr Inhalte. Zur Erstellung sind daher mehr Ressourcen nötig als bei einer Publikation im Tages- oder Monatsrhythmus. Also braucht es mehr Personal in den Redaktionen – respektive zusätzliche Abteilungen für Online-Angebote, die meist auch an Feiertagen, am Wochenende und zu Abendzeiten nicht stillstehen.

Zum anderen ist Innovation teuer. Die Halbwertszeiten einer Website sind im Vergleich zu Printausgaben viel kleiner. Weil der technische Fortschritt rasant erfolgt, wirken Websites rasch veraltet. Sie müssen immer wieder frisch lanciert werden, sei es nun im Back- oder Frontend. Dazu kommen laufend Funktionen und Content-Management-Systeme, Storytelling- oder Datenanalyse-Tools, deren Kauf teuer ist respektive deren Eigen- oder Weiterentwicklung ebenfalls kostet. Nur mit den aktuellsten Features können multimediale Web-Reportagen produziert werden. Auch wenn sie weniger umfangreich sind, wie etwa das mit dem renommierten Henri-Nannen-Preis gekrönte Projekt «In eisigen Tiefen» vom «Tages-Anzeiger» (persoenlich.com berichtete): Solche Arbeiten sind aufwändig.

Seit das Smartphone gleichzeitig Filmkamera und TV-Gerät geworden ist, heisst es, der Trend gehe Richtung Video: Verlage investierten in Videoabteilungen. Seit etwa zwei Jahren heisst es, der Trend gehe Richtung Podcasts: Nun investieren Verlage in Podcasts. Virtual Reality, Augmented Reality, Roboterjournalismus, Künstliche Intelligenz oder digitale Spracherkennung sind weitere Beispiele für innovative Entwicklungen, von denen man nicht weiss, ob sie sich durchsetzen werden – trotzdem darf sie kein Verlag verpassen.

Und die Personalkosten sinken damit nicht, im Gegenteil: Ringier hat zwar im November die letzte Druckerei in Adligenswil geschlossen, so können nochmal 172 Stellen gespart werden. Hingegen dürften die Löhne für die neu eingestellten Web Developer, Data Engineers oder HTML/CSS-Spezialisten um einiges höher sein.

Natürlich fallen über die zunehmend digitale Verbreitung Papier- und Vertriebskosten weg und längerfristig dürften sich Investitionen in die Technik als Sparmöglichkeit erweisen. Aber laut dem Ringier-CEO reicht das alles momentan nicht aus, um den Journalismus online günstiger zu machen als den gedruckten. Dafür muss bald eine Lösung gefunden werden, denn die Tendenz ist da: Noch erreichen laut den neusten Wemf-Leserzahlen die meisten Schweizer Zeitungen- und Magazine mehr Leser über Print als über Online. Im Schnitt liegt das Verhältnis bei zwei Dritteln Print vs. einen Drittel Online. Ausnahme ist der «Blick»: Er erreicht über die gedruckte Ausgabe knapp 456'000 Leser, über seine Website 697'000 (Unique User per Day)


Edith Hollenstein ist Redaktionsleiterin von persoenlich.com.


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