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Was tun, wenn dem Kunden Nachhaltigkeit egal ist?

2023 war das wärmste Jahr auf Erden seit Messbeginn. Hier in der Schweiz war es das zweitwärmste – noch wärmer war es nur ein Mal: im Jahr zuvor. Dass sechzig Jahre zuvor noch Zehntausende ein winterliches Volksfest auf dem rund einen Monat lang zugefrorenen Zürichsee feierten, wohl zum letzten Mal in der Geschichte, wäre heute undenkbar.

Der Klimawandel beschäftigt uns alle – und auch für die meisten Marketers steht das Thema weit oben auf der Agenda. Allerdings kommt die eigentlich gute Intention nicht bei allen als solche an.

Viele Konsumenten fühlen sich mit allerlei Erläuterungen auf Verpackungen und Aufklärungskampagnen über den Ursprung von Produkten belehrt. Sie nehmen Bildwelten und Botschaften, die Marketers nutzen, um die Biophilie ihrer Brands zu kommunizieren, als stereotyp und moralisch wahr. Oder überspitzt gesagt: Wenn ich das Produkt X nicht kaufe, sind mir das Klima und die Zukunft meiner Kinder wohl egal.

Aber bringt es wirklich etwas, wenn Marken den Moralapostel geben? Und was hilft es, wenn in der Marketingfachwelt mit viel Herzblut darüber debattiert wird, wie prominent die Nachhaltigkeitsbemühungen einer Marke nun am besten kommuniziert werden – «Greenwashing» oder «Greenhushing»?

Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich ist es toll und ebenso notwendig, dass Unternehmen ihre Emissionen reduzieren und auch darüber sprechen. Ebenso, wenn auch der CO2-Fussabdruck einer Marketingkampagne als Metrik gemessen wird.

Doch das allein reicht nicht: Wenn Marken wirklich etwas bewegen wollen, dann müssen sie nicht nur die Ökoenthusiasten erreichen, sondern vor allem auch die breite Masse der Bevölkerung.

Und hier fängt es an, schwierig zu werden: Weniger als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung ist heute bereit, den eigenen Lebensstil noch weiter zugunsten des Klimas anzupassen, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie des Forschungsinstituts Sotomo zeigt. Ein Drittel bezweifelt gar, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Da hilft es also wenig, die Konsumenten mit Details zur Nachhaltigkeit von Produkten zu überzeugen zu versuchen und jeden Einkauf zum Moraltest zu machen.


Aber was tun?

Nachhaltigkeitsmarketing darf nicht den Eindruck erwecken, sich den Menschen aufzudrängen. Stattdessen müssen wir es ihnen ermöglichen, ihre ganz persönlichen Werte, Identitäten und Prioritäten mit nachhaltigem Handeln zu verbinden – bewusst oder unbewusst. Und dafür ist es wichtig, zu verstehen, wie unterschiedliche Konsumenten über Nachhaltigkeit denken. Denn herkömmliche Segmentierungsattribute wie Generation, Geschlecht, Bildung oder Einkommen reichen hier nicht aus. Die persönliche Weltanschauung und die individuelle Definition von «Nachhaltigkeit» machen den grösseren Unterschied.

Die folgenden Archetypen liefern ganz unterschiedliche Ansatzpunkte, wie wir die Konsumentscheide von Menschen nachhaltiger gestalten können.


Der einfachste Fall:

Unermüdliche Optimisten
Sie sind überzeugt, dass Nachhaltigkeit der einzige Weg für eine bessere Welt ist. Sie sind in diesem Kampf an vorderster Front dabei – und fordern das Gleiche von Unternehmen und Marken. Hier greifen die nahe liegenden Ansätze von nachhaltigen Produkten und deren Kommunikation.


Nun zu den schwierigeren Fällen:

Entschlossene Pragmatiker
Sie sehen den Klimawandel als Herausforderung, die aber bewältigt werden kann. Sie sind bereit, nachhaltig zu handeln, fordern von Marken jedoch Innovationen zur Bekämpfung des Klimawandels, die sie dabei unterstützen. Ein gutes Beispiel dafür ist der free floating Carsharing-Service der Renault-Gruppe mit über 8'000 Elektrofahrzeugen in zahlreichen europäischen Städten. Er verbindet positive Auswirkungen auf die Umwelt mit den realen Mobilitätsbedürfnissen des täglichen Lebens und lässt «entschlossene Pragmatiker» handeln.

Selbstbezogene Idealisten
Sie wissen, dass ihr Handeln sich mal positiv und mal negativ auf das Klima auswirkt, stellen aber ihre Lebensqualität oder ihr Portemonnaie in den Vordergrund. Sie sind bereit, nachhaltig zu leben, solange der persönliche Nutzen gesteigert werden kann. So ermöglicht es beispielsweise das «Bike2Work»-Programm der britischen Regierung den Menschen, ein neues Fahrrad zu einem erheblich reduzierten Preis zu kaufen. Es bringt neben der Kostenersparnis auch persönliche Vorteile wie Gesundheit und Wohlbefinden mit sich. Und wer auf das Fahrrad umsteigt, tut etwas für die Umwelt. Für diesen Archetypen die perfekte Kombination.

Entmutigte Altruisten
Sie befürchten, dass die Zukunft sich in die falsche Richtung entwickelt. Sie sehen aber keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern. Das Wohlergehen anderer Menschen ist ihnen wichtiger als Nachhaltigkeit. Sie sind zwar entmutigt, aber grundsätzlich offen für die Idee, nachhaltig zu leben. Was funktioniert bei ihnen? Zum Beispiel das Buyback & Resell-Programm von Ikea. Eine Möbelrück- oder -weitergabe kann als etwas gefeiert werden, das anderen hilft und dem «entmutigten Altruisten» beweist, dass er für die Gesellschaft und die Umwelt etwas bewirken kann.


Und jetzt die Knacknüsse:

Unsichere Skeptiker
Sie sind unsicher, ob ihr individuelles Verhalten wirklich einen positiven Beitrag leisten kann, schliessen es aber auch nicht aus. Zusätzliche Kosten für einen nachhaltigen Lebensstil können allerdings eine Handlungsbarriere sein. Der «Energy Insights»-Service des australischen Elektrizitätsanbieters AGL, der den eigenen Stromverbrauch auswertet und zeigt, wie sich Strom sparen lässt, gibt «unsicheren Skeptikern» nicht nur die Kostenkontrolle in die Hand, sondern gleichzeitig die Möglichkeit, mit nachhaltigen Verhaltensweisen zu experimentieren und ihre Auswirkungen zu sehen – für den Geldbeutel wie für den Planeten.

Distanzierte Fatalisten
Sie glauben, dass wir den Lauf der Dinge nicht ändern können. Sie sehen die Zukunft düster und leben daher lieber im Moment. Sie sind nicht daran interessiert, etwas anderes zu hören – vor allem nicht, wenn Unternehmen das Wort ergreifen. Ein als nachhaltig positioniertes Produkt interessiert sie nicht. Dafür ziehen Argumente wie einfache Anwendung und hohe Wirksamkeit. Und wenn das nebenbei noch der Umwelt nützt, dann soll es so sein. Genau so positioniert zum Beispiel Unilever seine neuen Wäschekapseln: Nicht, dass sie umweltfreundlicher sind, sondern dass sie auch bei Schnell- oder Kaltwaschgängen die gleiche gute Sauberkeit erreichen. Ein unmittelbarer Nutzen für Convenience und Portemonnaie – und ein versteckter für das Klima.


Mit dem Ansatz konkreter auf die unterschiedlichen Bedürfnisse einzugehen und wirkliche Lösungen anzubieten, finden Sie einen Weg, alle Menschen dort anzusprechen, wo sie heute stehen – unabhängig davon, ob sie Nachhaltigkeit für relevant oder irrelevant, für einfach oder schwierig halten. Nur so schaffen wir es, die Massen zu bewegen und ihren Konsum – bewusst oder unbewusst – in die richtige Richtung zu leiten. Und natürlich lohnt es sich auch für Ihr Unternehmen: Relevantere Angebote für Ihre Kunden bedeuten auch mehr Umsatz für Sie.

2024 ist unsere Chance, einen neuen Ansatz für nachhaltigen Konsum zu finden. Eine viel bessere Herausforderung kann man sich als Marketer oder Kundenerlebnis-Verantwortlicher fürs neue Jahr eigentlich nicht wünschen.

Gehen wir sie an.



Thomas Ruck ist Managing Director bei Accenture Song.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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