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Wenn digitale Hetze reale Leben trifft

Was da am Donnerstagabend über die Bildschirme flimmerte, war eindrücklicher Stoff. Die SRF-Dokumentation «Hass und Hetze im Netz – Ich mach dich fertig!» führt vor Augen, wie soziale Medien plötzlich zu Brandbeschleunigern für Anfeindungen werden. Was früher am Stammtisch blieb, erreicht heute in Sekundenschnelle tausende Menschen.

Eveline Falks Film zeigt konkrete Auswirkungen einer entfesselten Kommunikationskultur. Zwei Stalker ziehen sich wie ein roter Faden durch die Sendung und verdeutlichen das Grundproblem: Im Netz kann jeder anonym und mit riesiger Reichweite agieren. Ein paar Klicks genügen, und schon beginnt die Hetze. Virtuelle Angriffe, die im echten Leben richtig wehtun.

Was macht das mit den Betroffenen? Rita Brem, Mitte-Politikerin und Mitglied einer Einbürgerungskommission, brauchte nach Online-Attacken Polizeischutz. «Ich bin nicht mehr die Gleiche wie früher. Wenn ich abends nach draussen gehe, schaue ich mich immer wieder um», berichtet sie. Hass im Netz trifft quer durch alle politischen Lager.

Der Meinungsforscher Michael Hermann beschreibt einen Teufelskreis: «Die konventionellen Medien haben heute häufig keine Zeit, raus zu den Leuten zu gehen. Sie schauen sich Social Media an und nehmen das als Puls der Gesellschaft, obwohl es ein sehr selektiver Ausschnitt ist.» Was bedeutet das? Ganz einfach: Die lautesten Stimmen auf X und Co. werden durch klassische Medien noch verstärkt. Eine gefährliche Entwicklung.

Oder umgekehrt: Der Fall Jolanda Spiess-Hegglin. Ihre Geschichte wird im Film als «klassische Medienopfergeschichte» bezeichnet. Nach einer Medienberichterstattung entwickelte sich eine Dynamik, die kaum mehr zu stoppen war. Zwar gab es später Korrekturen – der Presserat rügte die Berichterstattung, es folgten rechtliche Konsequenzen. Doch im digitalen Raum hatte sich das Narrativ bereits verselbständigt.

Die Geschichte von Donat Blum zeigt eine weitere Facette digitaler Hetze. Als herausgebende Person des Sammelbandes «Oh Boy» geriet Blum ins Visier einer Cancel-Culture-Kampagne. Bücher wurden zurückgesandt, Lesungen abgesagt. «Es liegt ein besonderer Schmerz darin, dass es die eigenen Leute sind, die das veranstalten», erklärt Blum. Ohne Möglichkeit zur Differenzierung landete Blum am digitalen Pranger.​​​​​​​​​​​​​​​​

Und was tun wir dagegen? Aktuell nicht viel. Die Strafverfolgung tröpfelt im Schneckentempo vor sich hin, Verfahren dauern ewig, und dank Anonymität im Internet können sich die Täter oft elegant aus der Affäre ziehen. Jolanda Spiess-Hegglin fordert daher: «Das Fach Medienethik, Medienkunde – irgendwas mit Medien muss Pflicht sein.» Ein Ansatz, der zumindest kritisches Denken fördern könnte.

Die 50 Minuten SRF-Doku hinterlassen ein mulmiges Gefühl. Unsere Rechtsprechung hinkt der digitalen Realität meilenweit hinterher, und die Plattformbetreiber drücken sich vor klaren Regeln. Den ersten Schritt kann dabei aber jede und jeder Einzelne tun – indem wir nie vergessen: Hinter jedem Bildschirm sitzt ein Mensch mit Würde und Gefühlen.



Christian Beck ist Redaktionsleiter von persoenlich.com.

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