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Wie Google und Microsoft die Schweizer Redaktionen dominieren

In einer Welt, in der ein erratischer US-Präsident mit einem Posting nicht nur die Weltmärkte schockiert, sondern auch Microsoft-Konten ganzer Behörden oder Unternehmen in Europa sperren lassen kann, drängt sich eine unbequeme Frage auf: Wie souverän ist Europa im digitalen Zeitalter wirklich? Und wie sieht es dabei mit der Infrastruktur der vierten Gewalt aus, den Medien?

«Big Tech saugt uns aus, nimmt uns die Reichweite, den Traffic, das Geld, den Einfluss.» So lautet das jahrelange Lamento bei den reichweitenorientierten und werbefinanzierten Medienportalen. Gemäss Zahlen der Stiftung Werbestatistik kassieren US-Techplattformen fast drei Viertel der gesamten Schweizer Online-Werbeausgaben.

Meine Kurzrecherche zeigt: Dieselben Medienhäuser, die den Abfluss von Werbegeldern zu Big Tech beklagen, füttern diese Konzerne fleissig mit ihren eigenen Daten. Indem sie Google Workspace abonnieren, Microsoft 365 lizenzieren und ihre Mails durch Exchange-Server in US-Clouds jagen. Ob es um Kalender geht, virtuelle Meetings, Kollaborationstools oder das Speichern sensibler Recherchedokumente – die Datenhoheit liegt nicht in Zürich, nicht in Bern, sondern in Kalifornien oder Redmond.

Egal ob bei NZZ, CH Media, Tamedia, Ringier, SRF oder Republik, Persoenlich, Tsüri, Bajour – Big Tech ist die Hauptinfrastruktur des redaktionellen Alltags in der Schweiz.

Nur die wenigsten Medienverlage scheinen sich trotz geopolitisch turbulenter Zeiten mit diesen eigenen Abhängigkeiten ernsthaft auseinanderzusetzen. Und diese zeigen sich nicht erst dann, wenn der Strom ausgeht, sondern schon dann, wenn ein Cloud-Service «aus regulatorischen Gründen» kurzzeitig nicht mehr verfügbar ist. Oder eben mal ausgeknipst wird, wie im Fall des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs von Microsoft.

Auf meine Anfragen reagierten die grossen Medienverlage wortkarg. Die NZZ betont Sicherheitsstandards, kommentiert aber «grundsätzlich keine Produkte». Tamedia «beobachtet Entwicklungen». CH Media sieht «keinen Wechselbedarf». Blick? «Nein, es gibt keine Überlegungen.» Die Republik arbeitet immerhin daran, noch dieses Jahr auf eine europäische Alternative umzusteigen im Bereich E-Mail und Hosting.

Doch es gibt löbliche Ausnahmen in der Branche. Die WOZ nutzt bewusst keine Big-Tech-Dienste – ebenso wie das Recherchekollektiv WAV, das seine Daten auf einer selbst gehosteten Nextcloud-Instanz speichert und Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wo möglich konsequent einsetzt.

Wer aber diesen Aufwand scheut oder das erforderliche Knowhow nicht hat, muss sich auf IT-Dienstleister verlassen. Und gerade im Office-Bereich ist dies selten eine Schwarz/Weiss-Entscheidung, gerade bei der Standortfrage der IT-Provider hat man die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Schweizer IT-Firmen wie Tresorit, Proton und Threema sind nämlich verpflichtet, auf Anfrage von Ermittler:innen alle Daten herauszugeben. In Sachen E-Mail könnte die revidierte VÜPF, die eine Identifizierungspflicht für Kommunikationsdienste mit mehr als 5000 Nutzer:innen vorsieht, quasi des Ende des technischen Quellenschutzes bedeuten. Auch die Schweizer Überwachungsgesetze werden somit immer mehr zum Handicap für Redaktionen.

Dennoch: Die amerikanischen Big Tech-Firmen sind jedoch aus verschiedenen Gründen ein NoGo geworden (Datensouveränität, funktionale Abhängigkeiten, mangelnder Quellenschutz). Sie sollten daher das Hauptsubjekt jeder seriösen kritischen politischen Medienberichterstattung sein und nicht die Technologie-Partner von Redaktionen.

Wer über Überwachung, Datenrechte und Big Tech schreibt, aber gleichzeitig selbst bei Google dokumentiert, bei Microsoft alles kommuniziert und im Zweifel nicht weiss, wo seine Daten liegen – macht sich angreifbar. Die technische Infrastruktur einer Redaktion ist keine Nebensache. Sie ist auch ein Teil der publizistischen Glaubwürdigkeit. Dass viele Schweizer Medienverlage keinen akuten Bedarf sehen für einen Wechsel von E-Mail, Kommunikation und Hosting, ist ein absolutes Armutszeugnis.

Es geht nicht um Ideologie, sondern um redaktionelle Integrität. Es geht auch um den Schutz von Quellen. Und letztlich um die Frage: Wem gehören unsere Geschichten – und wer kann sie uns im Zweifel wegnehmen?


Adrienne Fichter ist Tech-Reporterin beim Magazin Republik und beim Techjournalismusblog DNIP.ch.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion.

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KOMMENTARE

Michael Buss
05.06.2025 13:58 Uhr
Es gibt hervorragende Schweizer Alternativen zu Microsoft und Co., zum Beispiel Infomaniak in Genf. Und Schweizer IT-Anbieter müssen Daten nur dann auf Anfrage von Ermittlern herausgeben, wenn dies von Schweizer Gerichten verfügt wird. Extraterritoriale US-Gesetze sind in der Schweiz wirkungslos. Hier nachzulesen: https://news.infomaniak.com/de/unabhangige-cloud/ Es ist schon bedenklich, wenn selbst Bundesbern auf Microsoft- oder Amazon-Dienste setzt. Insofern wundert mich die Reaktion der meisten Schweizer Medienhäuser nicht.