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Wie viel versteht das Zuger Kantonsgericht von Medien?

Howgh, das Zuger Kantonsgericht hat gesprochen. Der «böse» Ringier-Verlag muss der ehemaligen Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin 300'000 Franken zahlen. Die Woge der Emotionen geht hoch, sowohl bei der siegreichen Klägerin als auch bei den unterlegenen Beklagten und fast der ganzen Medienbranche. Um die Kirche im Dorf zu lassen: Es ist beileibe nicht das erste Mal, dass ein Medienhaus für seine Berichterstattung bluten soll, Ex-Botschafter Thomas Borer weiss davon zu berichten. Seine erstrittene Summe war noch ein paar Franken höher als diejenige in Zug.

Was hingegen erstaunt, ist die Höhe des Gewinns, den der Ringier-Verlag angeblich durch die vier beanstandeten Berichte erzielt haben soll. Würde man 70'000 Franken pro Artikel in Print und Online erzielen, wie das Zuger Kantonsgericht in seinem Urteil instruiert, dann könnte man künftig auf Medienförderung verzichten. Die Höhe der Summe zeigt zweierlei: Erstens ist Spiess-Hegglins Anwältin Rena Zulauf wirklich gut, zweitens hat das Zuger Kantonsgericht nur wenig oder gar keine Ahnung von der ökonomischen Medienrealität. Die in vielen Kommentaren geäusserte Hoffnung, dass die nächste Instanz dieses Urteil revidieren wird, muss sich aber erst noch bewahrheiten. Die Justiz – und das zeigt dieser Fall exemplarisch – schreckt manchmal wirklich nicht vor Überraschungen zurück.

Trotzdem sei eine Frage erlaubt: Müsste Frau Spiess-Hegglin nicht noch einen Teil der Summe an einen ehemaligen Zuger SVP-Politiker abtreten? Schliesslich stellte der Blick in einem der beanstandeten Artikel auf seiner Front reisserisch die Frage, ob dieser seine ehemalige Ratskollegin nach der mittlerweile landesweit bekannten Landammannfeier «geschändet» habe. Zur Erinnerung: Die Zuger Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren gegen den SVP-Mann später ein, es gäbe keine Beweise, dass die Zuger Ex-Politikerin an jenem Abend widerstandsunfähig gewesen sei. Doch auch die Politkarriere des früheren Kantonsrats war nach der Berichterstattung vorbei. Auch er ein Opfer. Bitte klagen Sie – der Gerechtigkeit willen.


Matthias Ackeret ist Verleger und Chefredaktor von persönlich und persoenlich.com.

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KOMMENTARE

Lorenzo Winter
31.01.2025 01:49 Uhr
Wer sich die Mühe nimmt, das Urteil auch tatsächlich zu lesen - und nicht nur die SDA-Zusammenfassung, der erkennt, dass die Höhe der Gewinnherausgabe primär eine Folge der Regeln der Zivilprozessordnung ist. Das Gericht muss im Zivilverfahren nicht von Amtes wegen den korrekten Wert ermitteln, sondern stützt sich auf die Eingaben der Parteien. Das Gericht rügt explizit, dass Ringier es verpasst habe, substanziiert darzulegen, warum der Gewinn nicht CHF 312'000, sondern nur CHF 4'900 hoch gewesen sein soll. Das Gericht hat zudem die Mehrwerttheorie verworfen, ist also nicht der Argumentation gefolgt, dass nur der Mehrgewinn durch die vier Artikel herauszugeben ist, sondern der gesamte erwirtschaftete Gewinn. Die gerichtliche Argumentation dafür basiert auf dem Schnyder-Urteil des Bundesgerichts von 2006 und orientiert sich sehr eng an der damaligen Begründung des BGer. Man wird sehen, ob das BGer bei dem ersten Fall, bei dem es nun um konkrete Zahlen geht, seine Rechtspraxis «konkretisiert» oder «weiterentwickelt» (wie es jeweilen heisst, wenn das oberste Gericht frühere Urteile korrigiert).
Victor Brunner
29.01.2025 08:34 Uhr
Es ist nicht nur ein juristisches sondern auch ein politisches Urteil. Das Richtertrio hatten über Ringier zu urteilen haben versteckt auch den Medien gedroht "passt auf es kann teuer werden". Bleibt zu hoffen das die nächste Instanz das unverständliche Urteil kassiert und eines mit Augenmass fällt. Zur Erinnerung, auch ein Zuger Kantonsgericht stoppte das Buchprojekt von Michèle Binswanger zur Landammannfeier, bis vor Bundesgericht wurde gestritten, JSH und ihre Gefolgschaft wollten Klärung verhindern. Das Buch wurde ein Erfolg.