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Wird die Paywall zum Reinfall?

Roger Schawinski

Der Lackmustest für die Verlage steht unmittelbar bevor. Nachdem sowohl der kontinuierliche Auflagenverlust als auch der Inseratenrückgang als Struktur- und nicht mehr nur als Konjunkturphänomene diagnostiziert waren, suchte man nach Hoffnungsstrategien. Am Schluss blieb neben dem Verkauf von Hundefutter und Konzerttickets nur noch die Paywall übrig, mit der man zusätzliche Einnahmen generieren will. Ermutigt  durch die Erfahrungen der New York Times mit mittlerweile 700'000 zahlenden Internetkunden, machten sich die Verlage auch in unseren Breitengraden an dieses Unterfangen. In Deutschland etwa gibt es positive Rauchsignale von der Paywall, die das Springer-Blatt Welt eingeführt hat. Hingegen werden konkrete Daten der in grossem Stil angekündigten und promoteten Paywall bei Bild hartnäckig unter Verschluss gehalten. Dies gilt gemeinhin als Zeichen, dass der Start harziger verläuft, als man es kommunizieren möchte. Die kostenpflichtigen «exklusiven» Inhalte von Bild+ beschränken sich übrigens auf besonders schlüpfrige und extrem aufgemotzte Boulevardgeschichten. Auch die NZZ will keine verlässlichen Zahlen über die mit der Bezahlschranke generierten Einnahmen veröffentlichen, sodass völlig widersprüchliche Zahlen kursieren. Als Nächstes stehen der Tages-Anzeiger und der Blick in den Startlöchern, wo bei der Vorbereitung dieses technisch komplizierten Abenteuers die selbst definierten Termine nicht eingehalten werden. Die Paywall, das Anrennen gegen die Ursünde der Verlage mit ihrer jahrzehntelangen Gratismentalität im Internet, hat gerade bei diesen Projekten besonders hohe Hürden zu überwinden. So hat die New York Times Erfolg, weil es sich um die beste Zeitung der Welt handelt, für deren Onlineangebot auch ich gerne 19,95 Dollar im Monat hinblättere. Bei einem weniger exklusiven Angebot würde ich hingegen passen – und stehe da nicht allein. So hat etwa der San Francisco Chronicle sein Paywall-Modell bereits zurückgefahren und bietet neu auch eine Gratisversion an. Und die Dallas Morning News wollen ihre Bezahlschranke demnächst ganz abschaffen. Offenbar sind die Angebote dieser Regionalblätter schlicht nicht gut genug, um dafür Geld im Internet abzugreifen. Auch die Situation in Deutschland lässt sich nicht mit derjenigen in der Schweiz vergleichen. Springer hat vor Jahren seine ganze finanzielle Macht eingesetzt, damit keine Gratisblätter entstehen, weil man dies als Bedrohung des eigenen Kerngeschäfts sah. Ringier und Tamedia hingegen wollen auch in diesen Gewässern fischen und verlegen die beiden grössten Gratisblätter des Landes. Damit fördern sie also genau jene Gratismentalität, die sie jetzt bekämpfen wollen. Da eine Paywall bei Blick am Abend und 20 Minuten undenkbar ist, sitzt also der gefährlichste Feind im eigenen Haus. Eine Strategie aber, die Qualität der Onlineangebote der eigenen Gratiszeitung zur Stärkung der geplanten Paywall der Bezahlprodukte weiter herunterzufahren, würde das selbst geschaffene Dilemma nur noch deutlicher werden lassen. Der letzte Rettungsanker jenseits vom Verkauf von Hundefutter oder der verspäteten Akquisition von mittlerweile überteuerten Stellenanzeigen-Portalen erscheint also für die beiden Schweizer Grossverlage zu einem beträchtlichen Risiko zu werden, bei denen die mit Blick auf die ausländischen Erfahrungen geschürten Erwartungen wohl enttäuscht werden. Denn das frühere kurzfristige Denken und Handeln entpuppt sich nun als unüberwindlicher Fallstrick für die Zukunft. Und deshalb ist die Prognose nicht allzu gewagt, dass die Paywall ein Reinfall wird.  
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