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Wutausbruch eines betrogenen Zeitungslesers

Gottlieb F. Höpli

Was bringt das kommende Wochenende? Wo könnte ich Musik hören, Theater oder Kleinkunst erleben? Wo gibt es in den Museen neue Sonderausstellungen? Das konnte man einst aus der Zeitung erfahren. Wer aber nicht gerade Fussballfan ist und somit nach Meinung der Verleger zu den intensivsten Zeitungslesern gehört, droht heutzutage immer häufiger leer auszugehen. Weder finde ich im Lokalteil meines Leibblatts die frühere Spalte mit den wichtigsten Veranstaltungen kulturellen Inhalts vom Wochenende wieder, noch gar Rezensionen dieser Veranstaltungen im dünnen Montag- oder Dienstagblatt. Wohlgemerkt: Auch nicht in den Online-Ausgaben des Mediums aus dem gleichen Verlagshaus – weit weg,  irgendwo im schweizerischen Mittelland.

Stimmt nicht ganz: Am Freitag erfahre ich immerhin vom Auftritt eines Duos im stadtnahen «Bären», das auf Pfannendeckeln Musik macht, und am Samstag wird mir eine Führung durchs Historische und Völkerkundemuseum empfohlen. Das war’s dann aber auch.  Wenn man davon absieht, dass der Kirchenzettel noch eine bis zwei Zeitungsseiten füllt. Der ist aber kein redaktioneller Inhalt. Insgesamt etwas gar wenig, nein, ganz einfach ein Hohn für das kulturelle und gesellschaftliche Leben einer Stadt mit einem Einzugsgebiet von 170'000 (Region) oder gar über 700'000 (Metropolitanraum Bodensee) Einwohnern. Mit einem Theater als Dreispartenbetrieb und zwei Spielstätten, einem renommierten Orchester, mehreren Kleintheatern, regelmässiger sakraler Musikveranstaltungen in der Kathedrale und der reformierten Hauptkirche, dazu viel Kleinkunst, Lesungen – alles, wenn auch zum Teil eingeschränkt, auch in Corona-Zeiten.

Keine Veranstaltungshinweise, keine Rezensionen, immer dünnere Blätter, dafür immer höhere Abopreise: Was für einen anderen Schluss kann ich daraus ziehen, als dass ich als Leser nicht mehr erwünscht, nicht mehr willkommen bin? Dass ich regelrecht und mit Absicht vergrault werden soll? Und nein: Ein reichhaltiges Online-Angebot, welches die einstige gedruckte Übersicht ersetzt, gibt es auch nicht.

So wird Kultur vollends zur Blase abseits der Öffentlichkeit, ohne die Frischluft der öffentlichen, der Medienkritik. So, wie einst musikalische und darstellerische Leistungen en détail gewürdigt wurden, wird heute höchstens noch die Performance der Fussballer bewertet. Wer will das wissen? Die Fussballfans aus dem Stadion, von denen die wenigsten ein Zeitungsabo besitzen (und auch nie eins besessen haben)? Ich jedenfalls nicht.

Aber die Lieblosigkeit, mit der über die Bedürfnisse der noch verbliebenen Leserinnen und Leser hinweggegangen wird, ist nur das eine. Die gab es tendenziell schon früher, weil in den Teppichetagen schon damals Leute sassen, die keine Zeitungsleser waren. Schliesslich hatten sie, als sie noch Waschmittel verkauften, auch nicht jeden Tag selber Wäsche gewaschen. Wozu sollten sie jetzt also täglich Zeitung lesen? Aber ihnen konnten selbstbewusste Redaktionen einst noch entgegenhalten, es gäbe nicht nur ein «Nice to have», sondern auch ein «Need to have». Heute zittert man auf diesen Redaktionen nur noch, ob man die nächste Sparrunde überleben wird.

Sinkende Verkaufszahlen sind für die erwähnte Sorte von Medienmanagern (es gab damals auch andere) der Beweis, dass es für Gedrucktes keine Zukunft gibt. Da lohnt es sich anscheinend auch nicht mehr, zu den bestehenden Kunden Sorge zu tragen. Den Tages-Anzeiger erhalte ich im dörflichen Bahnhofkiosk dreimal pro Woche, an den übrigen Tagen wird er schon gar nicht geliefert. Es darf geraten werden, wie lange ich das neckische Spiel mitmache. Die Verträgerorganisation streicht in meiner Agglomerationsgemeinde abgelegene Einfamilienhäuser von der Belieferung – es lohne sich nicht.

So vertreibt man Leser. Nach dem Motto «Hunde wollt Ihr ewig leben». Sind ja meistens nicht mehr die jüngsten, auch wenn sie noch gerne weitere zehn Jahre Zeitung läsen. Und man vergisst anscheinend, dass Abonnenten auch früher nicht auf den Bäumen wuchsen, sondern schon immer umworben werden wollten. Heute, wo der Aufwand für jegliche Kundenbindung unvergleichlich viel grösser ist als damals, legt man fatalistisch die Hände in den Schoss. Scheut jeden Franken, den man für die Pflege der Printleserschaft ausgeben müsste. Aktionen? Neukundenrabatte? Hat man vergessen, wozu einst der Fortsetzungsroman diente? Um die Leserinnen über den Abonnementstermin hinaus auf die Folter zu spannen, wie es denn weitergehe. Tempi passati.

So erhält man den Eindruck, in den Teppichetagen der grossen Medienhäuser sässen inzwischen Manager, deren einzige Aufgabe es sei, die Leserinnen und Leser von Gedrucktem zu vergraulen. Natürlich steht auf dem Schild neben ihrer Bürotür nicht «Printkiller». Sondern vielleicht «Digitale Transformation». Wo man ungestört Geld in grossem Stil verbrennt. Da müsste es eigentlich dem letzten denkenden, also: lesenden Menschen auffallen, dass hier nicht nur wirtschaftliche Substanz verloren geht, sondern auch kulturelle. Das bedruckte Papier, das vor über 500 Jahren am Anfang der Alphabetisierung, will sagen: des Aufstiegs des aufgeklärten, des selber denkenden Menschen stand.



Gottlieb F. Höpli ist ehemaliger Chefredaktor des St. Galler Tagblatts und heute Gastautor bei Die Ostschweiz.

Unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten vertreten ihre eigene Meinung. Sie deckt sich nicht in jedem Fall mit derjenigen der Redaktion. 

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Kommentare

  • Marlies Strech, 03.10.2020 21:24 Uhr
    Leider ist der Tages-Anzeiger kein Bisschen besser. Beispiel neuer Züritipp, Die so nützliche Uebersicht mit Kurzbeschreibung und -bewertung aller in Zürich laufenden Filme ist abgeschafft. Und weil das Heft nur alle zwei Wochen erscheint, wird man gebeten, das offizielle Kino-Programm in der zweiten Woche in der Tagespresse zu suchen.
  • Ueli Custer, 29.09.2020 08:02 Uhr
    Lieber Herr Höpli, leider hat Andreas Häuptli schlicht und einfach recht. Die ausgedünnten Inhalte sind eine direkte Folge der ausbleibenden Werbeeinnahmen, die einmal bis zu 80% der gesamten Einnahmen ausmachten. Heute sind es nicht einmal mehr 50%. Das sind Realitäten. Dass Sie als ehemaliger Chefredaktor des St. Galler Tagblattes diese Zusammenhänge einfach ausblenden, erstaunt mich schon etwas. Klar, während Ihrer Zeit als CR flossen die Einnahmen nach Belieben. Als ich Anfang der 70er-Jahre in der Publicitas St. Gallen für einige Grosskunden Inserate platzieren sollte, hatte ich selber gespürt, wie man die Kunden behandelte: Als Bittsteller, die auf die Gnade der Sachbearbeiter angewiesen waren, wenn sie es wagen sollten, Platzierungswünsche zu äussern. Diese Zeiten sind seit der Jahrtausendwende halt einfach definitiv und wohl für alle Zeiten vorbei.
  • Gottlieb F. Höpli, 27.09.2020 13:32 Uhr
    Das kommt mir irgendwie bekannt vor, lieber Herr Häuptli: Wenn von sinkenden Abozahlen die Rede ist, entschuldigen Sie sich mit sinkenden Werbeeinnahmen. Und wenn von schrumpfenden Werbeeinnahmen geschrieben wird, antworten Sie mit dem Hinweis auf sinkende Abozahlen. Dass am Zusammenhang zwischen den beiden Parametern auch Versagen der Printverantwortlichen schuld sein könne, ist anscheinend für Sie kein Thema.Schade; erklärt aber einen Teil der Misere.
  • Andreas Häuptli, 27.09.2020 11:39 Uhr
    Die Ursache für den Rückgang im Umfang bei den Verlagsleitern zu suchen ist komplett falsch. Print hat in den letzten 10 Jahren 1 Mia. an Werbevolumen verloren - nicht kumuliert, jährlich! Dadurch ist es schlicht nicht mehr möglich den früheren Umfang zu leisten, ob gedruckt oder digital. Die digitale Transfomation ist alternativlos. Nur so können die Leserinnen und Leser der Zukunft noch erreicht werden. Und ja, der Bund soll helfen, diese kritische Phase zu überbrücken. Dies mit indirekten Massnahmen für Print und Digital, welche die redaktionelle Unabhängigkeit nicht beeinflussen, wie dies im vorliegenden Medienpaket vorgesehen ist.
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