26.04.2012

Shitstorm

Neue Skala misst Sturmgefahr

Die Schweizer Erfinder im Interview.

Wie geht man am besten gegen einen drohenden Shitstorm vor? Die Antwort geben die Schweizer Social Media-Experten Daniel Graf und Barbara Schwede: "Ruhig bleiben und sich Zeit nehmen, die Dynamik auf Social Media genau zu beobachten", schreiben sie in ihrem Blog. An der Social Media Marketing Konferenz 2012 haben die beiden dazu eine eigens entwickelte Shitstorm-Skala vorgestellt. Anhand dieser lässt sich die Entwicklung eines Shitstorms nachvollziehen.

Die Skala orientiert sich an der berühmten Beaufort-Tabelle, welche Winde nach ihrer Stärke klassifiziert. Sechs Stufen ordnen die Reaktionen in Social Media und Medien aufsteigend ein.

In Deutschland war die Skala der zwei Schweizer am Donnerstag das grosse Gesprächsthema. Auch persoenlich.com wollte mehr zum Thema wissen und hat bei Daniel Graf und Barbara Schwede nachgefragt. Das Kurzinterview:

Wer soll diese Skala nun verwenden und wozu?

Barbara Schwede: Die Skala ist ein nützliches Arbeitsinstrument im Alltag von Social Media Managern und für die Ausbildung. Sie macht deutlich: Nicht jedes laue Lüftchen ist ein Shitstorm. Und nicht jeder kritische Post ist eine Krise. Negative Rückmeldungen gehören zu Social Media wie der Wind zum Wetter. Panik bei Kritik auf Facebook und Twitter ist also fehl am Platz.

Wie wird aus einer Brise ein Sturm wird. Was für Faktoren spielen?

Daniel Graf: Entscheidend ist der Wolfrudel-Effekt in der Community: Beisst sie zu? Oder lässt sie das Opfer laufen? Erst wenn sich eine vernetzte Protestgruppe herausbildet, wird es wirklich gefährlich. Eine Schlüsselrolle spielen die Medien. Die Berichterstattung über einen Shitstorm kann zur kritischen Masse führen, welche eine Kettenreaktion in Gang setzt. Merkmal dieser Negativspriale sind zunehmend beleidigende bis bedrohliche Kommentare.

Was für Fälle sind besonders gefährdet, sich zu einem Shitstorm zu entwickeln?

Daniel Graf: Grundsätzlich braucht es für die Entwicklung vom Lüftchen zum Orkan auch ein wirkliches Problem, ein Thema, das viele Menschen betrifft. Nur weil einmal in einem bestimmten Teil der Schweiz das Handy-Netz ausfällt, wird noch kein Shitstorm entstehen. Erst wenn dies wiederholt und in verschiedenen Regionen passiert, ist die Basis für starke Reaktionen vorhanden.

Barbara Schwede: Menschen wollen für das Gute einstehen: Sei es, wenn es bei Nespresso um fair gehandelten Kaffee geht oder um die Tötung von Strassenkötern vor der EM in der Ukraine. Beide Fälle sprechen emotional an, wir wollen helfen und andere schützen. Deshalb stehen in solchen Fällen die Chancen gut, dass sich viele zum “Mitstormen” motivieren lassen.

Interessieren würde ein Rezept, wie man solchen Entwicklungen entgegen wirken kann. Kann man einen Shitstorm noch aufhalten, wenn bereits eine leichte Brise herrscht?

Daniel Graf: Auch ein guter Community Manager ist kein Wetterkünstler. Los getretene Empörungswellen lassen sich kaum aufhalten, aber man kann die Wogen glätten. Die beste Reaktion im Krisenfall bleibt es, bei selbst verschuldeten Fehlern einfach “Sorry” zu sagen und zu zeigen, dass man es auch ernst meint.

Barbara Schwede: Hilfreich ist pro-aktives Verhalten. McDonald’s hat vergangenes Jahr ein Video, in dem das Unternehmen in den USA von einer Ärzte-Gruppe wegen zu viel Cholesterin in den Lebensmitteln angegriffen wurden, selbst auf die deutsche Facebookseite gestellt http://www.youtube.com/watch?v=Mx0IJnO3o8gYY. Der Konzern bat die Fans um ihre Meinung, bevor sich das Video von selbst ausbreiteten konnte. Interessanterweise fanden rund 80 Prozent der User das Video ungerechtfertigt und appellierten an die Eigenverantwortung.

Daniel Graf: In einer frühen Phase hat das Unternehmen die Möglichkeit, durch kluge Kommunikation den Fans die eigenen Position zu vermitteln. Falls eine Reaktion von Seiten der Firma nötig ist, sollte diese rasch erfolgen, wie der Fall von Mammut zeigt. Nach Kritik auf Facebook hat das Unternehmen die umstrittene Unterstützung für die CO2-Initiative zurückzogen.

Was waren die stärksten Schweizer Shitstorms des letzten Jahres?

Barbara Schwede: Eine schwierige Frage: Wirkliche Stürme oder gar Orkane gab es in letzter Zeit nicht. Der bekannte Mammut-Shitstorm war kaum mehr als Stufe 4. Auch die hitzige Diskussion über die VBZ-Tramwerbung blieb eine frische Brise. Hätten wir es mit einem Beate-Uhse-Tram statt mit einem Sunrise-Tram zu tun, sähe es vielleicht anders aus.

Sie werden von turi2 und anderen deutschen Branchenplattformen als Erfinder einer neuen Skala bezeichnet und auf meedia.de folgte ein Bericht. Wie kam es zu diesem grossen Interesse aus Deutschland?

Daniel Graf: In Deutschland haben sich vor kurzem PolitikerInnen zu Wort gemeldet, die sich über die Auswüchse von Shitstorms beklagen (vgl. spiegel.de}. Das Wort ist in aller Munde. Gleichzeitig gibt es in Fachkreisen zu wenig Analysen, die aufzeigen, wie sich Shitstorms entwickeln und was treibende Faktoren sind. Hier hilft die Skala weiter.

Wird Ihre Skala nun so berühmt wie die Richterskala?

Daniel Graf: Im Internet gelten die berühmten “15 seconds of fame”, um ein Zitat von Andy Warhol upzudaten. Im Ernst: Wir freuen uns natürlich, wenn Shitstorms in Zukunft mit unserer Skala beurteilt werden. Die lässt sich sicher noch weiter entwickeln. Eine Aufgabe der Community.

Text und Interview: Corinne Bauer.


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