10.03.2022

Rettet den Pfauen

«Alle gingen von einer Zitterpartie aus»

Der historische Pfauensaal im Schauspielhaus Zürich wird nicht herausgerissen: Der Gemeinderat hat den Umbauplänen eine Abfuhr erteilt. Verleger und Chefredaktor Matthias Ackeret kämpfte an vorderster Front gegen den Neubau.
Rettet den Pfauen: «Alle gingen von einer Zitterpartie aus»
«Durch unsere Aktion ging der Widerstand über die einzelnen Fachkreise hinaus, wurde sozusagen popularisiert», sagt Matthias Ackeret, Verleger und Chefredaktor von persönlich und persoenlich.com. (Bild: Walter Bieri)

Matthias, du hast dich mit dem Komitee «Rettet den Pfauen» gegen den Abriss des traditionalen Pfauen-Saals im Zürcher Schauspielhaus engagiert. Wie beurteilst du nun den deutlichen Entscheid – 75 gegen 39 Stimmen – des Zürcher Gemeinderats?
Freude herrscht, um den legendären Spruch unseres ehemaligen Bundesrates Ogi zu zitieren. Doch er trifft völlig ins Schwarze. Mit diesem deutlichen Ausgang hätte niemand gerechnet, alle gingen von einer Zitterpartie aus. Als die Gemeinderatskommission vor einer Woche schon klar gegen den Abriss votierte, deutete sich der Sieg im Rat zwar ab, aber eine Schlacht ist erst geschlagen, wenn sie geschlagen ist, um es ein bisschen paternalistisch auszudrücken. Entscheidend war wohl, dass die Grünen, der wichtigste Partner der SP, gegen den Abriss votierten und dass die SP, die sonst stramm hinter ihrer Stadtpräsidentin steht, Stimmfreigabe beschloss.

Du warst am Mittwochabend an der Gemeinderatssitzung vor Ort.
Ja, ich habe die Sitzung im Gemeinderat auf der Pressetribüne mitverfolgt und war nochmals überrascht, wie emotional aufgeladen die ganze Angelegenheit war. Am mutigsten fand ich SP-Gemeinderat Mark Richli, der die Ausführungen «seiner» Stadtpräsidentin als «Frechheit» bezeichnete und ihr «Gejammer» über den Untergang des Schauspielhauses bei einem Nichtabriss als «Arbeitsverweigerung» geisselte. Das war nicht nur grosses Theater, das war grosses Kino. Auch der ehemalige NZZ-am-Sonntag-Journalist und AL-Gemeinderat Willi Wottreng lief zu rhetorischer Höchstform auf. Und die SVP- und FDP-Vertreterinnen und -Vertreter – unter anderem mit Yasmin Bourgeois – setzten sich stark für das städtische Kulturleben ein. Verkehrte Welten. Dank dieses klaren Resultats kommt es jetzt nicht zu einer Volksabstimmung. 

Warum hast du das Komitee «Retten den Pfauen» lanciert?
Ich hatte vor einem guten Jahr auf Radio 1 und später auf persoenlich.com einen Kommentar gegen den geplanten Pfauenabriss gemacht und daraufhin überdurchschnittlich viele positive Reaktionen bekommen, unter anderem vom ehemaligen Intendanten Gerd Leo Kuck, der mir geschrieben hatte. Aufmerksam gemacht wurde ich über die Abrisspläne in einen NZZ-Artikel. Als ich daraufhin eine Schauspielhaus-Mitarbeiterin auf den geplanten Abriss ansprach, begann diese – ohne Scherz – zu weinen. Dies war die Initialzündung zu unserem Vorhaben. Daraufhin hatten wir den Slogan «Rettet den Pfauen» geschützt, und unsere Grafikerin Corinne Lüthi gestaltete eine Internetseite, auf welcher jeder sich mit seinem Namen gegen den Abriss engagieren konnte. Die Liste wurde täglich länger und länger, das war wirklich beeindruckend. In Zürich wurde es fast schon zur Glaubensfrage, ob man für oder gegen den Pfauen ist.

«Der Pfauen gehört zur DNA von Zürich»

Wer war im Komitee?
Mit den Mitkämpfern, dem exzellenten Werber Peter Lesch, dessen Vater die Kleine Niederdorfoper schrieb, die im Pfauen aufgeführt wurde, dem SP-Urgestein Bruno Kammerer, dem brillantesten Politstrategen im Mikrokosmos Zürich, und dem ehemaligen Condor-Chef Martin Fueter, Sohn der Schauspielhaus-Legende Anne-Marie Blanc, bildeten wir das Komitee gegen den Abriss. Wir waren der tiefsten Überzeugung, dass man so etwas Schönes nicht zerstören darf. Der Pfauen gehört zur DNA von Zürich. Und was weg ist, ist weg.

Aber ihr wart nicht die einzigen …
Überhaupt nicht. Das Unverständnis über die stadträtlichen Pläne, die eigentlich im Stillen lanciert worden waren, existierte bereits. Als erste opponierten SVP-Gemeinderat Stefan Urech und AL-Parlamentarier Edi Guggenheim im Stadtparlament gegen den Abriss. Aber die rote Mehrheit stellte sie buchstäblich in die Schmuddelecke. Vor allem der Heimatschutz, unter anderem mit Lydia Trüb und Evelyne Noth, das Künstler-Komitee «Pro Pfauen» von Beat Schläpfer oder auch die ETH-Architekten mit Professorin Silke Langenberg wehrten sich gegen diese absurden Abrisspläne. Der Widerstand war stark, auch bekannte Regisseure, Schauspieler, Intendanten äusserten ihr Unbehagen, später die anderen Parteien wie die FDP oder auch die EVP, ausländische Zeitungen wie die FAZ, die Süddeutsche oder der Spiegel berichteten darüber …

Dann hätte es «Rettet den Pfauen» ja nicht gebraucht.
Doch, ich glaube schon. Durch unsere Aktion ging der Widerstand über die einzelnen Fachkreise hinaus, wurde sozusagen popularisiert. Jeder oder jede, der oder die eine Verbindung zu Zürich oder zum Schauspielhaus hat, konnte sein Unbehagen äussern. Das war die Stärke dieser Aktion. Viele Zürcherinnen und Zürcher waren als Kind im Schauspielhaus, auch ich. Ich mag mich gut erinnern, wie ich 1977 mit unserer Sekundarklasse aus dem Zürcher Weinland Wilhelm Tell gesehen habe und tief beeindruckt nach Hause fuhr. Dank der sozialen Medien und der Mund-zu-Mund-Propaganda konnten wir auf unser Anliegen aufmerksam machen, täglich kamen rund 30 neue Unterschriften dazu. Und das brauchte vielfach auch Mut, weil man mit der Stadt, der Stadtregierung oder dem Theater verbandelt war.

«So viel zum Humorverständnis»

Weshalb Mut? Kannst du ein Beispiel machen?
Mutig fand ich beispielsweise Hanna Scheuring vom Bernhard-Theater, Astrid von Stockar vom Theater Winkelwiese oder der Pfauen-Wirt Rudi Bindella, die unterschrieben. Aber auch der langjährige Chef der Schauspielhausgarderobe, Ex-Stapi Ledergerber, Annemarie Frisch, die Ex-Frau der Starautoren, Samir, Jean Ziegler, Martin Walser oder Peter von Matt. Andere versprachen ihre Unterschriften, machten es am Ende aber doch nicht. Das ist auch okay. Am Ende äusserten so rund 1000 Personen ihr Unbehagen. Frau Mauch und Herr Odermatt, die sich stark für den Abriss einsetzten, fanden diese Form von urdemokratischer Meinungsbildung höchstwahrscheinlich nicht so lustig.

Warum?
Ich hatte in einem Tagi-Interview den Spruch «Dürrenmatt statt Odermatt» fallengelassen. Daraufhin hat mir ein SP-naher Kommunikationsmensch mitgeteilt, dass sei der infamste Spruch, den er gehört habe. So viel zum Humorverständnis. Und Frau Mauch hat ein Gespräch mit uns freundlich, aber bestimmt abgelehnt. Nachträglich vielleicht ein Fehler. Aber die Absage war zumindest freundlich.

Aber man kann ja auch anderer Meinung sein …
Unbedingt. Das Schauspielhaus engagierte einen Kommunikationsbeauftragten in dieser Angelegenheit. Und es gab mit Viktor Giacobbo, Roger de Weck, Sibylle Berg, Pipilotti Rist, David Schärer auch ein Gegenkomitee, das für einen Neubau plädierte. Das ist doch vollkommen in Ordnung, das ist Demokratie. Abgesehen von David wollte sich aber niemand so richtig öffentlich äussern. Vielleicht, weil deren Aktion am Ende doch zu wenig aus dem Bauch herauskam.

Was sagst du zum vielgehörten Vorwurf, in diesem alten Saal könne man kein Welttheater mehr spielen?
Ich glaube, er ist falsch. Zumal gerade in den letzten 80 Jahren im Pfauen Theater gespielt wurde, das diesen Namen verdiente. Ich will die grossen Namen, die diesen Weltruhm begründeten, nicht mehr aufzählen. Es ist auch nicht so, dass wir aus dem Schauspielhaus ein Museum machen wollen. Es ist einfach ein wunderbarer Saal, auf welchen jede andere Stadt stolz wäre. Das Berliner Ensemble von Brecht reisst doch auch niemand ab. Aber diese Diskussion ist jetzt passé. Ich hoffe nur, dass Frau Stadtpräsidentin Mauch, Herr Odermatt und der Verwaltungsrat des Schauspielhauses nach diesem deutlichen demokratischen Verdikt bei der Sanierung mit dem gleichen Engagement dabei sind, wie sie es beim Abriss gewesen wären. Die Neugestaltung des Kongresshauses, das genau gleich aussieht wie vorher, und die vielen positiven Reaktionen darauf zeigen doch, dass es mit einem bisschen guten Willen auch in Zürich geht. Irgendwann werden alle froh sein, dass man den Pfauen nicht abgerissen hat.

 


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KOMMENTARE

Jost Wirz
11.03.2022 11:49 Uhr
Ich gehe häufig ins Schauspielhaus, von den Unterzeichnenden habe ich aber interessanterweise selten eine oder einen gesehen.
Kommentarfunktion wurde geschlossen

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