18.10.2020

Serie zum Coronavirus

«Die Leute sind verrückt nach Kultur»

Brigitte Roux beleuchtet seit Freitag bis am 21. November jeden Abend das Bundeshaus. Wie kommt man in diesen Zeiten dazu? Die Initiantin sagt in Folge 128 unserer Serie, wie sich die Sicherheitsvorkehrungen auf den Grossanlass auswirken werden.
Serie zum Coronavirus: «Die Leute sind verrückt nach Kultur»
Brigitte Roux ist Initiantin des «Rendez-vous Bundesplatz». Die Fassade des Bundeshauses wird vom 16. Oktober bis 21. November als Projektionsfläche für eine magische, halbstündige Sound-and-Light-Show dienen. (Bilder: zVg.)
von Matthias Ackeret

Frau Roux, Sie haben erst am 9. September, also nur einen guten Monat vor Beginn des Events, erfahren, dass dieser überhaupt durchgeführt werden kann. Wie geht man mit dieser Unsicherheit um?
Wir haben im Januar mit den Arbeiten am nächsten «Rendez-vous Bundesplatz» begonnen, und ich habe neun Monate lang schlecht geschlafen und mir viele Gedanken gemacht. Zu Beginn der Pandemie waren wir ja noch einigermassen optimistisch. Bis Oktober sei noch eine lange Zeit, dachten wir, und die Lage werde sich bis dann normalisieren. Aber später wurde uns bewusst, dass sich noch gar nichts normalisiert hatte. Wenn der Entscheid nicht Anfang September gefallen wäre, hätten wir den Anlass nicht durchführen können – auch so ist die Zeit knapp. Wir sind sehr glücklich, dass wir der Bevölkerung nun zum zehnten Mal dieses Spektakel präsentieren können.

Was wären die Auswirkungen gewesen, wenn das «Rendez-vous Bundesplatz» abgesagt worden wäre?
Dann hätten wir alles auf nächstes Jahr verschieben müssen.

Zweifellos sind schon erhebliche Kosten aufgelaufen. Wer wäre denn für diese geradegestanden?
Sie wären zu einem rechten Teil an mir hängen geblieben. Aber immerhin sind die hervorragenden Künstler, die auf das «Rendez-vous» hinarbeiten, gottenfroh, dass sie etwas zu tun hatten. Andere sind nicht in einer solchen Lage.

«Die Wertschöpfung für Bern beträgt dank unserem Anlass rund zehn Millionen Franken»

Apropos Kosten: Für die Durchführung des Lichtspektakels 2020 wurde Ihnen eine Erhöhung des Beitrags der Stadt Bern um 70'000 auf 250'000 Franken in Aussicht gestellt. Diese Aufstockung ist nun akut gefährdet. Überlebt das «Rendez-vous Bundesplatz» trotzdem?
Unsere wichtigsten Partner sind das Kulturprozent der Migros-Genossenschaft Aare und die Stiftung Vinetum. Aber die Stadt müsste ein vitales Interesse an unserer Veranstaltung haben. Denn gemäss einer Studie, welche das Migros-Kulturprozent finanziert hat, beträgt die Wertschöpfung für Bern dank unserem Anlass rund zehn Millionen Franken: Viele Besucherinnen und Besucher reisen aus der ganzen Schweiz an, essen hier im Restaurant, geben Geld in den Läden aus, fahren vielleicht auf den Gurten oder gehen ins Museum. Und einige übernachten sogar in Bern. So profitiert vor allem die Gastronomie, die ja bekanntlich besonders unter der Corona-Pandemie leidet. In diesem Jahr wird die Wertschöpfung wegen der Coronakrise und dem grossen Schutzkonzept für die Stadt sicher weniger hoch sein.

Das «Rendez-vous Bundesplatz» 2020 ist bewilligt, aber Sie mussten zusammen mit der Stadt Bern ein striktes Sicherheitskonzept ausarbeiten. Wie sieht dieses aus?
Von drei Wartezonen aus führen drei separate Eingänge auf drei voneinander abgetrennte Zonen, in denen jeweils 300 Zuschauerinnen und Zuschauer Platz finden, total 900 pro Vorstellung. Es wird drei bis vier Vorstellungen pro Abend geben. Alle Besucherinnen und Besucher sind verpflichtet, Masken zu tragen, und sie müssen sich mittels eines Tracking-Systems (get-entry) mit QR-Code registrieren lassen. Die Eingänge sind auf dem Bärenplatz, in der Schauplatzgasse und in der Amtshausgasse. Die Ausgänge gehen in beiden Richtungen die Bundesgasse hinauf und hinunter, sodass sich jene, die ankommen, nicht mit jenen kreuzen, die weggehen. Der Verkauf von Street Food in Food Trucks, wie wir ihn in früheren Jahren hatten, entfällt. Und es werden Polizei, Securitas und Freiwillige von SwissVolunteers im Einsatz stehen.

Letztes Jahr haben mehr als 550'000 Besucherinnen und Besucher das «Rendez-vous» gesehen, das sich rund um die Mondlandung vor fünfzig Jahren drehte. Dieses Jahr werden trotz mehr Vorstellungen nur gut 117'000 Leute in den Genuss des Spektakels kommen. Das wird notgedrungen zu Frustrationen führen.
Ja, das ist uns absolut bewusst. Aber die Alternative wäre gewesen, das «Rendez-vous» gar nicht durchzuführen, und das wäre sehr schade gewesen. Wir können den Leuten nur raten, früh zu kommen und halt auch längere Wartezeiten in Kauf zu nehmen. Der Anlass kostet übrigens keinen Eintritt. Aber wie ich im Vorfeld bemerkt habe, sind die Menschen in diesem Jahr süchtig nach Kultur. Ich glaube, dass die Kultur bis jetzt stiefmütterlich behandelt wurde, sie ist genau gleich systemrelevant wie eine Fluggesellschaft.

«Lichtkunst, das war meine neue Passion»

Wie sind Sie eigentlich auf die Idee mit dieser Lichtschau der Superlative gekommen?
Ich war während Jahrzehnten Eigentümerin einer Kommunikations- und PR-Agentur. Auf Madeira, in der Hauptstadt Funchal, erlebte ich 2006 einen Advents-Lichterzauber, welcher mich begeisterte. Ich kam nach Hause und gründete die Firma Starlight. Lichtkunst, das war meine neue Passion, und ich begann, mich intensiv damit auseinanderzusetzen. Wenn Sie sich wie die meisten solchen Shows auf Bild und Ton beschränken, fehlt eine Dimension; entscheidend ist, dass man auch eine Geschichte erzählt.

Dieses Jahr lautet der Titel Ihrer Installation «Planet Hope».
«Planet Hope» ist ein Schiff, ähnlich wie die Arche Noah, das zu verschiedenen Schauplätzen führt. Wir setzen uns mit den Regenwäldern auseinander, mit Sonnen-, Wind- und Wasserkraft, mit der Erderwärmung, mit der Erschliessung neuer, fruchtbarer Anbaugebiete, um die Menschheit weiterhin ernähren zu können. «Planet Hope» soll, wie der Name sagt, auch Hoffnung machen, dass wir unsere Entwicklung in den Griff bekommen.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Das war sicher das bange Warten auf den Entscheid zur Durchführung unseres Anlasses. Ich wusste genau: Wenn ich nicht bis spätestens 9. September das Go habe, schaffe ich es nicht mehr, alles aufzugleisen. Aber als ich dann grünes Licht bekam, schlief ich trotzdem nicht besser, denn jetzt muss noch wahnsinnig viel vorbereitet werden.



Brigitte Roux war über 35 Jahre in der Kommunikationsbranche tätig. Sie ist Gründerin und Inhaberin der auf Licht- und Tonanimation spezialisierten Firma Starlight Events in Kilchberg. Das jährliche Licht- und Tonspektakel «Rendez-vous Bundesplatz» gehört zu den meistbesuchten Events in der Schweizer Hauptstadt.

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com regelmässig eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.



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