28.05.2020

Serie zum Coronavirus

«Halleluja – ich bin wieder voll und ganz Journalist»

Am Samstag wird das TeleZüri-Aushängeschild Markus Gilli 65 Jahre alt. In Folge 53 sagt der Chefredaktor von TeleZüri, Tele M1 und TeleBärn, auf was er sich nun besonders freut. Ausserdem blickt er zurück auf die letzten Krisenwochen – und die Zürcher Jugendunruhen vor genau 40 Jahren.
Serie zum Coronavirus: «Halleluja – ich bin wieder voll und ganz Journalist»
Markus Gilli begann seine journalistische Laufbahn 1980 bei Radio 24, 1999 wechselte er zu TeleZüri. Seit 2014 ist er Chefredaktor von TeleZüri, Tele M1 und TeleBärn. (Bild: CH Media)
von Matthias Ackeret

Herr Gilli, am Samstag werden Sie 65. Wie fühlt sich das an?
Ich spüre nichts. Das ist doch ein gutes Zeichen. Die Gelenke haben keinen Rost angesetzt und der Geist ist wach …

Sie gehören – bürokratisch gesprochen – ab diesem Wochenende zur «Risikogruppe». Nimmt man dies überhaupt wahr?
Überhaupt nicht. Für mich alles surreal. Auch jüngere und gesunde Menschen sind in der Coronakrise schwer erkrankt. Wir wissen über dieses Virus noch sehr wenig. Ich halte mich an die Hygiene- und Sicherheitsmassnahmen und sehe mich nicht als jüngstes Mitglied einer Risikogruppe.

Wie feiern Sie diesen Tag?
Die Feierlichkeiten sind wegen Corona vertagt – auch intern. Wir werden erst im Spätsommer ein Fest mit dem Team steigen lassen.

Sie treten nun als Chef bei TeleZüri ab, moderieren aber weiterhin Sendungen. Inwiefern wird dies Ihr Leben verändern?
Ich freue mich sehr auf diesen neuen Lebensabschnitt. Oft musste ich Vorbereitungszeit für Talksendungen zwischen Sitzungsterminen, Bürokratie und vielen anderen Aufgaben erkämpfen. Das ändert sich nun. Ich kann mich mit ganzer Kraft «TalkTäglich» und dem «SonnTalk» widmen – spannenden Themen und Gästen. Zurück zu den Wurzeln und meiner Passion. Halleluja – ich bin wieder voll und ganz Journalist.

«Wir sind alle unter Hochdruck aus der Komfortzone katapultiert worden»

Ihr Rücktritt fällt in eine äusserst bewegte Zeit. Wie haben Sie die ganze Coronakrise erlebt?
Diese Krise hat meine gesamte Vorstellungskraft überfordert. Das globale Ausmass, das enorm hohe Tempo. Wir sind alle unter Hochdruck aus der Komfortzone katapultiert worden. Als Medienunternehmen waren wir von der ersten Minute an stark gefordert. Die Vermittlung von Informationen, Ratschlägen, Einordnungen sind für mein Team und mich zentral. Ich bin sehr stolz auf meine Mitarbeitenden, die grossartig reagiert und auch ganz neue Abläufe und Kommunikationswege entwickelt haben.

Als TV-Moderator gibt es eigentlich kein Homeoffice. War Ihr Alltag stark beeinträchtigt?
Moderatoren-Homeoffice aus der eigenen Küche ist schwierig … Wir haben sofort reagiert und das Talkstudio nach Corona-Richtlinien umgestaltet sowie strenge Hygiene-und Sicherheitsmassnahmen in unserem Betrieb realisiert. Das Arbeitsvolumen war am Anfang enorm. Sehr bald haben sich die neuen Abläufe aber eingespielt.

Sie haben für verschiedenen Arbeitgeber gearbeitet: von Roger Schawinski über die Tamedia bis zu Peter Wanner. Was waren die grössten Unterschiede?
Mit Roger Schawinski erlebte ich die grossen Pionierphasen im Radio und Fernsehen – empfand mich immer auch als Pirat und Stachel im Fleisch des medialen Monopols durch die SRG. Roger war der Patron, der mediale Torpedo – sehr vieles auf seine Person zugeschnitten und zugespitzt. Kurze Entscheidungswege, viel Dynamik – manchmal auch etwas Chaos … Mit Tamedia erlebte ich einen perfekt strukturierten Grossverlag, einen sehr printlastigen Konzern. Auch in diesem Unternehmen bestanden viele persönliche Beziehungen – aber alles war grösser, besonders die Anzahl der Berater … Peter Wanner zeigte Mut und Herzblut mit der Übernahme von TeleZüri, TeleBärn und Radio 24. Die elektronischen Medien spielen eine viel grössere Rolle als in der Tamedia. Hier erlebe ich in diesem Bereich Expansion und den Glauben an die Zukunft. CH Media ist auch deshalb glänzend aufgestellt.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten 40 Jahre?
Es gab sehr viele. Eine Szene werde ich nie mehr vergessen: das Grounding der Swissair. Wir realisierten am Mittag für Tele24 eine Spezialsendung vom Flughafen Zürich. Und dann diese Lautsprecherdurchsage: die Swissair habe ihren Betrieb eingestellt. Weinende Mitarbeitende, protestierende Piloten, fassungslose Passagiere. Ich kriege noch heute Hühnerhaut beim Gedanken an diesen Tag.

«Als Greenhorn wurde ich ins kalte Wasser und in den Tränengasnebel geworfen»

Vor genau 40 Jahren, am 30. Mai 1980, begannen die Zürcher Unruhen, wo Sie selbst an der Front waren. Inwiefern prägte dies Ihr journalistisches Verständnis?
Zwei Monate nach meinem Start bei Radio 24 brachen die Unruhen aus. Ich war als Reporter unterwegs – wir prägten eine neue Live-Form der Berichterstattung. Als Greenhorn wurde ich ins kalte Wasser und in den Tränengasnebel geworfen. Die Erfahrungen bei den Unruhen und jahrelang als Zeitzeuge des Drogenelends in Zürich haben mich journalistisch und menschlich geprägt.

Zurück zur Gegenwart: Was war für Sie das wichtigste Erlebnis in der ganzen Corona-Zeit?
Corona ist für mich auch ein Quick-Test unserer Gesellschaft. Innert kurzer Zeit erkenne ich, wie Leute ticken, wie gesamtheitlich und sozial sie denken können und wie ausgeprägt egomanische Züge vorhanden sind. Einfache Antworten gibt es in dieser Krise nicht.



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.

 



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