06.07.2020

Serie zum Coronavirus

«In der digitalen Welt versteht man Karikaturen anders»

Folge 79: Karikaturist Silvan Wegmann hat eine grenzüberschreitende Karikaturenausstellung initiiert, die wiedereröffnet wurde.
Serie zum Coronavirus: «In der digitalen Welt versteht man Karikaturen anders»
Als selbständiger Karikaturist zeichnet Silvan Wegmann zwischendurch gerne eine «kleine Frechheit». Oder sich selbst. (Zeichnung: Silvan Wegmann)
von Matthias Ackeret

Herr Wegmann, gibt die Corona-Zeit für einen Karikaturisten viel her?
Sie gibt sehr viel her. Erst dachte ich noch, dass es sich wohl ziemlich schnell erschöpfen wird mit Coronakarikaturen. Doch es mangelte nie an Ideen. Die Dynamik des Themas war enorm. Der Informationsbedarf war derart riesig, dass täglich sehr viele News erschienen, welche auch uns Karikaturisten zu vielen Ideen verhalf. Ich betreute während des Lockdowns einen extra eröffneten Corona-Instagram-Account der Schweizer Karikaturisten (Anm. d. Red: persoenlich.com hatte darüber berichtet). Innerhalb eines Monats posteten wir 449 Karikaturen zum Thema und erreichten innert kürzester Zeit um die 1800 Follower. 

Welche Personen und auch Situationen haben Sie in den letzten Wochen vor allem karikiert?
Es drehte sich fast nur um Corona. Während des Lockdowns waren es zu 100 Prozent Karikaturen dazu. Zwischendurch drängte sich natürlich auch Trump in den Fokus, aber längst nicht mehr wie in den Jahren zuvor. Es waren auch meistens Karikaturen rund ums Thema Corona und eher weniger zu den Protagonisten die in diesen Zeiten auftraten wie Koch oder Berset.

Sind die Leute in diesen Zeiten empfindlicher – oder politisch korrekter  geworden?
Aufmerksamer. Der Effekt der Coronakirse ist ja, dass sich die Menschen viel mehr informieren wollen und das glücklicherweise auch zusehends über «seriöse» Medien. Die Menschen sogen teilweise die News richtig auf und waren auch sehr dankbar über die Karikaturen zum Thema, die die anfänglichen grossen Unsicherheiten mit etwas Ablenkung durchbrachen. Politisch korrekter, scheint mir, wurde deswegen niemand. Anfangs waren die SchweizerInnen sehr diszipliniert und hielten sich an die Vorgaben des Bundes und der Behörden, typisch schweizerisch ruhig, korrekt und den Institutionen vertrauend. Empfindlicher hingegen wurden die Menschen teilweise durchaus. Einige outeten sich als sehr medienkritisch hin zu Verschwörungstheoretikern. Was man dann als Karikaturist oft über Leserbriefe oder direkt per Mail zu hören und lesen bekommt. Da wird man schon einmal ziemlich beschimpft. Jedoch waren die positiven Reaktionen bei Weitem grösser.

Wie sieht es wirtschaftlich aus? Merken Sie, dass alle sparen?
Natürlich merkt man, dass alle sparen. Praktisch alle Medienhäuser für die ich arbeite, führten rasch Kurzarbeit ein, da bei ihnen der Inserateanteil massiv wegbrach. Ich habe das Glück, weiterhin meine Karikaturen in Zeitungen veröffentlichen zu können. Das sind quasi Stammplätze, die ich allwöchentlich habe. Total weggebrochen sind die Aufträge aus der Privatwirtschaft, von KMU, Werbeagenturen, die ich ab und zu zusätzlich hatte.

Wie viele Karikaturisten können in der Schweiz überhaupt noch von Ihrem Beruf leben?
Ich pflege zu sagen und schätze so um die acht, wahrscheinlich etwas mehr. Genau beziffern kann man das natürlich nicht. Wir haben vor 12 Jahren den Verein «Gezeichnet» gegründet und stellen immer im Dezember im Museum für Kommunikation Bern die besten Karikaturen des Jahres aus. Da nehmen inzwischen alle Schweizer Pressezeichner teil. 2019 waren es genau 50. Davon arbeiten aber viele noch anderweitig meist in gestalterischen Jobs wie beispielsweise Grafiker. Aber was heisst schon davon leben können? Die meisten sind selbständig und können oder müssen teilweise zwangsläufig mit weniger auskommen. Das Monatseinkommen schwankt da ziemlich stark. Ein paar bewegen sich da durchaus an Schmerzgrenzen. Es gibt auch ganz wenige festangestellte Karikaturisten mit üblichen Anstellungsverhältnissen.

Was sind momentan die grössten Herausforderungen in Ihrem Job?
Wie für alle im Journalismus  wir sind ja nichts anderes als zeichnende Journalisten  der digitale Umbruch. Nicht nur, dass deswegen die Zeitungen finanzielle Probleme haben und es durch Zusammenlegungen weniger Angebote für Karikaturisten gibt. Nicht zu unterschätzen ist auch die grössere Reichweite durch die Digitalisierung. Die Karikaturen erreichen sehr schnell ein viel grösseres Publikum und können aus dem ursprünglichen Kontext herausgerissen werden und das Verständnis verunmöglichen. So passiert es schnell einmal, dass sich Menschen aufregen ohne den Hintergund der Karikatur zu kennen.

Sie haben gerade eine Ausstellung im grenznahen Bonndorf mit Karikaturen deutschen und Schweizer Karikaturisten wiedereröffnet. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen? 
Die Idee hatte Susanna Heim, Kulturreferentin des Landkreises Waldshut, im Schloss Bonndorf für mal eine Karikaturenausstellung zu zeigen. Da wir uns aus früheren Zeiten bei der Aargauer Zeitung kennen, kam sie auf mich zu, ob ich ihr quasi als Berater helfen könnte. Da ich alle die Schweizer Karikatur*istinnen kenne – die Szene ist ja auch überschaubar – und auch Mietglied in der deutschen Cartoonlobby bin, konnte ich vor allem bei den Einladungen helfen.

Sehen Schweizer und deutsche Karikaturisten die Welt anders?
Karikaturisten sind grundsätzlich sehr neugierig und hinterfragen alles und jeden, natürlich immer mit dem kulturellen Background des eigenen Heimatlandes. Der Unterschied zwischen Deutschen und Schweizern ist viel kleiner als man oft meint. Natürlich ist der politische Hintergrund nicht der gleiche, das merkt man am ehesten in den Karikaturen, wenn ein Deutscher hier und ein Schweizer dort schärfer zeichnet oder den Einen ein Thema sehr stark beschäftigt während es den Anderen kalt lässt. Beispiel Europapolitik, da sind wir unterschiedlich betroffen oder Paradebeispiel Fluglärm. Da kann dann auch mal ein Klischee sehr nützlich sein.

Wer ist böser?
Wahrscheinlich der österreichische Karikaturist. Nein, das kann man nicht sagen, je nach Thematik ist das anders. Entscheidend ist oft die Zeitungsredaktion, was lässt sie zu und wo setzt sie Grenzen. Da gibts gewisse Unterschiede, die heute aber auch nicht mehr so gross sind. Und jede, jeder Karikaturist*in – diese Gender-Sternchen schreien auch nach einer Karikatur – ist selbstverständlich unterschiedlich böse oder sarkastisch.

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Ein Highlight der Ausstellung ist «Mutti» Merkel als Mutter Helvetia (siehe oben). Wie kommt dieses Sujet in Deutschland an?
Wohl zuerst etwas verwirrend. Was soll das? Mutter Helvetia meets Mutti Angela. Würden die beiden Länder fusionieren liefe es wahrscheinlich auf so etwas hinaus. Eine Verschmelzung zweier bekannter nationaler Figuren.

Wo verbringen Sie diesjährigen Sommerferien?
Wir gönnen uns tageweise time-outs zu Hause in der Region Baden, an oder in der Limmat oder machen Kurztrips in der Schweiz. Wozu auch im Sommer weit verreisen. Viele sind weg, was alles so schön «unhektisch» macht. In der Regel. 2020 wird da wohl anders. Und als selbständiger Karikaturist zeichnet man zwischendurch dennoch mal eine kleine «Frechheit», welche in einer Zeitung erscheint.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Meine Tochter beendet gerade ihre Grundschulkarriere und startet im August eine Ausbildung in Tourismus und Kommunikation. Ein grosser Umbruch für uns alle. Das Leben bleibt spannend.


Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.



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