11.10.2023

Jean-Remy von Matt

«Meine Frau mochte die Uhr nie»

Jean-Remy von Matt gehört zu den erfolgreichsten Werbern Europas. Nun widmet sich der 70-jährige Schweizer der Kunst. Im Zürcher Cabaret Voltaire stellt er am Mittwoch sein neuestes Modell der Lebenszeituhr vor.
von Matthias Ackeret


Herr von Matt, Sie stellen in Zürich Ihre neueste Lebenszeituhr vor, «The Hourglass of Life». Wie muss man sich diese vorstellen?
Meine erste Lebenszeituhr, die «Carpe Vitam Clock», ist eine digitale Skulptur, die die individuelle Lebenserwartung in Sekunden herunterzählt. Bei der neuen Uhr geht es genauso um das Sichtbarmachen von Vergänglichkeit, aber sie bildet als virtuelle Sanduhr sozusagen das ganze Leben ab. Der Sand symbolisiert sowohl die Zeit, die man schon verlebt hat, als auch die Zeit, die einem noch bleibt.

Sie beschäftigen sich schon länger mit dem Thema Zeit und Vergänglichkeit. Handelt es sich hier um Altersmelancholie?
Vielleicht ein bisschen, denn mit der eigenen Vergänglichkeit beschäftigt man sich in der ersten Lebenshälfte eher wenig. Ich bin aber überzeugt, dass die Wahrnehmung von Endlichkeit unsere Sinne schärft. Wenn nur noch drei Pralinen in der Schale sind, essen wir sie noch bewusster. Und wenn nur noch drei Kugeln im Lauf sind, zielen wir noch sorgfältiger.

«Warum zählen wir eigentlich die Jahre, die hinter uns liegen?»

Wann haben Sie erstmals den Gedanken gefasst, eine Lebenszeituhr zu bauen?
Es war ein Geburtstag in den 1990er-Jahren, an dem ich mir die Frage stellte: Warum zählen wir eigentlich die Jahre, die hinter uns liegen? Viel spannender ist doch, was vor uns liegt.

Und Sie selbst haben bei sich zu Hause auch eine aufgestellt?
Es hat dann etwas gedauert, bis ich den ersten Prototyp herstellen konnte, da es damals gar nicht so einfach war, an ein digitales Zählwerk zu kommen. Diesen Prototyp stellte ich dann in unserem Wohnzimmer auf und war erstaunt, wie viele Reaktionen er erzeugte. Allerdings waren die meisten Besucherinnen und Besucher erst skeptisch bis geschockt.

Wie reagierte Ihre Frau auf diese Uhr?
Meine Frau mochte die Uhr nie und hat sie immer mit einem Tuch abgedeckt. Sie meinte: Ich möchte nicht ständig damit konfrontiert sein, dass es dich irgendwann nicht mehr gibt. Gibt es eine schönere Liebeserklärung?


Indiskret gefragt: Wie hoch ist Ihre Lebenserwartung?
Man unterscheidet zwischen der Lebenserwartung bei der Geburt und der sogenannten ferneren Lebenserwartung, da diese mit jedem überlebten Jahr etwas mitwächst. Bei der Geburt hatte ich rund 78 Jahre, jetzt als 70-Jähriger dürfte ich laut Statistik aber etwa 85 Jahre erreichen. Wir werden sehen.

Wie messen Sie eigentlich die Lebenszeit? Gibt es da statistische Vorgaben?
Es gibt verschiedene Quellen, um die durchschnittliche Lebenserwartung zu ermitteln. Einerseits die von jedem Land erhobenen Statistiken, andererseits die Berechnungen der sogenannten Aktuare, das sind Spezialisten, mit denen die Versicherungsindustrie zusammenarbeitet.

Wie viele Uhren haben Sie bereits verkauft oder verschenkt?
Verkauft habe ich etwas mehr als fünfzig. Ein paar habe ich verschenkt, zuletzt an eine der beliebtesten Schauspielerinnen Indonesiens, die ich in Zürich kennengelernt hatte. Offen gesagt in der Hoffnung, dass sie ihre Uhr auf Instagram postet, wo sie fast zehn Millionen Follower hat. Hat sie leider nicht gemacht, aber sich sehr nett bedankt. Zumindest konnte ich über die Carpe Vitam Clock in ihr Schlafzimmer gelangen.

«Die gute Zusammenarbeit hilft mir, mein Verhältnis zu meiner Heimatstadt wieder aufzuhellen»

Sie präsentieren nun «The Hourglass of Life» in Ihrer Heimatstadt Zürich. Das ist keineswegs selbstverständlich, da Sie zur Schweiz und vor allem zu Zürich ein gespaltenes Verhältnis haben.
Zürich ist Zufall, da ich dort auf ein spannendes Start-up gestossen bin, das spontan Interesse an meinem Projekt gezeigt hat. Und zwar Vivents, gegründet von Sarah Schlagenhauf. Sie hat einen innovativen Marktplatz für Kunst und NFTs geschaffen und im Frühjahr schon das «Crypto-Vreneli» sehr erfolgreich lanciert. Die gute Zusammenarbeit hilft mir, mein Verhältnis zu meiner Heimatstadt wieder aufzuhellen. Gespalten war es, weil ich dort die bisher erfolgloseste Zeit meines Lebens verbracht habe, die Schulzeit.


War für Sie der Wechsel von der Werbung in die Kunst schwierig?
Ich war überrascht, wie konservativ die Kunstszene ist und wie skeptisch man einem Quereinsteiger begegnet. Andererseits hatte ich auch hier Glück und konnte meine ersten Arbeiten schon bald im renommierten ZKM in Karlsruhe ausstellen. Und gerade bin ich Teil einer grossen Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast.

Wie viel Lebenszeit haben wir nun für dieses Interview gebraucht?
Ich habe nicht auf die Uhr geschaut, aber es war eine freudvolle und damit gut investierte Zeit.



Der Werber, Unternehmer und Künstler Jean-Remy von Matt wurde in Brüssel geboren und wuchs in Zürich auf. 1991 gründete er zusammen mit Holger Jung seine Werbeagentur Jung von Matt. 2002 wurde von Matt zusammen mit Holger Jung in die Hall of Fame der deutschen Werbung aufgenommen. Jean-Remy von Matt lebt mit seiner Frau in Berlin-Mitte.

Das ausführliche Interview lesen Sie in der aktuellen persönlich-Printausgabe. Dort finden Sie auch ein Interview mit Sarah Schlagenhauf, CEO & Founder von Vivents.

 

 



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