13.03.2024

SRF

«Wir hatten keine einzige Drehgenehmigung»

Medienschaffende haben in Afghanistan einen schweren Stand. Die «DOK»-Autorin Monica Suter konnte Schweizer Ärzte auf einer Reise begleiten. Sie gewann so unerwartete Einblicke in eine Gesellschaft, die weitgehend von der Weltöffentlichkeit ausgeschlossen ist.
SRF: «Wir hatten keine einzige Drehgenehmigung»
«In den Regierungsämtern war ich erwartungsgemäss stets die einzige Frau weit und breit», so Monica Suter, Autorin von «SRF DOK», hier mit Schönheitschirurg Enrique Steiger. (Bilder: zVg)

Monica Suter, für einen «SRF DOK» reisten sie nach Afghanistan. Hatten Sie keine Angst?
Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich in den letzten zwei Jahren deutlich verbessert. Zudem hat die Tatsache, dass der Schweizer Arzt Enrique Steiger Afghanistan gut kennt und auf Einladung der Taliban reiste, mir ein sicheres Gefühl gegeben. Unsicher war ich bei der Übernachtungssituation. Doch das Hotel glich einer Festung, das hat mir Sicherheit vermittelt.

Am Anfang des Films steigen Sie in ein gepanzertes Fahrzeug. Fühlten Sie sich auch während der Dreharbeiten sicher?
Die grösste Bedrohung im Land sind zurzeit die Isis-Korasan, eine Splittergruppe des IS. Sie sind die Hauptgegner der Taliban. Es war nicht anzunehmen, dass sie uns etwas antun würden.

Im Film begleiten Sie den Schweizer Schönheitschirurgen Enrique Steiger und sein Team. Er will in Afghanistan medizinisches Personal ausbilden. War es einfach, dafür eine Drehgenehmigung zu erhalten?
Wir hatten keine einzige Drehgenehmigung. Es wäre viel zu aufwendig, nahezu unmöglich gewesen, diese vielen Genehmigungen einzuholen. Ich war vor 23 Jahren schon einmal in Afghanistan und habe mehrere TV-Beiträge ohne Vorbereitung realisiert. Ich habe darauf vertraut, dass schon einiges möglich sein wird. Und meine Produzentin Nathalie Rufer hat mich mit ihrem Vertrauen unterstützt.

Sie wurden stets begleitet von Medienzuständigen der Regierung – oder besser gesagt: einem Aufpasser des Regimes. Wie oft durfte Ihr Kameramann nicht draufhalten, wo Sie gerne draufgehalten hätten?
Ich hätte sehr gerne in den Regierungsämtern gedreht, die Taliban interviewt. Leider hat sich nur ein einziger Minister bereit erklärt, mit mir zu sprechen. Mehr als drei Fragen hat aber auch er nicht zugelassen.

Das Gesundheitssystem in Afghanistan liege am Boden, heisst es im «DOK». Wie haben Sie die Situation vor Ort erlebt?
Es sieht nicht gut aus. Was die Schweizer Ärzte leisten, ist Nothilfe. Viele Menschen schaffen es wohl kaum, in ein Spital zu kommen. Die Frauen- und Kindersterblichkeit gehört zu den höchsten weltweit. Und die öffentlichen Spitäler sehen so aus wie bei uns vor Jahrzehnten.

Zwei Operationen werden gezeigt – eine in der Schweiz und eine in Afghanistan. Haben Sie keine Mühe mit Blut?
Wenn ich sehe, dass geholfen werden kann, habe ich keine Mühe, Blut zu sehen. Schlimm wird es für mich, wenn ich Verletzte sehe und keine Hilfe in Sicht ist.

Im Film behandeln Sie zwei Themen: einerseits die Mission der Ärzte, andererseits zeigen Sie auf, wie wenig Rechte Frauen haben. Hatten Sie das von Beginn weg so geplant?
Dass ich die Situation der Frauen thematisieren würde, war von Anfang an klar. Zumal ich als Autorin selbst betroffen war von der gesellschaftlichen Position der Frauen. Die Form hat sich vor Ort ergeben, so zum Beispiel der Besuch in der Frauenklinik der Universität. Das ist das Spannende an einem Dokumentarfilm, sich immer wieder an neue Situationen anzupassen.

«Das war nicht besonders angenehm»

Sie waren «im Schlepptau der Ärzte» bestenfalls geduldet, sagen Sie im Off-Text. Wie fühlten Sie sich als Frau in Afghanistan?
In den Regierungsämtern war ich erwartungsgemäss stets die einzige Frau weit und breit. Hier hat sich der Ausschluss der Frauen und der schwierige Status von Journalistinnen und Journalisten doppelt bemerkbar gemacht. Das war nicht besonders angenehm. In den Spitälern war die Situation jedoch ganz anders. Hier konnte ich zu Frauen und Männern Kontakt knüpfen. Frauen untereinander pflegen einen unkomplizierten und warmherzigen Austausch, grossartig.

Die Stiftung von Enrique Steiger stellt eine Frau an die Spitze. Ist das nicht pure Provokation in einem Land, das sich radikal gegen Frauenrechte stellt?
Ich bin gespannt, wie sich das entwickelt. Natürlich finde ich den Schritt, eine Frau zu wählen mutig und stark. Muska Gailani ist eine gute Wahl. Sie weiss, wie sie sich bewegen muss in dieser Gesellschaft.

Im «DOK» sagt Enrique Steiger, der seit 25 Jahren in Kriegsgebieten kostenlos operiert: «Es ist ein Fehler, emotional zu werden.» Wie emotional waren für Sie die Dreharbeiten?
Die Situation der Frauen bewegt mich schon sehr. Ich hatte mit einigen Frauen Kontakt, die auf meine Hilfe gehofft hatten und die ich enttäuschen musste. Das war nicht einfach. Ich bin sicher, die Ärztinnen und Ärzte können mittels ihrer Arbeit einiges bewirken. Und natürlich hoffe ich, dass sich die Situation der Mädchen und Frauen im Land wieder verbessert.

«Insgesamt haben wir gegen 60 Tage für den Film aufgewendet»

Sie waren eine Woche vor Ort. Wie lange dauerte dann die Fertigstellung des «DOK»?
Die Vorbereitung des Schnittes hat viel Zeit in Anspruch genommen, das Sichten und Auswählen der besten und wichtigsten Szenen ist aufwendig. Für den Schnitt hatten wir 17 Tage Zeit. Da ich schon verschiedene Filme mit Nicole Hussy geschnitten habe und wir sehr gut miteinander funktionieren, war dieser Teil wie immer ein ganz besonderer. Im Anschluss folgten die Bildbearbeitung und die Vertonung mit je zwei Tagen. Insgesamt haben wir gegen 60 Tage für den Film aufgewendet.

Sie durften nur filmen, weil Sie die Ärzte begleiteten. Nun ist daraus aber ein gesellschaftskritischer Beitrag geworden. Gefährden Sie damit nicht Steigers Mission vor Ort?
Das ist eine interessante Frage. Wir haben sie uns auch gestellt. Enrique Steiger hat den Film gesehen. Er plant bereits seine nächste Reise nach Kabul. Einerseits sind die Taliban diese Art der Kritik gewöhnt. Andererseits wollen sie die Unterstützung der Schweizer unbedingt. Ich denke, sie schlucken die Kritik.

Was haben die Dreharbeiten für den «DOK» bei Ihnen persönlich verändert?
Seit meinem ersten Besuch sind nochmal 20 Jahre Krieg dazugekommen. Das ist schrecklich. Kein Wunder, dass so viele Menschen wegwollen und sich auf die Suche nach einem besseren Leben machen. Die Menschen haben Hilfe dringend nötig. Wenn ich etwas dazu beitragen kann, werde ich das auch in Zukunft tun.



«Im Reich der Taliban – Ein Schönheitschirurg auf humanitärer Mission» wird am Donnerstag, 14. März 2024, ab 20.05 Uhr auf SRF 1 ausgestrahlt.


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