Herr Kessler, Pride zu Pandemie-Zeiten, wie muss man sich das vorstellen?
Nun, leider eben nicht so farbenfroh wie in früheren Jahren, da die offizielle Pride am Samstag ja dem Coronavirus zum Opfer gefallen ist. Aber umso mehr war es uns ein Anliegen, ein Zeichen zu setzen, um eine klare Botschaft der Akzeptanz und Toleranz zu senden, denn es gibt noch viel zu tun. Deshalb kam die Idee, zusammen mit anderen Firmen ein ganzseitiges Inserat in der NZZ zu schalten – und während der gesamten Pride-Woche wird unser Büro in der Nacht auch in den Pride-Farben beleuchtet sein.
Die Absage der Pride muss Sie etwas ärgern, denn es gäbe ja gute Gründe richtig ausgiebig zu feiern – nach dem Parlamentsbeschluss von letzter Woche zur Ehe für alle und Zugang zu Samenspenden.
Die Wahrnehmung ist absolut richtig. Schon mit dem klaren Ja an der Urne letzten Februar für die Ausdehnung der Antidiskriminierungsnorm hat die Schweiz ein klares Signal gesetzt, dass niemand aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf. Und der Entscheid des Nationalrats letzte Woche ist ein weiterer wichtiger und richtiger gesellschaftspolitischer Meilenstein. Aber wir wissen auch – und das scheint mit noch viel wichtiger –, dass die LGBTQ+-Gemeinde im Alltag nach wie vor verschiedene Formen der Diskriminierung erlebt. Das kann der Nationalrat alleine nicht ändern, es liegt an uns allen, für eine offene und farbenfrohe Gesellschaft einzustehen.
Und was ist mit #BLM: In welcher Verbindung steht die Pride mit dieser Bewegung?
Die aktuellen Unruhen in den USA nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd zeigen uns auf bedrückende Art und Weise auf, was passiert, wenn eine Gruppe von Menschen systematisch diskriminiert wird. Egal, ob wegen der Hautfarbe, der Geschlechtsidentität oder der sexuellen Orientierung. Darum ist es wichtig, sich gegen jegliche Form der Diskriminierung zu stellen, gerade in der aktuellen Zeit.
Wie kann das geschehen?
Ein schönes Beispiel kommt ebenfalls aus den USA; die LGBTQ-Gemeinschaft will während dem Pride-Monat vor allem schwarzen Stimmen Gehör verschaffen – und LGBTQ+-Communities haben auch Protestmärsche organisiert in Solidarität mit der «Black Lives Matter»-Bewegung.
«Bei BCG wollen wir ein Vorbild sein für andere Unternehmen und für die Gesellschaft»
Unter den Unterstützern der Kampagne sind etwa UBS, CS oder die ZKB, aber auch ABB, Swisscom, Migros, die NZZ oder Sunrise. Nicht alle Geschäftsleitungen dieser Unternehmen sind divers besetzt. Reicht Ihnen ein Lippenbekenntnis?
Ich glaube nicht, dass es sich bei den Firmen, die bei dieser Kampagne mitmachen, nur um Lippenbekenntnisse handelt. Natürlich sind noch nicht alle Firmen – auch wir nicht – bereits dort, wo sie sein wollen und sollten in Sachen Diversität. Aber diese Aktion ist doch ein weiteres starkes Zeichen, dass wir uns gemeinsam für mehr Diversität einsetzen. Am Arbeitsplatz, aber auch in der Gesellschaft.
Wie weit sind Sie denn bei BCG?
Wie erwähnt sind auch wir noch nicht dort, wo wir sein möchten. Aber wir glauben an die Kraft von Vielfalt und Integration – und auch, dass wir hier etwas bewegen können. Wir wollen nicht nur allen Mitarbeitern, unabhängig von Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung, ein Umfeld bieten, in dem sie sich voll entfalten können, sondern wir wollen auch ein Vorbild sein für andere Unternehmen und die Gesellschaft. Darum sind wir auch stolz darauf, konnten wir so viele Firmen von dieser Kampagne überzeugen.
Und wie divers ist Ihre Geschäftsleitung in Bezug auf Frauen?
In der globalen Geschäftsleitung von BCG sind aktuell 18 Personen aus zehn Ländern und vier Kontinenten. Darunter sind sieben Frauen, also knapp 40 Prozent.
«Es wurde wissenschaftlich x-fach bewiesen, dass diverse Teams innovativer, kreativer und leistungsfähiger sind»
Warum denken Sie, positionieren sich derzeit so viele Firmen gerne im Bereich Diversity?
Einerseits, weil wir wie oben erwähnt als Wirtschaft und Gesellschaft noch nicht dort sind, wo wir sein müssten – solange LGBTQ+-Personen nicht frei von jeglicher Diskriminierung leben können. Und andererseits auch, weil jede Firma ein ureigenes, wirtschaftliches Interesse an diversen Teams auf allen Stufen hat. Es wurde wissenschaftlich x-fach bewiesen, dass diverse Teams innovativer, kreativer und leistungsfähiger sind und diese Erkenntnis setzt sich nach und nach bei allen Unternehmen durch. Es scheint mir persönlich zudem wichtig, dass sich die Wirtschaft nicht nur in wirtschafts- sondern auch in gesellschaftspolitischen Themen engagiert. Das hat uns doch gerade auch die aktuelle Krise gezeigt.
Warum arbeiteten Sie für diese Kampagne mit Publicis zusammen?
Diese Zusammenarbeit entstand durch informelle Kontakte mit Publicis. Wir haben einfach spontan mal angefragt, ob sie uns bei dieser Idee unterstützen würden. Und sie haben sofort zugesagt, auch als noch nicht einmal klar war, ob sich sonst überhaupt jemand für diese Kampagne interessieren könnte. Schon nach wenigen Tagen hatten wir einen ersten Entwurf des Inserats – und von da an war es ein leichtes, weitere Partner für diese Aktion zu gewinnen. Am Schluss haben uns sogar Firmen von sich aus angeschrieben, sie hätten von dieser Aktion gehört und möchten unbedingt auch dabei sein.
Was für Ziele soll die Kampagne für Pride 2020 erreichen?
Wir glauben, dass diese Kampagne – mit so vielen namhaften Partnern – ein unglaublich starkes Zeichen ist gegenüber der LGBTQ+-Community, aber auch darüber hinaus. Es ist ein Zeichen, dass die Wirtschaft hinter der Community steht, dass sich die Unternehmen für einen vielfältigen Arbeitsplatz einsetzen, an dem jede und jeder sich selbst sein kann und keine Angst haben muss, wegen der sexuellen Orientierung, oder auch des Geschlechts oder der Hautfarbe irgendwie anders behandelt oder sogar diskriminiert zu werden.
Haben Sie keine Angst, dass das zum Bumerang werden könnte und Ihre Angestellte künftig nach Entlassungen Klagen einreichen oder an die Medien gehen und sich dann auf diese Positionierung berufen, obwohl sie aus anderen Gründen gehen mussten?
Diese Gefahr sehe ich nicht, auch weil wir saubere und gut etablierte Personalprozesse haben. Und es wäre auch das falsche Motiv, nicht am Thema Diversität zu arbeiten, nur weil wir das Risiko nicht eingehen möchten, dass es jemand gegen uns verwenden könnte.