15.02.2022

Tabakwerbeverbot

«Die Initiative war eine Mogelpackung»

Nach dem Ja zur Initiative «Kinder ohne Tabak» äussert sich SWA-Direktor Roland Ehrler zu den Auswirkungen auf die Werbebranche. Er sagt, was für ihn eine Umsetzung mit Augenmass im Printbereich bedeuten würde – und weshalb Targeted Advertising ab 2023 weniger genau wird.
Tabakwerbeverbot: «Die Initiative war eine Mogelpackung»
«Gesellschaftliche Probleme löst man nicht mit Werbeverboten», sagt Roland Ehrler, Direktor des Schweizer Werbe-Auftraggeberverbands SWA. (Bild: zVg)

Herr Ehrler, wie und wo haben Sie den Schock über die Annahme der Initiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabak» verdaut?
Wie immer um diese Zeit bin ich gerade in Arosa in den Skiferien und habe mich via Smartphone über den Verlauf des Abstimmungssonntags auf dem Laufenden gehalten. Selbstverständlich bin ich enttäuscht, dass diese extreme Werbeverbotsinitiative nun von den Stimmberechtigten angenommen wurde. Ganz überraschend kam das zwar nicht, aber ich hatte doch noch bis zuletzt darauf gehofft, dass das Ständemehr nicht erzielt wird.   

Sie sind am Puls der Werbeauftraggeber: Welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?
Viele haben nicht gemerkt, dass nicht nur die Tabakbranche von dieser Abstimmung unmittelbar betroffen ist, sondern noch viele weitere Branchen. Je länger der Abstimmungskampf dauerte, desto mehr Zustimmung gab es auch von Werbeauftraggebern aus anderen Branchen. Viele Kollegen bedauern, dass nun die Tabakwerbung in der Schweiz unverhältnismässig eingeschränkt wird. Und einige fragen sich, ob als nächstes ihre Branche mit einer solchen extremen Initiative konfrontiert sein könnte. 

Der Bruttowerbedruck 2021 für Tabakwaren ist mit 10,6 Millionen Franken am Ende der Branchenrangliste. Er beträgt gerade einmal 0,2 Prozent am Gesamtwerbedruck. Weshalb hat das Nein-Komitee dennoch ein solches Schreckensszenario gezeichnet?
Ganz einfach, weil es eben bei dieser Abstimmung um mehr als nur um heissen Tabak ging. Es darf nicht sein, dass solch populär formulierte Initiativen die Werbe- und Wirtschaftsfreiheit auf diese Art und Weise einschränken. So war es sehr schwierig, eine Mehrheit gegen den Slogan «Jugend ohne Tabak» zu finden. Als Familienvater bin ich ja selbst dafür, die Jugend vor Tabak zu schützen. Gerade deshalb war diese Initiative eine Mogelpackung und hat sich gut verkauft, wie die Abstimmung zeigt. Jetzt bleibt die Gefahr gross, dass wir demnächst über weitere Werbeverbote für zucker-, salz- oder fetthaltige Produkte abstimmen müssen. 

«Die Initiative stellt nun alles infrage»

Eine Verschärfung im Vergleich zum geplanten Tabakproduktegesetz ist nun, dass Tabakwerbung in der Presse verboten ist, wenn Kinder und Jugendliche erreicht werden können. Wären primär Gratismedien wie 20 Minuten und die Coopzeitung davon betroffen?
Die Initiantinnen und Initianten haben während des Abstimmungskampfs wiederholt versichert, dass sie nur die Tabakwerbung einschränken wollen, welche sich an Kinder und Jugendliche richtet. Weder die Konsumpresse der Grossverteiler noch die Pendlerzeitungen richten sich an Minderjährige. Nahezu alle Zeitungen und Zeitschriften könnten aber in einem Familienhaushalt Minderjährige erreichen. Kommt es also jetzt zum extremen Total-Werbeverbot für Tabakprodukte für Erwachsene und Minderjährige? Ich hoffe schwer, dass das Parlament in der Umsetzung dieser Initiative Augenmass anwenden wird. 

Wie sieht es mit Bezahl- bzw. Abo-Zeitungen wie NZZ und Tages-Anzeiger aus?
Mit dem in Kraft tretenden Tabakproduktegesetz wäre alles klar gewesen. Keine dieser Zeitungen richtet sich an Minderjährige und Werbung wäre weiterhin erlaubt. Die Initiative stellt nun alles infrage. Müssen die Eltern ihre Abo-Zeitungen unter Verschluss halten, damit ein Tabakinserat die Minderjährigen im Haushalt nicht erreicht? Oder kommt es zum totalen Werbeverbot, welches der in der Verfassung verankerten Gewerbe- und Wirtschaftsfreiheit widersprechen würde?

Gemäss einem Medienbericht wäre zumindest im Innenteil von Zeitungen, die mehrheitlich über Abos finanziert werden, Tabakwerbung weiterhin möglich (persoenlich.com berichtete). Eine denkbare Variante für den SWA?
Ja, das tönt vernünftig. Sämtliche abonnierten Zeitungen und Zeitschriften sollten nicht mit einem totalen Tabak-Werbeverbot belegt werden, welches am Ende Erwachsene trifft.  

«Mit dem Tabakproduktegesetz wäre für die Onlinewerbung alles klar gewesen»

Befürchten Sie aufgrund des Tabakwerbeverbots einen Anstieg von Sponsored Content in der Presse, was kaum im Interesse der Werbeauftraggeber sein dürfte?
Ich glaube nicht, dass es hier zu Verschiebungen in diese Richtung kommt. Wenn Werbung in gewissen Publikationen verboten ist, müsste Gleiches auch für Sponsored Content gelten. 

Auch im Internet sieht die Initiative ein Tabakwerbeverbot vor, wenn Kinder und Jugendliche erreicht werden. Mit den heutigen Möglichkeiten von Targeted Advertising dürfte dies doch kaum negative Auswirkungen auf die Werbebranche haben ...
Ihre Frage zeigt, wie unausgereift diese Initiative ist. Mit dem Tabakproduktegesetz wäre für die Onlinewerbung alles klar gewesen: Werbung, die sich an Minderjährige «richtet», wäre verboten gewesen. Mit der Initiative dürfen nun Minderjährige «nicht erreicht» werden. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied, welcher sich auf den zahlreichen Onlinekanälen nur schwer umsetzen lässt. Es kommt hinzu, dass das Internet global ist und die Gesetze nicht an der Schweizer Landesgrenze haltmachen. Sicher kann heute (noch) mit Targeted Advertising zum Teil sehr gezielt Werbung geschaltet werden. Damit können Minderjährige ausgeschlossen werden und alle anderen Werbeaktivitäten an Erwachsene wären weiterhin erlaubt.

Aber?
Mit dem Wegfall der Third-Party-Cookies im Jahr 2023 wird das Targeting jedoch generell weniger genau werden. Dafür gewinnt der Datenschutz an Bedeutung und die User erhalten die Kontrolle über ihre Daten zurück. 

«Ich kann mir vorstellen, dass wir vermehrt versteckte Formen von Werbung in Onlinekanälen sehen werden»

Könnte dies solchen Werbeformen gar einen Schub verleihen?
Digitale Werbung ist seit Jahren weltweit im Vormarsch. Ich kann mir vorstellen, dass wir vermehrt «versteckte» Formen von Werbung in Online-Kanälen sehen werden. Es ist aber blauäugig, wenn die Initianten von «Jugend ohne Tabak» meinen, ein Schweizer Werbeverbot im Internet würde zu weniger minderjährigen Rauchern führen. Gesellschaftliche Probleme löst man nicht mit Werbeverboten. Ich hoffe, dieser Schuss geht nicht nach hinten los mit dieser ganzen Hysterie um einen vermeintlichen Jugendschutz. Es gibt ganz viele wichtigere Gründe, warum Minderjährige anfangen zu rauchen, als die Werbung. Dabei denke ich an die Familie, die Freunde und den Wunsch, etwas auszuprobieren.

Inwiefern sind die Befürchtungen der Tabakindustrie berechtigt, dass die Annahme der Initiative ein totales Werbeverbot auf der Videoplattform TikTok bedeutet?
Wenn sich ein modernes, neues Medium gerade genau an junge Menschen richtet, dann ist das TikTok. Für mich heisst dies, dass Werbung künftig für ein legales Produkt wie Tabak auf diesem Onlinekanal in der Schweiz verboten wäre. Nicht verbieten und nicht kontrollieren lässt sich jedoch sämtlicher Content auf allen Plattformen, in denen Tabak eine Rolle einnimmt. Sei es, indem ein Content-Creator mit einer Zigarre schöne Rauchkreise bläst oder irgendwelche andere lustige Videos im Zusammenhang mit Tabakprodukten abdreht und ins Netz stellt.  

Letztlich wird vieles davon abhängen, wie das Werbeverbot im Pressebereich im Tabakproduktegesetz konkret ausgestaltet wird. Der SWA fordert zusammen mit weiteren Branchenverbänden Augenmass vom Parlament (persoenlich.com berichtete). Mit welcher Umsetzung könnten Sie sich anfreunden?
Augenmass im Bereich Print heisst für mich, dass zum Beispiel die offizielle Leserstruktur gemäss Wemf für allfällige Einschränkungen von Werbung herangezogen wird. Alle Titel, die sich gemäss dieser Erhebung zu mindestens 95 Prozent an Erwachsene – also über 18-Jährige – richten, sollten nicht mit einem totalen Tabakwerbeverbot belegt werden. 

Jürg Bachmann, Präsident KS/CS Kommunikation Schweiz, sagte in einem persoenlich.com-Interview nach der Abstimmung, dass die Werbewirtschaft die Bedeutung ihrer Arbeit für Konsumentinnen und Konsumenten nun «noch klarer» kommunizieren müsse. Teilen Sie seine Ansicht?
Ja, auf jeden Fall. Das ist wichtiger denn je, vor allem weil es sich bei der Schweizer Werbewirtschaft um eine heterogene Gruppe handelt. So gehören nicht nur die Agenturen, Medien, Vermarkter oder die gerade von Verboten betroffenen Industrien zur Werbebranche, sondern alle werbenden Unternehmen in der Schweiz. Und das ist dann fast die ganze Schweizer Wirtschaft! Sonst riskieren wir, dass die Werbung in Zukunft noch öfter als Sündenbock für gesellschaftliche Probleme herhalten muss.


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