16.06.2023

Cannes Lions 2023

«Die Schweiz muss sich nicht verstecken»

Am Montag startet in Südfrankreich die Werbe-WM. Am Sonntag werden diverse Shortlists veröffentlicht. Manuel Wenzel, Chief Creative Officer bei TBWA\Zürich, war Mitglied der Shortlist-Jury Outdoor. Ein Gespräch über Trends, Techriesen und Tomaten.
Cannes Lions 2023: «Die Schweiz muss sich nicht verstecken»
«Die Schweiz muss sich in keinster Weise international verstecken», so Manuel Wenzel, Chief Creative Officer bei TBWA\Zürich und Mitglied der Shortlist-Jury Outdoor. (Bild: zVg)

Manuel Wenzel, Sie haben bei den Cannes Lions die Einreichungen in der Kategorie Outdoor bewertet (persoenlich.com berichtete). Wird 2023 ein guter Jahrgang?
Die Frage ist ja, woran man das bemisst. Für mich wäre es dann ein guter Jahrgang, wenn es auch viele Arbeiten ganz nach oben schaffen, die nicht nur die Welt verbessern wollen, sondern auch mal eine Idee für Tomaten. Wobei ich ausdrücklich sagen will, dass diese Art Arbeiten auch dazu gehören – schon allein aus der Verantwortung von uns allen heraus, sich für die wichtigen Themen unserer Welt zu engagieren. Und Agenturen können mit solchen Arbeiten einen guten Beitrag leisten.

Und etwas spezifischer: Ist Ihnen eine Arbeit besonders ins Auge gestochen?
Eine rauszuheben finde ich schwierig. Das «Fill a hole»-Ding für Potnoodles von Adam&Eve DDB fand ich schön schräg. Noch schräger, aber auch witziger und lauter war eine Arbeit für das Brooklyn Film Festival. Das Motto lautet «Something to offend everyone», damit sitzt das Motto total auf dem Zeitgeist und macht trotzdem einen klaren Punkt. Und die Art Direction samt Filmchen sind auch sehr cool. Und natürlich Nike «Home», eine Idee, die Nike der englischen Frauennati verdankt. Denn dank ihnen kam Football nach 1000 Jahren Home.

«Es gibt einige starke Arbeiten aus der Schweiz»

Die Outdoor-Shortlist wird am Sonntag veröffentlicht. Werden Schweizer Arbeiten darauf zu finden sein?
Ob unbedingt in Outdoor, bin ich nicht sicher. Generell finde ich aber, es gibt einige starke Arbeiten aus der Schweiz dieses Jahr, aber das fand ich aber auch letztes Jahr. Und das Ergebnis ist ja bekannt (Anm. der Red.: Für die Schweiz gab es eine Nullrunde).

Wie stark sind die Schweizer Arbeiten im internationalen Vergleich?
Die Schweiz muss sich in keinster Weise international verstecken. Es tauchen in absoluter Regelmässigkeit Arbeiten von unterschiedlichen Agenturen und anderen Einsendern international auf. Und was ich daran fast noch erfreulicher finde, es tauchen Arbeiten in sehr verschiedenen Kategorien auf und scoren dort durchaus.

Lassen sich in diesem Jahr Trends bei den eingereichten Projekten erkennen?
Keine unerwartbaren. Es ist noch mehr Tech, noch mehr Spektakel, wenn man ein Buzzword bemühen will: noch mehr Experience led work. Und natürlich wird es das AI-Jahr.

Welche Themen haben in der Jurierung für Diskussionen gesorgt?
Die Klassiker: Gab's das schon? Gehört das wirklich in diese Kategorie beziehungsweise ist der Teil einer Arbeit, der in Outdoor eingereicht wurde, wirklich stark genug, auch wenn die Grundidee sehr stark war, diese sich aber in anderen Kanälen mehr manifestiert hat?

«Das empfinde ich als ziemlich grosse Ehre»

Wie gross ist die Ehre, dass Sie an den Cannes Lions mitjurieren dürfen?
Das empfinde ich tatsächlich als ziemlich grosse Ehre. Aber trotzdem hab ich mich beinahe noch mehr geehrt gefühlt, dass ich beim ADC Schweiz als Präsident der Kampagnenjury vorsitzen durfte.

Wie jurierten Sie eigentlich – von Zuhause aus oder vor Ort?
Zuhause, im Office, im Wartezimmer und und und. Es war viel Kram (lacht).

Wie viele Stunden haben Sie vor Bildschirmen verbracht?
Ich habe sie nicht gezählt. Aber es müssen sehr viele gewesen sein. Ich habe rund 500 Arbeiten juriert in vier Wochen. Vieles davon mit Cases und eben nicht drei Sujets und tralala.

Nach welchen Kriterien sind Sie bei der Bewertung vorgegangen?
Zunächst natürlich wie bei jeder Jurierung, «wie neu und ungesehen» ist die Arbeit, und wie gut passt sie in die Kategorie und Subkategorie. Das genaue Gegenteil kann aber auch spannend sein: Auf welche neu gedachte Art interpretiert die Arbeit die Kategorie neu. Und für mich ist auch immer entscheidend, ob sie mit dem Zeitgeist resoniert beziehungsweise diesen zumindest nicht ignoriert.

Wie war der Austausch mit anderen Jurymitgliedern?
Überschaubar, weil es eine Remote-Jury war.

Sie sind regelmässiger Gast an den Cannes Lions. Auch in diesem Jahr werden Sie vor Ort sein. Wissen Sie noch, wie oft Sie schon an der Werbe-Weltmeisterschaft waren?
Nein, aber nicht sehr oft. Deutlich unter zehnmal ganz sicher.

«Immer, wenn man denkt, noch mehr Kategorien gibt es nicht, finden sie noch 50»

Wie haben sich die Cannes Lions in all den Jahren verändert?
Das Festival und der Teil, der – junge – Kreative für Cannes begeistert, driftet meines Erachtens immer mehr auseinander. Ich finde das nicht sehr schlimm, halte das aber für die grösste Veränderung. Und immer, wenn man denkt, noch mehr Kategorien gibt es nicht, finden sie noch 50.

Der Wettbewerb wird immer wieder totgesagt, vor allem von klassischen Werbern. Können Sie diese Kritik verstehen?
Nein, und zwar vor allem, weil der Wettbewerb und das Festival eben nicht ganz das Gleiche sind. Ja, und vielleicht auch leider, sind dort eher Tech- als Kreativriesen vertreten, aber der Wettbewerb selbst und dessen Strahlkraft hat aus meiner Sicht in keinster Weise an Glanz verloren.

Ich erinnere mich, wie Sie 2019 zusammen mit Ihrem Chef Matthias Kiess mit dem Auto nach Südfrankreich gereist sind – und nicht etwa mit dem Flugzeug. Wie reisen Sie dieses Mal an?
Wir laufen diesmal. Und zwar ziemlich genau 300 Meter bis Stadelhofen, um mit der S16 zum Flughafen zu fahren. Die letzten Male sind wir tatsächlich mit dem Auto gefahren. Das war zwar immer ein schöner Roadtrip, vor allem das erste und das letzte Drittel der Strecke fährt man durch eine Postkarte, aber es sind eben auch ein paar Stunden. Diese machen müde und führen dann manchmal zu sehr peinlichen Interviews, an die ich mich gar nicht so gern erinnern mag.

Sie sprechen sicher den Tattoo-Contest am Strand an.
Ja, genau.

Was schätzen Sie an der Côte d'Azur eigentlich besonders?
Interviews am Strand gehören jedenfalls nicht dazu.



Alle Berichte über das Cannes Lions International Festival of Creativity 2023 finden Sie auf der entsprechenden Landingpage.


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