29.04.2021

Serie zum Coronavirus

«Die Unsicherheit ist immer noch gross»

Der Bundesrat hat den Eventveranstaltern Lockerungen in Aussicht gestellt. Der weitere Verlauf hängt von der epidemiologischen Lage ab. Christoph Kamber, Präsident des Branchenverbandes Expo Event, spricht in Folge 172 über Angsthasen und Turboöffner.
Serie zum Coronavirus: «Die Unsicherheit ist immer noch gross»
«Eine gesunde Portion Mut und die richtige Menge Demut und Respekt gehört zu einer guten Lösung immer dazu», sagt Christoph Kamber, Präsident von Expo Event Swiss LiveCom Association sowie Mitgründer und Managing Partner der Agentur RedSpark. (Bild: zVg)

Herr Kamber, was bedeutet der Entscheid des Bundesrates, Grossveranstaltungen im Verlaufe der nächsten Monate zuzulassen?
Wir freuen uns, dass der Bundesrat nun endlich eine grobe Perspektive gegeben hat. Ob diese Veranstaltungen tatsächlich stattfinden werden, ist ja noch offen und hängt vom weiteren Verlauf der Pandemie ab. Das hat er eben auch klar gesagt. Zumindest haben wir eine Plangrösse – das hilft schon mal weiter, auch wenn noch viele Fragen offen sind.

Kann man als Veranstalter überhaupt alle Sicherheitsbestimmungen einhalten?
Um das richtig zu beantworten, müssten wir die Bestimmungen im Detail erstmal kennen. Grundsätzlich ist vieles möglich, und auch die Veranstalter studieren ja schon lange an den möglichen Massnahmen. Der Teufel liegt im Detail, und je nach geforderten Massnahmen kann es schon sein, dass Veranstalter Forfait geben müssen. Deshalb ist es nun wichtig, dass die Parameter rasch geklärt und kommuniziert werden.

Wie ist die Resonanz bei den Auftraggebern auf diese Entscheidung?
In einer ersten Reaktion haben die meisten Kunden bei den Veranstaltern oder Agenturen nachgefragt, was diese «Entscheide» nun bedeuten würden. Oft können die Fragen nur eingeschätzt, aber nicht beantwortet werden, da die Details nicht geklärt sind. Es geht nun darum, die Sachlage anhand der vorhandenen Informationen zu beurteilen und die noch offenen Fragen zu klären, sodass entschieden werden kann, ob und wie man die Projekte weiterführen kann oder eben nicht. Die Unsicherheit ist also immer noch gross.

«Der Schaden ist immens, aber wir schauen nach vorne»

Die Live-Event-Branche hat unter der ganzen Pandemie extrem gelitten. Haben Sie bereits eine Ahnung, wie gross der Schaden ist?
Ich kann auf die Erhebung, welche der Expo Event Verband im Januar gemacht hat, zurückgreifen. Im vergangenen Jahr sind die Umsätze um fast 60 Prozent eingebrochen. Nicht berücksichtigt ist die Umwegrentabilität, welche mit der Durchführung von Veranstaltungen, Messen und Events entsteht. Zudem hat jeder fünfte Mitarbeiter die Branche verlassen oder ihm wurde gekündigt. Ein Aderlass sondergleichen. Und ich mache mir Sorgen, wie wir diese entstandenen Lücken und das verlorene Know-how wieder aufbauen können, wenn wir es wieder brauchen. Der Schaden ist immens, aber wir schauen nach vorne.

Hat es mit den Ausfallsentschädigungen des Bundes und der Kantone geklappt?
Mittlerweile darf man sagen, in den meisten Fällen ja. Es war ein sehr harziges Unterfangen, gespickt mit Verzögerungen und Pannen, aber die Kantone haben die Herkulesaufgabe insgesamt gut gemeistert. Das ist ja auch nicht alltäglich, und die besonderen Umstände machten es nicht einfacher. Gleichzeitig ist festzustellen, dass weiterhin Lücken bestehen, welche bis heute nicht bearbeitet oder gelöst sind. Ich denke an die vielen Start-ups, welche aufgrund der fixen Bemessungsgrundlagen die Bedingungen teilweise gar nicht erfüllen können und leer ausgehen. Ebenfalls ungeeignet erscheint mir in einer Krise der föderalistische Lösungsansatz. Wettbewerbsverzerrungen sind an der Tagesordnung und werden zähneknirschend «akzeptiert». Ich kann mir vorstellen, dass dies noch aufgearbeitet werden muss.

Werden viele Veranstalter aufgrund von Corona die Segel streichen müssen?
Die Branche hat sich als erstaunlich resilient herausgestellt. Einige Unternehmen haben sich in der Krise anders orientiert und bieten neue Dienstleistungen an, wie Logistik oder Werbedruck et cetera. Ob sie nach der Krise wieder im alten Business weitermachen, kann ich nicht beantworten. Einzelne Geschäftsaufgaben hat es gegeben – die grosse Welle ist aber noch nicht eingetroffen. Ich will das aber nicht verharmlosen. Man muss wissen, dass sich viele vormals sehr gesunde Unternehmen mittlerweile stark verschuldet haben oder gar die eigenen Pensionskassengelder angezapft haben, nur um überleben zu können. Nun hoffen alle auf einen grossen Nachholbedarf, um zumindest einen Teil des Umsatzes wettzumachen.

«Wir sind noch ganz am Anfang einer spannenden Entwicklung»

Wie sieht es in der Zukunft aus: Wird es nun verstärkt Onlineevents geben?
Es wird sicher mehr Onlineevents geben als vor der Coronakrise. Ich führe das auch zurück auf eine natürliche und langanhaltende Entwicklung, welche durch die Coronakrise mangels Alternativen einen gewaltigen Schub erlebt hat und mittlerweile die Akzeptanz geniesst und sich etabliert hat. Diese Formate machen je nach Veranstaltungstyp oder Zielpublikum auch absolut Sinn und werden nicht wieder verschwinden. Andererseits stellt man auch fest, dass diese Onlineformate auch Defizite haben, welche nur schwer wettzumachen sind. Ich glaube an eine Zukunft mit beiden oder gemischten Formaten und bin überzeugt, dass wir hier noch ganz am Anfang einer spannenden Entwicklung sind.

Welche grösseren Projekte stehen für Sie an?
Ich habe meine Agentur zum wohl dümmsten Augenblick gegründet und bin seit dem 1. Januar 2020 operativ tätig. Somit sind die prognostizierte Entwicklung ausgeblieben, und auch das nötige Netzwerk konnte nicht oder nur sehr eingeschränkt gepflegt werden. Mein Geschäftspartner und ich haben im vergangenen Jahr mangels Alternativen einige Eigenproduktionen gestartet und durften mit spannenden Grosskunden eine gute Beziehung aufbauen. Im Moment wären wir mit einem innovativen Konzertprojekt auf dem Zürichsee eigentlich startbereit – nun müssen wir die Entscheide des Bundesrates abwarten, um zu wissen, ob sich unsere sechs Monate Planungsarbeit auszahlt oder nicht. Die fehlende Planungsunsicherheit ärgert mich.

«Ich wünsche mir einen sachlicheren Umgang mit der aktuellen Situation von allen Seiten»

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Monate?
Die Verbandsarbeit und die vielen neuen Kontakte, welche ich knüpfen durfte. Durch die Situation hat das bis zu 80 Prozent meiner Tätigkeit ausgemacht. Ich habe sehr viel gelernt, und die politische Arbeit macht mir Spass. Teilweise bin ich mir vorgekommen, wie in der Serie «House of Cards», wenn es darum gegangen ist, Entscheidungsträger von unseren Argumenten zu überzeugen. In meiner Agentur war bestimmt das grösste Autokonzert im vergangenen Sommer, das «Sunrise Skylights Drive-in Openair» am Flughafen Kloten, welches wir in nur 2,5 Monaten aus dem Boden gestampft haben, ein Highlight. Es war im Sommer 2020 wohl die grösste Bühne in der Schweiz und eine tolle Produktion.

Was sind die Erwartungen an die kommenden Monate für Sie und die ganze Branche?
Ich wünsche mir einen sachlicheren Umgang mit der aktuellen Situation von allen Seiten. Die Pandemie hat unser aller Leben massiv geprägt und beeinflusst. Ich kann sowohl die totalen Angsthasen wie auch die Turboöffner nicht mehr hören. Es ist längst Zeit, sachlich mit den Umständen umzugehen, nicht immer gleich das Worst-Case-Szenario heraufzubeschwören und auch nicht die Risiken des Virus zu verleugnen. Mir ist klar, dass sich massiv Betroffene in einer anderen Gemütslage befinden als Festangestellte in einem sicheren Job. Wir sollten versuchen, beide Seiten zu sehen und den gegenseitig Respekt zu wahren. Eine gesunde Portion Mut und die richtige Menge Demut und Respekt gehören zu einer guten Lösung immer dazu. Davon wünschte ich mir mehr.



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com regelmässig eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.


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