von Christian Beck
Herr Riefler, hat Fernsehen eine Zukunft?
Sicherlich. Aber es kommt immer darauf an, was man unter Fernsehen versteht. Das macht die Einschätzung für die Zukunft gar nicht so einfach, weil jeder unter Fernsehen etwas anderes versteht.
Sie geben am von Goldbach Audience organisierten «Tag der Online-Werbung» vom Donnerstag einen Einblick in den europäischen Markt von Advanced TV. Was muss man unter «Advanced TV» überhaupt verstehen?
Vielleicht starten wir damit, was häufig unter ganz klassischem TV verstanden wird: Das ist die Übertragung über Satellit, Antenne oder Kabel. Man schaut die Sender zeitpunktbezogen. Advanced TV geht darüber hinaus und bietet weitergehende Möglichkeiten, wie zum Beispiel alles rund ums zeitversetzte Fernsehen, aber auch digitale Werbemöglichkeiten oder Einstiegspunkte zu ähnlichen Inhalten.
Wird lineares Fernsehen, ob live oder zeitversetzt, künftig überhaupt noch eine Rolle spielen?
Bestimmt wird es eine Rolle spielen – und zwar vor allem bei Live-Inhalten. Sport ist ein grosses Thema, Liveveranstaltungen, aber auch Nachrichten. In anderen Segmenten wird die Abwanderung Richtung On-Demand weitergehen.
«Veränderungen führen häufig zu Reaktionen»
Apropos zeitversetztes Fernsehen: Bevor in der Schweiz vor rund 100 Tagen sogenannte Replay Ads eingeführt wurden, gab es einen grossen medialen Aufschrei. Nun ist es ruhig geworden (persoenlich.com berichtete). Nachvollziehbar?
Die Frage ist, von wem der Aufschrei kam. Es gibt verschiedenste Teilnehmer am Markt: die Sender, die Plattformen, die Vermarkter und am wesentlichsten die Nutzer …
… der Aufschrei kam vor allem von den Nutzern.
Okay, für die Nutzer gibt es eine Veränderung. Das führt häufig zu Reaktionen. In der konkreten Nutzungssituation kommt es dann darauf an, wie es umgesetzt ist und ob es als störend empfunden wird.
Das aktuelle Medienangebot ist riesig. Warum eigentlich? Bewegtbild wird seit Jahren als ein grosser Trend verkauft.
Früher gab es hohe Markteintrittsbarrieren, sowohl in Produktion als auch bei der Distribution. Durch Technologie und Globalisierung sind neue Möglichkeiten erschaffen worden. Es ist leichter zu produzieren, es gibt viel mehr Nutzungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel Smartphones und Screens in der Bahn. Dies sind sicherlich Gründe für das wachsende Angebot.
Man könnte auch von einem Überangebot sprechen. Wie gehen die Nutzerinnen und Nutzer damit um?
Zunächst einmal ist die Frage, was sie von dem Überangebot mitbekommen oder ob sie in ihrem gelernten Nutzungsverhalten gerade deswegen verharren und dadurch das Überangebot ausblenden. Dies macht es umgekehrt für die Dienste herausfordernd, die Nutzer mit der Vielfalt zu erreichen.
Nebst Netflix, Apple TV oder Disney+ gibt es in der Schweiz auch private Streaminganbieter wie Play Suisse der SRG oder Oneplus von CH Media. Was braucht es, um sich auf dem Markt durchsetzen zu können? Dieser ist sehr fragmentiert.
Mehrere Punkte sind entscheidend: Erst einmal müssen relevante Inhalte verfügbar sein. Und dann gilt es, diese den Nutzern zugänglich zu machen. Sprich, sie müssen auf den richtigen Endgeräten über die relevanten Einstiegspunkte zugänglich und auffindbar sein.
Wären gerade für kleinere Streamingportale Kooperationen nicht sehr sinnvoll?
Es ist die Frage, auf welchem Level diese Kooperationen stattfinden …
Das heisst?
Das heisst, ob das zwischen lokalen Streamingportalen ist – oder die Portale mit Plattformen kooperieren. Bis dato konnten sich Senderkooperationen nicht so richtig durchsetzen, siehe Joyn in Deutschland oder aktuell Salto in Frankreich.
Also am besten eine Nische finden und sich dort etwas anbieten …
Es muss gar nicht nur Nische sein. Man muss sicherstellen, dass die Inhalte für die Zielgruppe – und die kann auch breit sein – relevant sind und mit dem richtigen Geschäftsmodell einfach zugänglich sind.
«Es ist die Herausforderung, die gesamte Klaviatur zu bedienen»
Wie ist die Situation derzeit für Werbetreibende? Wo sollen sie überhaupt noch ihre Spots schalten?
(Lacht.) Es gibt jetzt ja deutlich mehr Möglichkeiten, aber es wird auch fragmentierter und granularer. Es ist die Herausforderung, die gesamte Klaviatur zu bedienen und hoffentlich mit allen Data- und Tracking-Möglichkeiten das optimale Ergebnis zu erzielen.
Dann sind heute also vor allem Mediaagenturen gefordert?
Ja, und die Anforderungen ändern und erweitern sich. In diesem Veränderungsprozess entstehen auch wieder neue Möglichkeiten, die auch aus lokaler Sicht genutzt werden können.
Blicken wir ein paar Jahre vorwärts: Wie sieht Fernsehen in der Zukunft aus?
Ich denke, es wird personalisierter sein. Die technischen Voraussetzungen sind gegeben, auch die Refinanzierungsmöglichkeiten über Werbung. Wenn man sich den aus den USA rüberschwappenden Trend FAST – also «Free ad-supported streaming TV» – anschaut, ist dies ein Vorbote für personalisierte lineare Kanäle. Und ein Szenario könnte dann sein, dass es ein Mix ist aus klassischen linearen TV-Kanälen, wie wir sie heute kennen, und personalisierten Kanälen.