23.06.2022

Werbebildschirme in Zürich

Gruppe fordert Ausbaustopp vom Stadtrat

Die IG Plakat-Raum-Gesellschaft, der Klimastreik Zürich und die Schweizerische Energie-Stiftung haben den Stadtrat aufgefordert, keine weiteren Werbescreens auf Stadtgrund zu bewilligen – aus ökologischen Gründen. Aussenwerbung Schweiz reagiert deutlich auf dieses Anliegen.
Werbebildschirme in Zürich: Gruppe fordert Ausbaustopp vom Stadtrat
Haben unterschiedliche Ansichten zu digitalen Werbeflächen (v.l.): Markus Ehrle, Präsident Aussenwerbung Schweiz, und Christian Hänggi, Präsident IG Plakat-Raum-Gesellschaft. (Bild: Clear Channel/APG/zVg)

Die IG Plakat-Raum-Gesellschaft, der Klimastreik Zürich und die Schweizerische Energie-Stiftung wollen den Zürcher Stadtrat zum Handeln bei der Aussenwerbung bewegen: «Wir fordern ihn auf, keine weiteren Werbebildschirme und Leuchtdrehsäulen zu bewilligen, weder auf Privatgrund noch auf öffentlichem Grund», heisst es in einem offenen Brief an den Stadtrat. Und: «Die laufenden Verträge mit den Plakatgesellschaften sollen schnellstmöglich gekündigt und auf keinen Fall erneuert werden.» 

Die Unterzeichnenden begründen ihren Schritt mit ökologischen, klimapolitischen Überlegungen. Sie sind der Ansicht, dass «eine Erweiterung der digitalen Werbeflächen unnötig Energie frisst und für eine progressiv denkende und handelnde Stadt die falschen Zeichen setzt». Durch die «Zurschaustellung von Konsum» auf Werbeträgern, die «gegenläufig zur 2000-Watt-Gesellschaft oder dem Netto-Null-Ziel» seien, «untergräbt die Stadt ihre Glaubwürdigkeit (…)». 

Das sind happige Vorwürfe. Auf Anfrage von persoenlich.com hiess es bei der Stadt Zürich, dass der Stadtrat den Brief «zur Kenntnis nimmt», seine Antwort auf den offenen Brief aber «noch finden muss».

AWS kritisiert die Forderung als «werbefeindlich»

Stellung bezieht dagegen der Branchenverband Aussenwerbung Schweiz (AWS): «Hinter den Forderungen steckt unserer Meinung nach eine generelle Wirtschafts- und Werbefeindlichkeit», sagt Präsident Markus Ehrle*. Die Werbewirtschaft würde die Gesellschaft bereichern, Diskurs schaffen sowie Unternehmen, Politikern und Konsumentinnen helfen, sich zu verständigen. Ausserdem sei sie ein «wichtiger Bestandteil» einer freien, demokratischen Marktwirtschaft. «Und gerade kulturelle Veranstalter und Non-Profit-Organisationen nutzen häufig die Vorteile der Aussenwerbung», ergänzt Ehrle.

Christian Hänggi**, Präsident der IG Plakat-Raum-Gesellschaft, sagt gegenüber persoenlich.com: «Diesen Vorwurf der angeblichen Werbe- und Wirtschaftsfeindlichkeit hören wir vonseiten der Werbebranche seit 15 Jahren. Er entbehrt jedoch jeder Grundlage, es gibt keinen Beleg dafür, dass es uns darum geht. Wir setzen uns dafür ein, dass kommerzielle Werbung nicht im öffentlichen Raum stattfindet – Werbetreibende haben zahlreiche andere Möglichkeiten, dort zu werben, wo sie damit Inhalte finanzieren. Gegen Polit-Anzeigen und Plakate kultureller Veranstalter im öffentlichen Raum haben wir folglich nichts einzuwenden.»

Hänggi: «Das sind realitätsferne Argumente»

Für die AWS sei es weiter «nicht nachvollziehbar», weshalb sich die Forderung «isoliert gegen Aussenwerbung» richte: «Hier geht es offensichtlich nicht um das vorgeschobene Argument des Klimas – sondern darum, die Aussenwerbung massiv einzuschränken oder gegenüber anderen Medien zu diskriminieren», so Ehrle weiter. Zumal der Energieverbrauch anderer Werbekanäle wie TV, Internet, Gaming, Social Media durchaus bemerkenswert sei.

Zu dieser Kritik sagt Hänggi: «Unser Eindruck ist es, dass der AWS die sachlichen Argumente fehlen – und sie uns deshalb mit solch realitätsfernen Argumenten in eine Ecke drängt.» 

Unterschiedliche Interpretation von Akzeptanzstudie

Wie steht eigentlich die Bevölkerung zur Aussenwerbung? Gemäss Ehrle herrsche eine «breite Akzeptanz», was mehrere repräsentative Studien bestätigen würden – unter anderem auch in einzelnen Städten. Als Beispiel bringt er die Link-Akzeptanzstudie der AWS vom Januar 2022. Diese belegt unter anderem, dass Plakatwerbung von 72 Prozent der Befragten als eher bis sehr sympathisch beurteilt und von 82 Prozent als nicht beziehungsweise überhaupt nicht störend empfunden wird.  

Die Gruppierung dagegen bringt die gleiche Studie im Brief an den Stadtrat als Gegenargument ins Feld. Sie würde nicht belegen, dass die digitale Werbung im öffentlichen Raum beliebt sei. Gemäss der Studie stufen 36 Prozent der Befragten Anzeigen auf digitalen Bildschirmen im Bahnhof als eher bis sehr unsympathisch ein, bei digitalen Bildschirmen in Verkaufsstellen sind es 40 Prozent. Als störend bis sehr störend werden die beiden Werbeträger von 25 respektive 28 Prozent der Befragten eingestuft.

Christian Hänggi von der IG Plakat-Raum-Gesellschaft sagt dazu: «Die Studie zeigt, dass digitale Werbeflächen schlechter abschneiden als herkömmliche Plakate.» Digitale Bildschirme im Bahnhof werden gemäss der Erhebung von 60 Prozent als eher bis sehr sympathisch gewertet, bei Plakaten sind es 72 Prozent.

«Werbescreens sind heute energieeffizient»

Die Unterzeichnenden kritisieren im Brief, dass die Stadt Zürich im Jahr 2015 mit der Einführung von «energieintensiven» Werbebildschirmen im öffentlichen Raum «ein Tabu gebrochen» habe. Schliesslich habe sie sich schon lange zum Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft bekannt. Im Schreiben wird die Energiebilanz zitiert, die 2017 von der Stadt zusammen mit der Plakatgesellschaft Clear Channel in Auftrag gegeben wurde: «Die zusätzliche Installation von digitalen Werbeträgern oder der Ersatz eines Plakat-Scrollers mit einem LCD-Werbescreen erhöhen sowohl den Energiebedarf als auch Treibhausgasemissionen und sind somit gegenläufig zu den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft.»

Sind digitale Werbeflächen also nicht nachhaltig? Markus Ehrle von der AWS: «Eine Mehrheit der Anbieter betreibt ihre Anlagen mit Ökostrom und reduziert kontinuierlich ihre Gesamtumweltbelastung oder kompensiert CO2-Emissionen vollumfänglich. Ein 1:1-Vergleich der Umweltbelastung mit dem klassischen, analogen Plakat ist nicht sinnvoll, da die Ausspielung im digitalen Bereich viel dynamischer und variabler ist und die Zeiträume der Ausspielung völlig unterschiedlich sind.» Zudem würden zugunsten eines digitalen Screens sehr häufig mehrere analoge Plakatstellen abgebaut. 

Ehrle fügt an: «Die Technologie der digitalen Werbeträger verbessert sich zunehmend. Screens sind heute energieeffizient, sie passen sich dank integriertem Sensor dem Umgebungslicht an: Bei Dämmerung und Dunkelheit wird die Helligkeit und somit der Energieverbrauch gedimmt.» Und: Die Anbieter des streng regulierten Aussenwerbemarkts würden bei der Digitalisierung mit Bezug auf Nachhaltigkeit und Verkleinerung des ökologischen Fussabdrucks «oftmals noch einen Schritt weiter gehen als gefordert». 

«Wir gehen überhaupt nicht willkürlich vor»

Im Brief an den Stadtrat betonen die Unterzeichnenden, dass die Anzahl Werbebildschirme in den nächsten drei Jahren durch die Installation von 257 Bildschirmen an VBZ-Haltestellen vervierfacht werde. Rund 95 Prozent des Energieverbrauchs, der durch die «aufwendige Umrüstung» der Haltestellen auf LED-Beleuchtung eingespart werde, würde durch die Installation der Bildschirme umgehend wieder zunichtegemacht.

Apropos Ausbau: Gemäss den Unterzeichnenden seien auch in der aktuellen Ausschreibung von Werbeflächen (Werbebildschirme und Leuchtdrehsäulen) auf Stadtgebiet neue Bildschirme eingeplant. Deshalb fordert die Gruppierung den Stadtrat gemäss Brief auch dazu auf, «die Lose 11–14 der aktuellen Ausschreibung mit sofortiger Wirkung zurückzuziehen». 

Die AWS ist vom Zeitpunkt dieses Anliegens «überrascht», sagt doch Ehrle: «Bis auf zwei Anlagen sind sämtliche Installationen dieser Lose bereits bewilligt und seit einigen Jahren in Betrieb.» Ebenfalls sei die Ausschreibung der VBZ bereits im vergangenen Jahr abgeschlossen worden. «Dort waren es 250 digitale Anlagen, nun sind es 13 digitale Anlagen (Lose 13 und 14) mit 26 Screens, wovon bis auf zwei Installationen alle bereits vorhanden und seit einigen Jahren betrieben werden.» Bei den Leuchtdrehsäulen seien sämtliche 20 Installationen (Lose 11 und 12) bereits seit einigen Jahren in Betrieb. Ehrle ergänzt deshalb: «Das Vorgehen erscheint doch eher willkürlich.»

Hänggi streitet diesen Vorwurf ab: «Wir gehen überhaupt nicht willkürlich vor. Fakt ist, dass wir von der Stadt nicht über Neuausschreibungen informiert werden. So fehlt uns die Möglichkeit, uns einzubringen.» Mit der Forderung, die Lose 11–14 zurückzuziehen, möchten die drei Organisationen die Weichen für die Zukunft stellen: «Unser Ziel ist es, dass die bewilligten Installationen digitaler Werbeflächen nach Ende der Laufzeit abgebaut und nicht erneuert werden.»

Ehrle befürchtet grosse Auswirkungen

Angenommen, der Zürcher Stadtrat würde der Forderung der Gruppierung nachkommen, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies auf die Werbebranche hätte. Dazu Ehrle: «Die gesamte Werbewirtschaft und auch sämtliche andere Branchen sind auf dem Weg zur Digitalisierung. Eine Entwicklung zu stoppen, die offensichtlich mehr Transparenz, Effizienz und Möglichkeit bietet, erachten wir als nicht zielführend.»  

Ehrle ist überzeugt: «Unsere Branche würde das um Jahre zurückwerfen. Und unseren vielen Werbekunden – darunter auch lokalen – würden wichtige, dynamische und kostengünstige Werbeoptionen genommen. Zudem würde das Geld noch stärker zu Tech-Unternehmen fliessen, die ihre Wirtschaftsleistung nicht in der Schweiz erbringen.»

Weiter prognostiziert Ehrle, dass den Städten und Kommunen wichtige Einnahmen in Millionenhöhe fehlen würden. Denn schliesslich würden alle Aussenwerbeunternehmen mit ihren Konzessionsabgaben an die öffentliche Hand einen «wesentlichen Beitrag» zu deren Wirtschaftsleistung beisteuern.


*Markus Ehrle ist CEO der Plakatgesellschaft APG. Er nimmt im Artikel in seiner Funktion als AWS-Präsident Stellung.

**Christian Hänggi ist Präsident der IG Plakat-Raum-Gesellschaft, die sich laut eigenen Angaben seit 2006 für eine Reduktion der Aussenwerbung in Zürich einsetzt.


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KOMMENTARE

Andrea Wieser
24.06.2022 10:10 Uhr
@ Rudolf Bolli: Sehr guter Punkt, danke! @ Pablo Büttikofer: Ich finde, das ist ein durchaus wichtiges Thema, weil es anknüpft an Debatten um Ökologie, Demokratie usw. Und weil es so selten überhaupt diskutiert wird. Ich kenne durchaus Menschen, die unter der Werbeflut leiden. Und wenn man sagt, dass ein paar Screens niemandem wehtun, dann kann man mit gleichem Recht sagen, dass es niemandem weh tut, diese Screens zu entfernen.
Erich Weber
23.06.2022 16:22 Uhr
Das Genfer Modell, die Belästigung im öffentlichen Raum durch die unbeliebteste Berufsgruppe/Branche der Schweiz gleich ganz zu verbieten wird immer sympathischer. Wäre auch am Nachhaltigsten.
Rudolf Bolli
23.06.2022 15:07 Uhr
Und dann gäbe es zur Vermehrung der digitalen Werbeflächen noch eine ganz andere Frage: Wie steht es denn mit der Effektivität und der Effizienz bezüglich der Kommunikation? Kommen die Werbebotschaften überhaupt beim Publikum an? Hunderte neuer digitaler Werbebildschirme an VBZ-Haltestellen bringen vielleicht gar keine Wesentliche Erhöhung der Aufmerksamkeit. Wenn etwa ein grosser Teil der Reisenden in Bahnhöfen Werbebildschirme nicht als störend empfinden, könnte das ja auch heissen, dass sie kaum beachtet werden.
Pablo Büttikofer
23.06.2022 13:32 Uhr
Ich finde Kieswege auch störend, habe ich nach einem Spaziergang ständig staubige Schuhe und Kieselsteine im Schuh. Werde mich darum auch gegen Kieselwege in und um die Stadt einsetzen. Nein ernsthaft: Nutzt doch eure Zeit und setzt euch für Themen ein, welche wirklich relevant sind. Es gibt genug Ungerechtigkeit auf der Welt und auch in der Schweiz. Sei es Flüchtende, sei es Frauenrechte, Menschen die auch in der Schweiz in Armut leben... Ein paar Screens in mit Werbung machen niemandem weh.
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