19.04.2023

Marketingtag 2023

Von mutigem Marketing und kollegialer Führung

Wie krempelt man sein Unternehmen oder sein Geschäftsmodell um, um agiler zu sein? Pro-Juventute-Direktorin Katja Schönenberger, Tilsiter-Präsidentin Sibylle Marti, BLS-Marketingkommunikationschefin Julia Gamma und Smile-CMO Joséphine Chamoulaud sprechen über ihre Projekte.

«Radikal fokussieren» lautete das Hauptthema am Marketingtag vom Dienstag in Luzern. Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer verfolgten im KKL in Luzern verschiedene Inputreferate und Diskussionen zu zielführenden Marketingstrategien. In den beiden Sessions «Change the Business» teilten verschiedene Akteurinnen und Akteure ihre Erfahrungen mit Transformationsprojekten aus dem eigenen Geschäftsalltag. Befragt wurden sie von Moderatorin Kiki Maeder. persoenlich.com hat vier spannende Beispiele herausgepickt: 

Katja Schönenberger erzählte auf der KKL-Bühne, was Pro Juventute unternimmt, um die junge Zielgruppe zu erreichen. «Unser Purpose ist klar, für Kinder und Jugendliche da zu sein, wenn sie uns brauchen», sagte sie. Früher setzte Pro Juventute stark auf Telefonmarketing – «aber wir können lange am anderen Ende der Notrufnummer warten, wenn unsere Kernzielgruppe auf TikTok zu finden ist», erklärte sie. «Nach anfänglich erfolglosen Versuchen haben wir es nun geschafft, auf 250’000 Likes auf TikTok zu kommen.»

Gleichzeitig hat Pro Juventute in den letzten zwei Jahren die gesamte Organisation umgebaut – weg von der hierarchischen, hin zur kollegialen Führung als Kreisorganisation. Dies mit dem Ziel, sich den Veränderungen rasch anpassen zu können und die Wirkung bei Kindern und Jugendlichen zu maximieren. «Es war ein herausfordernder Prozess», sagt Schönenberger dazu. Die grösste Herausforderung in diesem Transformationsprozess seien die Menschen. Wir alle seien sehr konditioniert, es brauche eine neue Haltung, dessen sich jeder und jede bewusst sei. Zum Beispiel: Feedback geben und ein Problem nicht an den Vorgesetzten eskalieren lassen. Auf sich bezogen sagt sie: «Ich war bisher gewohnt, dass meine Meinung zählt – jetzt gebe ich bestimmten Themen bewusst Raum, damit sich andere Menschen entwickeln können.» Mit Blick auf den Abschluss der Reorganisation sagte sie: «Bis Mitte Jahr sollten wir alle Projekte in Kreise angeordnet und damit in trockenen Tüchern haben.»

Auch auf der Bühne war Sibylle Marti, langjährige Redaktionsleiterin und Produzentin von  TV-Unterhaltungssendungen bei SRF. Nun führt sie ihre eigene Agentur im Bereich Infotainment und ist Verwaltungsratspräsidentin von Tilsiter. Während im Marketing der Purpose grossgeschrieben wird, setze das Käseunternehmen in der aktuellen Kampagne einfach auf «unterhaltsame Sprüche», stellte Kiki Maeder zum Auftakt der ersten Session fest. «Marketingstrategien sollen auch unterhalten dürfen», sagte Marti dazu und fügte an: «Unsere Kampagne ist genau darauf angelegt, frisch, fröhlich und frech zu sein.» Nicht nur frech, sondern provokativ seien die Sprüche auf den Sujets, sagte die Moderatorin und sprach auf «Alle sind jetzt nonbinär und lieben diversen Tilsit*er.» an. Hier habe es – wenn man so will – einen Shitstorm gegeben, sagte Marti, und fügte an: «Ich plädiere hier klar für mehr Mut.»

 

Das Verkehrsunternehmen BLS hat 2018 eine Reorganisation gestartet, wo auch die Marketingkommunikation neu aufgebaut wurde. Julia Gamma, Leiterin Marketingkommunikation Personalmobilität BLS, sprach im KKL auf der Bühne über diesen Prozess. «Zuvor war die Marketingkommunikation bei den Projektverantwortlichen, jetzt haben wir sie zusammengenommen für alle Bereiche», sagte sie. Die neue Organisation setze viel Vertrauen zwischen dem Marketing und den anderen Bereichen voraus», fügte Gamma an. Die Vorteile seien, dass die BLS nun agiler auf Opportunitäten am Markt reagieren könne. Moderatorin Kiki Maeder fragte Gamma, wie sie im Unternehmen den Fokus auf dem Wichtigen behalte. «Die Zielgruppe definiert bei uns vieles», sagte sie. TikTok sei nicht immer der beste Weg – vor allem wenn man eine älteres Zielpublikum ansprechen wolle. Sie sei viel im Austausch auch mit Agenturen, welche Kanäle die richtigen seien. Da probiere die BLS vieles aus, nach dem Grundsatz Trial and Error. 

In der Nachmittagssession von «Change the Business» war Joséphine Chamoulaud, Marketingchefin von Smile Versicherung, zu Gast. Das Unternehmen gelte als «Netflix der Versicherungen», wie Moderatorin Kiki Maeder sagte. «Wir haben uns vor vier oder fünf Jahren hinterfragt und sind zum Schluss gekommen: Wenn wir in Zukunft und über längere Zeit als Unternehmen relevant seien wollen, dann müssen wir die aktuelle Best Practice anschauen. Und diese Geschäftsmodelle kommen nun mal von den Spotifys oder Netflixs dieser Welt», erläuterte Chamoulaud. Sie hätten sich bewusst vorgenommen, sich nicht nur in der eigenen Branche umzuschauen, sondern dort, wo die beste «digitale Experience» zu finden sei. Chamoulaud nannte verschiede Beispiele von Massnahmen, die aufgrund dessen implementiert wurden. Eines davon ist die kurze und kundenorientierte Kündigungsfrist von einem Monat. Bei Versicherungen, wo Ein- oder sogar Fünfjahresverträge üblich seien, hätte man das bisher nicht gekannt. Chamoulauds Fazit: «Als Firma muss man nicht die Welt neu erfinden, sondern einfach rausschauen und mutiger sein.»


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