25.07.2013

Jägermeister

"Wenn wir jetzt nicht Relevanz nachschütten, ebbt der Boom ab"

In Deutschland ist Jägermeister hochbeliebt. Der Kräuterlikör behauptet seit Jahren den 1. Rang bei den Spirituosen. In der Schweiz sieht das noch etwas anders aus: Zwar hat man den Umsatz in den letzten Jahren auf rund 600'000 Flaschen steigern können, doch für mehr als den 15. Rang reicht das derzeit nicht. Wie man es in die Top Ten schaffen will und was den allgemeinen Jägermeister-Boom ausgelöst hat, erzählt Marcus Thieme, Regional Director für Westeuropa, im Interview am Wolfenbüttler Firmenhauptsitz.
Jägermeister : "Wenn wir jetzt nicht Relevanz nachschütten, ebbt der Boom ab"

Herr Thieme, Sie sind Regional Director für Westeuropa bei Jägermeister. Eine Marke die heute weitgehend mit dem Nachtleben assoziiert wird und von einer jungen Klientel getrunken wird. Das sah vor 12 Jahren, als Sie hier anfingen noch anders aus, richtig? 
Ganz klar. Vor 12 Jahren war Deutschland bei weitem der grösste Absatzmarkt. Der gesamte Auslandsanteil betrug 30 Prozent. Jetzt liegt der Auslandsanteil bei circa 75 Prozent und wir verkaufen insgesamt nahezu 90 Millionen Flaschen pro Jahr. Das hat sich alles stark verändert. Heute sind die USA mit Abstand unser grösster Markt.

Wie sieht genau das Zusammenspiel mit den anderen Märkten aus? Wie geht der Export genau vonstatten?
Wir haben in jedem Land Distributionspartner. In der Schweiz ist das die Firma Diwisa. Gemeinsam erarbeiten wir eine geeignete Positionierung für den jeweiligen Markt. Dabei versuchen wir immer, einen besonderen Jägermeister-Weg zu finden. Einen, der sich differenziert von den grossen Playern.

Das heisst also: Jedes Land definiert für sich, wofür die Marke Jägermeister steht.
Richtig. Wobei: Es gibt natürlich Grundwerte. Wir haben eine globale Positionierungsarbeit geleistet. Dafür haben wir ein Kernmarkenpaket definiert. Es ist mit "spark genuine connections" überschrieben.

Marcus Thieme, Regional Director Western Europe bei Jägermeister

Was steht da genau drin?

Darin wird der Markenkern umschrieben. Jägermeister ist für die besonderen Momente da. Nicht um in der Vergangenheit zu schwelgen, sondern um den zündenden Moment zu begehen. Man sitzt mit Freunden zuhause und guckt Fussball und eigentlich ist es ein ganz normaler Abend. Dann holt jemand ne Runde Jägermeister raus. Und plötzlich liegt so ein Gefühl in der Luft: Vielleicht geht heut noch was.

Was geht da? Ein Besäufnis?
Nein, kein Besäufnis. Es geht um hochqualitative Momente. Der Jägermeister-Moment ist viel intensiver als zum Beispiel der Bier-Moment. Ganz viele Leute haben auch eine Geschichte, die sie mit der Marke verbindet.

Meine hat mit dem Rapper Sido zu tun. Ich weiss, dass er in Zürich mal fast nicht aufgetreten wäre, weil der Jägermeister in seiner Garderobe fehlte. Der Konzertveranstalter musste ihn schliesslich für teures Geld in einer Bar erwerben. Ich habe das Erstarken der Marke in den letzten Jahren vor allem über die Berliner Partyszene und bekannte Konsumenten wie Sido mitverfolgt. Deshalb meine Frage: Hat das Marketing von Jägermeister überhaupt schon gefruchtet? Haben die Konsumenten die Marke nicht einfach selber wieder für sich entdeckt, vom Staub befreit und neu definiert.
Nun, dafür muss ich jetzt ein wenig ausholen: Die Marke war ja eigentlich schon weg. Es gibt eine Art "Lost Generation". Leute, die heute zwischen 30 und 45 Jahre alt sind. Die hat Jägermeister in Deutschland komplett verpasst. Da war die Marke nicht mehr relevant. Was dann begann, war markengetrieben: Die Leute fingen an, auf Technoparties Retro-T-Shirts von Jägermeister zu tragen. Nach und nach wurde es in diesen Kreisen hip, Jägermeister zu trinken. Die Marke erlebte eine Art "Underground Revival". Dann schrieben die Toten Hosen ein Lied namens "Zehn kleine Jägermeister". Wir hatten mit beidem nichts zu tun. Aber es hat uns natürlich enorm genützt. 


Wir haben dann mit Marketingmassnahmen versucht die Marke weiter zu drehen: Wir haben unsere Promogirls - sogenannte Jägerettes - losgeschickt in die Bars. Die haben  dort für Stimmung gesorgt. Laute Musik, der Hirsch und die Mädels. Das war in Deutschland damals ganz neu. Wir haben uns gesagt: Die einzige Chance, die wir haben ist es, direkt auf die Leute loszugehen. Laut, "in your face" und "partytime". So haben wir angefangen. Wir hatten ungefähr 1000 Jägerettes, die die ganze Republik beackert haben. Nach drei, vier Jahren hat das gewirkt.

Wie ging’s weiter?
Wir haben dann sehr viele grosse Events belegt. Openairs, Festivals, Umzüge. Zum Beispiel waren wir mit riesigen Trucks auf Schlager Festivals oder dem Christopher Street Day präsent. Wir sind mittlerweile die grösste Spirituose in Deutschland. Da zu sagen: "Wir fangen jetzt an uns cool zu geben!" - Das wäre falsch gewesen.  Wir haben schlicht gesagt: "Wir sind für die 19-26-Jährigen da. Wir sind eure Marke – obwohl euer Grossvater uns auch trinkt."

In den USA unterstützt Jägermeister die Metalszene. Passt das?
Die Metalszene in den USA ist riesig. Und das Produkt hat sich seine Testimonials quasi selber ausgesucht. Die haben das Produkt selbst entdeckt. Ich hab mal James Hetfield von Metallica in New York im Lift getroffen. Als er erfuhr, dass ich für Jägermeister arbeite, hat er gesagt: "I thank you so much!" - Unsere Authentizität macht uns sehr beliebt für den Musikbereich.



Welches ist die grösste Gefahr für die Marke?
Dass wir in manchen jungen Märkten nicht das Problem eines Trendproduktes haben. Wenn wir jetzt nicht Relevanz nachschütten und die Marke füllen, dann ebbt der Boom irgendwann ab und das Volumen bricht ein.

Eiskalt soll er sein: Die Tap Maschine spendet Jägermeister Shots.

Nun hat Jägermeister erstmals eine Pressereise für Schweizer Medienvertreter durchgeführt. Worum ging es Ihnen dabei?
Jägermeister ist in sehr vielen Märkten sehr stark aktiv im Below the Line Bereich und damit erreichen wir auch sehr viel Kunden direkt. Nur um ein Image weiter zu bestärken, brauchen wir mehr Konsumenten, die davon etwas mitbekommen. Dazu müssen wir viel mehr mit Journalisten und Meinungsbildnern arbeiten und besser in den Mediakanälen präsent sein. In der Exekution vor Ort und beim Erlebnis unserer Marke ist unser Anspruch immer die Champions League. 

Desweiteren müssen wir die Basis für ein langfristiges Wachstum weiterbauen. Neben den bekannten Jägermeister Attributen haben wir aber auch etwas über das Produkt zu erzählen. Das ist erstmal für viele Konsumenten neu und wir überladen sie auch nicht damit. Um diese ersten relaventen Punkte zu verbreiten, brauchen wir die Medienvertreter auch.

Während zweieinhalb Tagen wurden wir in die Markenwelt von Jägermeister eingeführt. Wir haben die Fabrik besichtigt, wir haben uns Vorträge angehört, wir haben selber versucht Jägermeister herzustellen, es wurden uns Cocktails auf Jägermeister-Basis serviert. Immer haben Sie das Produkt selbst in den Mittelpunkt gestellt. Wieso?
Weil es ein einzigartiges Produkt ist und wir uns damit absolut identifizieren – jeder, der bei Jägermeister arbeitet. Dazu kommt noch, dass wir schrittweise einen Bereich eintauchen, welcher bei Jägermeister in der Vergangenheit weniger Fokus hatte. Nun befinden wir uns aber in vielen Märkten in einer Situation, in der wir dafür sorgen müssen uns neben dem emotionalen Versprechen auch durch unser Produkt von anderen Produkten abzuheben. Wir haben in vielen Märkten ein "Me Too"-Problem von billigen Kopien – wir brauchen das Qualitätsverständnis für den Konsumenten. Der eiskalte Shot wird immer unser absolutes Kerngetränk sein – aber das Jägermeister fantastisch mit Ginger Beer schmeckt, liegt an der Besonderheit und Balance unseres Rezeptes.

Ist das nicht Marketing von vorgestern? Klammern Sie sich da nicht an etwas, was für den Konsumenten und die meisten Journalisten eigentlich keine grosse Rolle spielt? Der Journalist will doch lieber mit spannenden Interviewpartnern versorgt werden. Mit Casper, mit den Toten Hosen, mit Das Bo, mit Ferris, mit irgendjemandem, dessen Lifestyle Jägermeister-Momente beinhaltet.

Wie schon erklärt spielen wir beide Klaviaturen. Die müssen ineinander passen. Letztendlich zieht sich der Konsument genau wie der Journalist immer seine individuelle Information heraus und wie ich weiss, beinhaltet die Pressereise auch sehr viel emotionale Momente...


Sie pochen auf Qualität. Ich weiss nicht, wie oft von den 56 Kräutern, von der komplizierten Herstellung, von den vielen Qualitätskontrollen die Rede war. Wie geht das zusammen mit dem – mit Verlaub – etwas prolligen Umfeld, in dem das Getränk meist konsumiert wird?
Das ist doch genau der Punkt: Wie vorher erklärt sind wir eine Marke für besondere Momente mit engen Freunden und wenn die Freunde das etwas lauter kommunizieren, wenn die Jägermeister trinken ist uns das genauso lieb, wie wenn sie sich auf einmal darüber austauschen, dass Jägermeister mit Tonic grossartig schmeckt. Wir sind eine ehrliche Marke für alle (ab dem LDA) und kein Champagner für eine ausgewählte Gruppe.

In diesen Eichenfässern im Keller der Firmenzentrale im deutschen Wolfsbüttel wird der Grundstoff des Kräuterlikörs mindestens ein Jahr gelagert.

Kommen wir noch kurz zu Schweiz: Wo steht die Marke, wo will sie hin?
In der Schweiz sind wir – jetzt mal ganz nüchtern betrachtet – die 15. grösste Spirituose. Vor zwölf Jahren haben wir in der Schweiz 50'000 Flaschen verkauft. Heute sind es über 600'000 Flaschen. Ich finde das immens – vor allem wenn man bedeckt, wie streng die Restriktionen in Punkto Werbung in der Schweiz sind. Die Vorschriften werden immer strenger. Alles was Emotionen weckt, ist im Zusammenhang mit einer Spirituose nicht erlaubt.

Was ist in Zukunft hierzulande geplant?
Verschiedenes! Wir werden an verschiedenen Festivals präsent sein. Am Zürich Openair wird man nicht an Jägermeister vorbeikommen, so viel kann ich jetzt schon verraten. Ausserdem arbeiten wir mit verschiedenen Guerilla-Massnahmen wie zum Beispiel einem Bandvan, aus dem plötzlich eine Band herausspringt und ein Konzert gibt.

Wie gross ist das Marketingbudget?
Genaue Zahlen geben wir nicht bekannt. Aber wir investieren überdurchschnittlich viel ins Marketing. Nicht so viel wie Red Bull, aber doch sehr viel. Marketing ist unsere grösste Waffe. Neben dem Produkt kommunizieren wir auch ein Lebensgefühl. Und dazu braucht man ein paar Franken mehr.

Wo will Jägermeister hin?
Unser Ziel ist ganz klar: Wir wollen in den nächsten drei Jahren in die Top Ten des Schweizer Spirituosenmarkts. 

Interview: Adrian Schräder//Bilder: Jägermeister / Aurélia Marine



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