28.08.2023

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«Die meisten Probleme sind nicht technischer Natur»

Die Verfügbarkeit von Third-Party-Cookies ist rückläufig. Was bedeutet dies für die Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch für die Werbetreibenden? Martin Radelfinger, Präsident IAB, spricht mit René Plug, Leiter IAB Arbeitsgruppe Data & Identity Management, über die neusten technischen Entwicklungen und Herausforderungen.
Ausgabe 06/07 2023: «Die meisten Probleme sind nicht technischer Natur»

Text: Simon Leray Bilder: zVg

René, wir beschäftigen uns ja schon seit einigen Jahren mit dem graduellen Verlust von Third-Party-Cookies und damit mit der zunehmenden Bedeutung von First-Party-Daten und Identity-Management-Lösungen. Kannst du die relevanten Entwicklungen und Lösungen kurz skizzieren und für Werbetreibende und Publisher einordnen?
Bereits seit vielen Jahren ist die Verfügbarkeit der Third-Party-Cookies (3PC) rückläufig. Dieser Trend basiert auf zwei unterschiedlichen Faktoren: Erstens gibt es mehr Regulierung, wodurch höhere Anforderungen gestellt werden an die Anwendung von 3PC. Zweitens lassen die Browser immer weniger 3PC zu. Safari und Firefox blockieren bekanntlich schon seit längerer Zeit die 3PC, und 2024 wird auch Google Chrome (mit über 40 Prozent Marktanteil in der Schweiz) dazukommen. Diese «Cookiecalypse» von Chrome ist besonders relevant, da sie dafür sorgt, dass nur noch ein Bruchteil des Datenverkehrs 3PC-Signale enthalten wird. Zudem lassen immer weniger Apps den Gebrauch von 3PC-ähnlichen Instrumenten zu, und immer mehr Technologien verschleiern andere Formen der Nutzerkennung.

Die Lösung ist der Einsatz von Nutzerkennungen, die Privacy-konform sind, und diese müssen in der Regel auf First-Party-Basis angewendet werden. Publisher sind nun aufgefordert, ihre eigene Data&Identity-Strategie aufzubauen, womit Zielgruppen definiert, Nutzerprofile gemessen und PerformanceAttribute zurückverfolgt werden können. Werbetreibende werden mit mehreren Publisher-Partnern zusammenarbeiten, um optimale Datenstrategien zu definieren, die von besserer Qualität sind, neue Optionen bilden und inhärent Privacy-konform sind.

Die grosse Herausforderung beim Einsatz von First-Party-Daten seitens Werbetreibenden liegt ja oft darin, User auf dem Werbeinventar der Publisher mit einer relevanten Reichweite zu erkennen und anzusprechen. Welche Ansätze bieten sich zur Lösung dieser vorrangigen Problematik an?
First-Party-Daten beschränken sich grundsätzlich auf einzelne Publisher, und das sorgt für eine Zersplitterung der verfügbaren Reichweite. Es gibt viele Lösungsansätze, manche gelten nur für spezifische Anwendungen, andere haben breitere Einsatzbereiche. Auch gibt es einige anbieterspezifische Lösungen, zum Beispiel Google Sandbox.

Ein erster allgemeiner Lösungsansatz ist die Standardisierung von Nutzersegmenten. Werbetreibende können Standardsegmente Publisher-übergreifend einkaufen. Allerdings mit dem Nachteil, dass Frequency-Capping nicht gewährleistet werden kann. Ein zweiter Lösungsansatz ist der Einsatz modellierter Datenprofile, wobei mit nur wenigen deterministischen Daten viel grössere Zielgruppen modelliert werden können. Ein dritter Lösungsansatz ist der Einsatz von DataCollaboration-Konzepten. Diese ermöglichen den Austausch und Abgleich von Daten zwischen Publisher und Advertiser, solange der Nutzer entsprechend einwilligt. Beispiele sind Daten- und ID-Allianzen wie die Net ID in Deutschland oder Data-Clean-Rooms, wo individuelle Partner einen sicheren Datenaustausch ermöglichen.

Was sind aus deiner persönlichen Sicht und aus Sicht der IAB-Arbeitsgruppe Data & Identity Management die grössten Herausforderungen für Lösungen mit einer maximalen Marktabdeckung? Die grössten Herausforderungen sind oft nicht technischer Natur. Wir haben sehr unterschiedliche Marktteilnehmer mit vielen verschiedenen Belangen und Interessen. Alle sind interessiert an einer tieferen Zusammenarbeit, aber wir sind Kollegen und Konkurrenten zugleich. Wir sind Käufer und Verkäufer. Wir suchen nach einer optimalen Balance zwischen Konsens über Instrumente, die wir einsetzen können, um ein optimales Funktionieren des Systems zu gewährleisten, und einer gesunden Marktwirtschaft, worin jeder Teilnehmer seine eigene Position stärken und erweitern kann.

Die Lösung liegt darin, uns vor allem auf das Funktionieren des Systems zu konzentrieren und Leitplanken zu definieren für die Ansätze, die im Schweizer Markt Einsatz finden. Die Arbeitsgruppe setzt sich zum Ziel, Lösungsansätze transparent zu machen, diese objektiv zu evaluieren und die Stärken und Schwächen zu zeigen. Ausserdem wollen wir einen Code of Conduct erstellen, in dem wir die gemeinsamen Leitplanken definieren. Am Ende wählt jeder Marktteilnehmer selber, welche und wie viele Lösungen er einsetzen will. 

Welche konkreten internationalen und nationalen Lösungen zeichnen sich ab oder sind bereits verfügbar?
Es bieten sich viele spannende Initiativen an, im In- und Ausland. Zum Beispiel arbeitet das IAB Tech Lab in New York an standardisierten Zielgruppensegmenten, Seller Defined Audiences (SDA). In Nachbarländern gibt es interessante Datenallianzen, wie die deutsche NetID, die europäische äquivalente European NetID sowie die tschechische Czech Ad ID. Daneben gibt es Initiativen der internationalen Telcos, wie Utiq (früher TrustPID). Und es gibt natürlich auch spannende Schweizer Start-ups wie C-Wire und Decentriq, die Lösungen in den Bereichen kontextuell und Data-CleanRooms anbieten. Es gibt also viele gute Ansätze, woran wir uns im Schweizer Markt orientieren können.

Du hast im Rahmen der IAB-Arbeitsgruppe einen DEX-Talk zum Thema Data & Identity Management vorbereitet. Welche Stakeholder möchtest du mit diesem Event ansprechen, und kannst du schon etwas zum Inhalt der Präsentationen sagen?
Wir haben einen sehr spannenden ersten Anlass geplant für den 6. September, an dem wir genau diese Thematik vertiefen werden. Der Anlass ist für alle Stakeholder der Schweizer Werbeindustrie, die sich für FirstParty-Daten und Identity-Strategie interessieren. Das sind insbesondere die Datenverantwortlichen bei Publishern, Werbetreibenden und Agenturen. Aber mit Sicherheit auch alle Produkt- und kommerziell Verantwortlichen, die verstehen möchten, wie der Online-Werbemarkt in Zukunft funktionieren wird.

Das Programm befindet sich noch in der Entwicklung, aber wir werden mit Sicherheit die Agenturperspektive zeigen, um zu verstehen, wo schon heute die Herausforderungen sind. Ausserdem haben wir Google eingeladen, damit sie die letzten Entwicklungen der Privacy-Sandbox erläutern. Darüber hinaus werden zwei Identity-Allianzen aus unseren Nachbarländern erklären, wie sie dieses Thema in ihrem Umfeld angehen.


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