17.04.2023

SRF

Alle machen alles im «Studio 404»

Bei der neuen Satireshow steht das Team im Zentrum und weniger einzelne Köpfe. Mit dem Nachfolgeformat von «Zwei am Morge» zielt SRF zudem auf ein etwas älteres Publikum – und erreicht dieses auch. Ein Studiobesuch.
SRF: Alle machen alles im «Studio 404»
Jenna Meichtry moderiert eine Show von «Studio 404». (Bild: SRF)

Seit Ende März sind sie wieder da. Zwar ohne die alten Aushängeschilder, aber dafür mit neuem Elan und neuen Gesichtern. «Studio 404» macht dort weiter, wo «Zwei am Morge» vor einem Jahr aufgehört hat. Den Abgang der Moderatoren Ramin Yousofzai und Robin Pickis nahmen die Macher des Jugendformats zum Anlass, über die Bücher zu gehen. Viel von der alten DNA sei erhalten geblieben, sagt Projektleiter Philip Wiederkehr im Interview mit persoenlich.com. Geändert hat sich der Standort. Vom inzwischen aufgelösten Studio Brunnenhof zügelte die junge Truppe an den Leutschenbach.

Ein schlauchartiger Raum irgendwo im verwinkelten Studiotrakt von Schweizer Fernsehen SRF. Die Fenster sind abgedunkelt. Heute ist Drehtag. In der einen Hälfte des Raums steht eine grosse Arbeitsfläche mit einem Dutzend Computerarbeitsplätzen, auf der anderen Seite befindet sich das Studioplateau mit aufgestellten Kameras und Scheinwerfern an der Decke, daneben Ton- und anderer Technikplunder. An der Wand hinter der grossen Arbeitsfläche sieht man in der einen Ecke ein Sofa und in der anderen ein Kühlschrank mit alkoholischen Getränken. Alles wirkt noch etwas improvisiert. Das Ambiente verströmt Start-up-Groove.

Am Freitag auch im Fernsehen 

Hier entsteht «Studio 404». Gemäss Eigenbeschreibung ist das «scharfzüngige bis zynische Unterhaltung für eine Generation, die sich zwischen Boomer-Träumen und düsterer Zukunft verloren fühlt». Ein inzwischen 15-köpfiges Team, die meisten Mitarbeitenden arbeiten Teilzeit, produziert wöchentlich zwei Videos für YouTube, Kurzfutter für Instagram und TikTok sowie jede Woche einen Podcast. Die Studioshow, das Flaggschiff von «Studio 404», gibt es jeweils am Freitagabend auch am Fernsehen auf SRF zwei zu sehen.

Auf der Kopfseite der Pultlandschaft, quasi auf dem Chefplatz, blickt Matthias Püntener auf einen Bildschirm. Püntener arbeitet seit 2008 für Schweizer Radio und Fernsehen. Als Senior Producer im Bereich Jugend von SRF verantwortet er neben anderen Formaten auch die neue Satireshow. Das Vorgängerformat «Zwei am Morge» hat er erfunden. Auf dem Bildschirm sieht er Zahlen, gute Zahlen, und das freut ihn. Die Grafikbalken der Nutzungsstatistiken schlagen genau dort aus, wo sie sollen. Ob YouTube, Instagram oder Spotify: Auf allen Plattformen erreichen die Formate von «Studio 404» grossmehrheitlich die 18- bis 34-Jährigen. «Das ist unsere Zielgruppe», sagt Püntener. Die SRF-Website und auch das Fernsehen spielen in den Überlegungen von «Studio 404» keine Rolle, weil dort das Publikum zu alt ist. «Aber wenn zum Beispiel eine Mutter am Fernsehen unsere Videos sieht und sie ihren Kindern empfiehlt, die sie auf YouTube schauen, bringt uns das natürlich auch was», sagt Püntener.

SRF im Plattform-Dilemma

Dass SRF mit «Studio 404» voll auf die Distribution via Drittplattformen setzt, ist heikel oder zumindest eine Gratwanderung. Denn damit begibt sich das Unternehmen in eine Abhängigkeit von den Algorithmen und Geschäftslogiken grosser Tech-Konzerne, die nicht deckungsgleich sind mit dem Service-public-Auftrag. Zwar versichert SRF auf Anfrage: «Die eigenen Kanäle stehen für uns im Zentrum.» Das mag als allgemeine Maxime zutreffen, aber nicht auf den konkreten Fall. SRF relativiert gleich selbst: «Es gibt Zielgruppen, die wir heute kaum mehr über unsere eigenen Plattformen erreichen. Auch diese Personen zahlen die Medienabgabe, auch sie haben deshalb ein Anrecht auf unsere Angebote.» SRF steht hier vor einem – ungelösten – Zielkonflikt. Zu lösen wäre er mit attraktiveren eigenen Plattformen. Doch möglicherweise ist dieser Zug abgefahren und ein jüngeres Publikum nicht mehr für irgendwelche SRF-Plattformen zu gewinnen.

«Studio 404» gibt es nun mal sicher die nächsten vier Jahre. Für Matthias Püntener ist das gerade auch nach der Erfahrung mit «Zwei am Morge» eine sinnvolle Dauer. Länger würde keinen Sinn ergeben. «Dann wären die Macherinnen zu alt, oder sie haben Lust auf etwas Neues und ziehen weiter.» Mit dem Publikum älter zu werden, wie das bei SRF etwa der einstige Jugendsender DRS 3 gemacht hat, sei schon vorstellbar. «Aber dann müssten wir die Plattform wechseln. Zum Beispiel auf Teletext», sagt Püntener und lacht. «Zwei am Morge» und nun auch «Studio 404» haben tatsächlich ihre eigene Teletext-Seite.

«Studio 404» macht dort weiter, wo «Zwei am Morge» nach vier Jahren aufgehört hat. Die Macher dieser YouTube-Morgenshow etablierten eine neue Tonalität im Unterhaltungsangebot von SRF für das junge Publikum. Sie brachten einen Humor mit, der bei ihrer Altersgruppe ankommt. Man spürte, dass sie selbst lustig fanden, was sie dem Publikum zumuteten. Ob Selbstversuche mit allerlei Sportgeräten oder Mediensatiren, bei denen sowohl das eigene Haus als auch die Konkurrenz auf die Schippe genommen wurden, fanden ihr Publikum. Zum Überhit mit bisher fast 900’000 Aufrufen auf YouTube entwickelte sich ein Remix von Bundesrat Alain Bersets Aufruf, während Corona zu Haus zu bleiben.

Eine Stunde bevor es ernst wird, herrscht in den Räumlichkeiten von «Studio 404» eine entspannte Geschäftigkeit. Ein Lacher hier, eine Anweisung dort. Einer testet ein Megafon und nervt die anderen mit dem schrillen Heulton. Am Dienstagnachmittag wird jeweils die Studioshow aufgezeichnet, das Flaggschiff von «Studio 404».

Das Konzept kommt auf den ersten Blick sehr konventionell daher. Eine Moderatorin reiht während zwölf Minuten mehr oder weniger lustige Gags aneinander, unterbrochen von Einspielern, die mal als Rubrik für sich stehen, mal das Gesagte illustrieren.

Moderatorin kriegt Pointen untergejubelt

Doch «Studio 404» hat die bekannte Struktur aufgebohrt und eine Schikane eingebaut, die den Unterhaltungsfaktor erhöhen soll. Wer die Show präsentiert, weiss im Voraus nicht, was er oder sie vom Teleprompter abliest. Das Autorenteam kann so der Moderationsperson Pointen unterjubeln, die diese nicht kennt und darob selbst lachen muss. Der Schuss kann aber auch nach hinten losgehen.

Für die kommende Aufzeichnung hängt ein roter Plüschvorhang nachlässig drapiert an der Wand. Daran baumeln fünf goldene Aufblasbuchstaben: «BINGO». Davor steht ein Pult mit einem billigen, grünlich glitzernden Textilüberwurf. Darauf eine Bingotrommel und ein roter Buzzer. Hier wird in Kürze Jenna Meichtry vor der Kamera Platz nehmen. Auch sie weiss nicht, was ihr die Kolleginnen und Kollegen aufgeschrieben haben. Als Gegenrecht für die Blackbox, in sie sich begibt, darf sie ihre Show mit Elementen gestalten, die das Autorenteam nicht kennt. An diesem Tag gehört eine Torte zu den Requisiten.

Das richtige Mass Fremdscham

Unterdessen sitzt Jenna Meichtry am Moderationspult. Ihr gegenüber haben Mateo Gudenrath und Rebekka Pérez an einem Tisch Platz genommen. Sie haben die Show für ihre Kollegin geschrieben. Mit übergrossen Bleistiften kreuzen sie auf Bingokarten die Zahlen ab, welche die Moderatorin aus der Trommel fischt. Gudenrath trägt die Brille verkehrt herum. Die Szenerie wirkt komisch, auch deshalb, weil sie haarscharf am Überinszenierten vorbeischrammt und ein Mass an Fremdscham evoziert, das einen weiter auf den Bildschirm starren lässt.

Nach dem Bingo-Intro kriegt zuerst Dalai Lama wegen seines Zungenübergriffs sein Fett weg. Auch Mr. Corona Daniel Koch wird der Lächerlichkeit preisgegeben wegen seiner Selbstinszenierung während eines Besuchs in Kiew jüngst. Und über eine vegane Influencerin macht sich die Moderatorin lustig, weil sie sich nun auf OnlyFans auszieht. Nicht alle Pointen sitzen, manche wirken etwas schnell geschrieben, andere zu erwartbar. Diese Folge hat weniger Drive als die vorangegangene, aber es ist ja auch erst die dritte Show.

Die Aufnahme kommt nur schleppend voran. Die Moderatorin verhaspelt sich, Sequenzen müssen wiederholt werden. Wobei es nicht zwingend die beste Version in die Endfassung schafft, sondern auch einmal die Wiederholungen gezeigt werden – das Making-of als integraler Bestandteil der Show. So sieht man auch immer wieder kurze Rückblenden auf die Redaktionssitzung, wie das Autorenteam gemeinsam die Gags ausheckt und sich überlegt, was man der Moderation in den Mund legen könnte.

Bestandteil jeder Studioshow sind zudem zwei Kurzrubriken. Zum einen «SRF Mateo», eine «SRF Meteo»-Parodie, bei der Mateo Gudenrath nur anfänglich oder vermeintlich vom Wetter spricht, um dann irgendwohin abzuschweifen. Zum anderen ein einminütiger Wochenrückblick, der Recrap, bei dem Philip Wiederkehr mit betont gelangweilter Stimme Ereignisse der vergangenen Tage, die für Schlagzeilen sorgten, mit (un)passender Bebilderung abspult. Als Grande Finale erhält bei dieser Folge schliesslich Bingogewinner Mateo eine Torte ins Gesicht gedrückt, was in den Kommentaren auf YouTube prompt für Kritik sorgt: Foodwaste!

Herausforderung Teleprompter

Ihre Premiere als Moderatorin der Studioshow hat Jenna Meichtry routiniert hinter sich gebracht. Das nervöse Wippen mit ihrem linken Fuss während der Aufzeichnung habe nichts Weiteres zu bedeuten, sagt sie danach. «Das ist normal bei mir, ich bin immer etwas hibbelig.» Etwas ungewohnt sei es für sie gewesen, vom Teleprompter abzulesen. Damit habe sie noch nicht so viel Erfahrung.

Mit den Pointen, die man ihr untergejubelt hat, zeigte sie sich nicht nur glücklich. Einen sexistischen Witz fand sie nicht lustig, was sie in der Show auch klar zu erkennen gibt. Als ihre Mutter hinhalten sollte für eine billige Pointe, macht sie schnell klar, dass das nicht geht. Der Gag wird rausgeschnitten. «Ich respektiere den Humor der anderen. Das heisst aber nicht, dass ich alles lustig finden muss», sagt Meichtry im Gespräch mit persoenlich.com.

Meichtry machte früher mal Lokalradio im Wallis, absolvierte ein Multimedia-Studium in Bern, bewarb sich dann bei SRF und ist nun Teil des Teams von «Studio 404». Angestellt ist sie als Produzentin, tritt aber in dieser Rolle auch vor der Kamera auf. Grundsätzlich machen alle alles, abgesehen von den Leitungsfunktionen, die den Laden zusammenhalten. So hat sie kürzlich eine Sitcom-Parodie realisiert, deren Handlung und Dialoge die Künstliche Intelligenz ChatGPT vorgeschlagen hat. Obwohl der Fokus von «Studio 404» auf News-Satire liegt, hat auch ein solches Experiment Platz. Und vielleicht gibt es ja noch mehr davon. «Ich würde gerne mal eine Netflix-Serie machen», sagt Jenna Meichtry. «Wir sind zwar alle nur mässig gute Schauspieler, aber bei ‹Tschugger› spielen ja auch Laien.» Und Meichtry ist auch Walliserin. Wer weiss, was wir aus dem «Studio 404» in den nächsten vier Jahren noch alles zu sehen kriegen.


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