26.10.2015

Jahrbuch Qualität der Medien

"Boulevardjournalismus hat sich zum dominanten Phänomen entwickelt"

"Blick am Abend" und Blickamabend.ch kommen besonders schlecht weg. Zu diesem Ergebnis kommt das am Montag präsentierte Qualitätsranking des Forschungsinstituts für Öffentlichkeit und Gesellschaft Fög. Die höchsten Werte erreichen "Echo der Zeit" und "Rendez-vous". Doch auch sie verlieren weiterhin stark an Publikum, genauso wie andere Medien, die vor allem über Politik und Wirtschaft berichten. Das sei demokratiepolitisch bedenklich, warnt Mark Eisenegger im Gespräch mit persoenlich.com. Der Fög-Präsident hält die Werbeallianz zwischen Swisscom, SRG und Ringier für zukunftsweisend.
Jahrbuch Qualität der Medien: "Boulevardjournalismus hat sich zum dominanten Phänomen entwickelt"

Herr Eisenegger, am Montagvormittag präsentierten Sie das Jahrbuch zum ersten Mal ohne Kurt Imhof. Wie ist er auch nach seinem Tod weiterhin präsent?
Am wichtigsten ist, dass wir uns weiterhin dem Anspruch der Aufklärungswissenschaft verpflichtet fühlen. Auch in Zukunft wollen wir uns nicht im Elfenbeinturm verstecken, sondern das Sein am Sollen bemessen und auf Probleme im Medienbereich ebenso hinweisen, wie auf positive Dynamiken. Denn: Die Qualität unserer politischen Kultur hängt zentral von der Qualität der öffentlichen Kommunikation ab. Um Kurt ein ehrendes Andenken zu bewahren, haben wir zudem unsere Jahrbuch-Stiftung in "Kurt-Imhof-Stiftung für Medienqualität" umbenannt. Auch damit soll ersichtlich bleiben, dass Kurt für die Erforschung der Medienqualität Grossartiges geleitet hat.

Das Jahrbuch ist – vor allem von ausser betrachtet – stark an die Person Kurt Imhof geknüpft. Welche Strategie haben Sie sich zurechtgelegt, dass die Befunde künftig nicht versickern, sondern den öffentlichen Diskurs erreichen?
Natürlich war Kurt über die Jahre der zentrale Kopf unseres Projekts. Es wird allerdings vergessen, dass am Jahrbuch mehr als 20 Forschende beteiligt sind und dass das Projekt gegen aussen stets durch verschiedene Personen vertreten wurde. Am wichtigsten aber erscheint mir: Wir wollen mit unseren Forschungsinhalten überzeugen. Gelingt es, auch in Zukunft Relevantes auf die Agenda zu bringen, machen ich mir um die Resonanz unseres Projekts keine Sorgen.

Kurt Imhof hat im Dezember noch einen bewegenden Text über die Bedeutung der Menschenrechte verfasst, den Sie im Jahrbuch abdruckten.
Ja, das ist ein Auszug aus einem Brief. Er spricht darin eines seiner Kernanliegen an: Der Firnis der Demokratie ist dünn und die zivilisatorischen Errungenschaften unserer Zeit sind anfällig für Rückschritte. Die Errungenschaften der demokratischen Zivilisation müssen deshalb ein öffentliches Thema bleiben. Dazu zählt auch der Qualitätsjournalismus.

Die Befunde 2015 sind zu einem grossen Teil nicht neu. Sinkende Qualität stellen Sie seit Jahren fest. Was hat sich diesmal weiter deutlich verschlechtert?
Man muss differenzieren: Die Qualität entwickelt sich im Vorjahresvergleich keineswegs einheitlich. Eine abnehmende Qualität registrieren wir vor allem bei sehr reichweitenstarken Medien. Die Boulevardmedien off- und online sowie die Onlineausgaben der Gratiszeitungen bauen ihren boulevardesken, auf Emotionen fokussierenden Stil im aktuellen Untersuchungsjahr deutlich aus. Zudem sinkt auch bei der gedruckten Boulevardpresse die Qualität wieder signifikant, dies obwohl wir in den Vorjahren einen Positivtrend feststellen konnten. Bei den Gratiszeitungen off- und online schlagen insbesondere die neu berücksichtigten Titel "Blick am Abend" und blickamabend.ch negativ zu Buche.

Können Sie auch Positives feststellen?
Ja. Beim öffentlichen Radio wie Fernsehen hat sich die Qualität nach Einbussen in den Vorjahren wieder erholt. Hauptursache ist die verbesserte Einordnungsleistung. Ähnlich positive Entwicklungen zeigen sich beim Privatfernsehen und den Sonntagszeitungen. Die Abonnementszeitungen konnten ihr Qualitätsniveau annähernd halten.

Und was heisst das langfristig?
Da bleibt der Negativbefund bestehen. Das Wegbrechen der finanziellen und personellen Ressourcen sowie der hohe Aktualitätsdruck schlagen negativ auf die Berichterstattungsqualität durch. Bei sieben von elf untersuchten Medientypen ist die Gesamtqualität 2014 schlechter als noch vor fünf Jahren. 2014 erzielen Medientitel von niedriger Qualität eine Reichweite von mehr als 50%. 2010 waren es noch rund 35%. Der Boulevardjournalismus hat sich von einer Nische zum dominanten Phänomen entwickelt.

Was heisst das in Bezug auf einzelne Titel: Welche schneiden gut ab?
Überdurchschnittlich gut schneidet weiterhin das öffentliche Radio ab. "Echo der Zeit" und "Rendez-Vous" gehören mit zum Besten, was die Schweizer Informationspublizistik herbringt. Gut bis teilweise sehr gut schneiden auch die Sonntags- und Abonnementszeitungen ab.

Und bei Print und Online?
NZZ, Tages-Anzeiger oder Le Temps sind immer noch überdurchschnittlich gut positioniert, auch wenn die Einordnungsleistung teilweise etwas nachgelassen hat. Diese drei Titel haben auch die qualitativ besten Newssites. Der von uns neu erfasste Titel watson.ch kommt an die Qualität dieser drei Newssites nicht ganz heran, ist aber mit seiner Hybridstrategie im Vergleich zu den restlichen untersuchten Online-Informationsmedien überdurchschnittlich gut positioniert.

Im Jahrbuch stellen Sie zu dem fest, dass auch Radio und TV verlieren. Können Sie hierzu einige Zahlen nennen?
Den Rückgang beim Radio und TV haben wir schon in den früheren Jahrbüchern so festgehalten. 10vor10 beispielsweise verliert im letzten Jahr nach den Zahlen von Mediapulse rund 17% und Echo der Zeit 11%. Im Vergleich zu 2009 verliert Echo der Zeit sogar rund 25%. Dieser Rückgang betrifft vor allem die klassische lineare Nutzung, doch er kann nach unseren Berechnungen auch durch die non-lineare Nutzung nicht kompensiert werden.  

Wie können "Echo der Zeit" und die "Tagesschau" verhindern, dass sie nicht nur primär von den Ü60-Jährigen geschaut/gehört werden?
Es ist wichtig und notwendig, dass auch der öffentliche Rundfunk seine Onlinekompetenz ausbaut. Die Online-Angebote der SRG SSR müssen so attraktiv und zugänglich sein, dass Nutzer gerne und einfach auf diese Informationssendungen stossen. Dann scheint mir wichtig, dass diese Sendungen auch qualitativ hochstehende Hintergrundberichte gezielt für die jüngere Bevölkerung anbieten. Das findet nur selten statt. Nicht zuletzt muss man auch in die Medienkompetenz investieren. Die jungen Erwachsenen brauchen wieder einen Massstab, was qualitativ hochstehenden Informationsjournalismus ausmacht.

Mit Blick auf das gesamte Jahrbuch 2015: Bereitet Ihnen dieser Befund am meisten Sorge?
Ja, am meisten beunruhigt mich der Befund, dass der professionelle Informationsjournalismus die jungen Erwachsenen verliert. Das zeigt eine Umfrage, die wir seit 2009 jährlich zusammen mit dem Marktforschungsinstitut GfK zur Mediennutzung durchführen und in diesem Jahr zum ersten Mal veröffentlichen. Im Zeitraum zwischen 2009 und 2015 nimmt der Anteil jener jungen Erwachsenen im Alter zwischen 16 und 29 Jahren deutlich ab, die sich regelmässig über professionelle Informationsangebote der Gattungen Presse, Radio oder Fernsehen informieren.

Die Jungen informieren sich doch einfach online.
Aber dieser Nutzungsrückgang traditioneller Informationsangebote wird nicht durch die Nutzung professioneller Online-Newsangebote kompensiert! Stattdessen informieren sich junge Erwachsene zunehmend nur noch über Social Media, oder sie gehen als Informationsnutzer ganz verloren, weil sie Unterhaltungsangebote konsumieren. Berücksichtigt man, dass via Social Media überproportional häufig Softnews verbreitet werden, ist das in der Summe eine alarmierende Entwicklung.

Wo müssten dringend neue Ansätze gefunden werden, resp. welche Akteure können wirkungsvoll Gegensteuer geben?
Die nationalen Mediensysteme stehen unter massivem Druck der globalen Tech-Giganten. Das ist etwas, worüber wir in der Vergangenheit viel zu wenig gesprochen haben. Stattdessen dominiert in der Schweizer Mediendebatte die Nabelschau, wird die SRG auf fragwürdige Weise partiell zum Hauptproblem der Strukturkrise des Informationsjournalismus stilisiert und es brechen als Folge der neuen Werbeallianz zwischen SRG, Ringier und Swisscom neue Gräben zwischen den Schweizer Medienorganisationen auf. Dabei geht die Werbekooperation meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Es muss darum gehen, die Abwehrkräfte der nationalen Medienhäuser gegen die globale Konkurrenz zu stärken. Das ist etwas, was auch die medienpolitische Debatte stärker berücksichtigen muss.

Und sonst?
Wir müssen unbedingt stärker in die Medienkompetenz der jungen Erwachsenen investieren. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie wir die jungen Erwachsenen für den Informationsjournalismus verlieren. Im Bereich Medienkompetenz will sich auch die "Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität" stärker engagieren. Wir müssen mit dem Thema Medienwandel und Medienqualität in die Schulen sowie in die Erwachsenenbildung. Schliesslich müssen wir uns für neue Fördermodelle öffnen, wie sie etwa auch die EMEK ins Spiel gebracht hat. Die skandinavischen Länder zeigen, dass man den Qualitätsjournalismus fördern kann, ohne dass der Staat die Inhalte diktiert.

Interview: Edith Hollenstein, Bild: zVg.

 


Das Jahrbuch "Qualität der Medien Schweiz Suisse Svizzera" wird vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich verfasst und erschien dieses Jahr zum sechsten Mal. Ins Leben gerufen hatte es der Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof, der in diesem Frühling im Alter von 59 Jahren starb. Eine Zusammenfassung der Hauptbefunde finden Sie auf foeg.uzh.ch. 

Mark Eisenegger ist Präsident der Kurt Imhof Stiftung für Medienqualität, welche das "Jahrbuch Qualität der Medien" herausgibt. Er ist Professor für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Organisationskommunikation an der Universität Salzburg. (eh)

 

 



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