23.08.2020

Serie zum Coronavirus

«Der Erfolg hat unseren Mut belohnt»

Im Corona-Krisenjahr schafft die Plattform Travelnews eine Verdreifachung der Besucherzahlen. Travelnews-Chefredaktor Jean-Claude Raemy sagt in Folge 105 unserer Serie, wie er sich den Erfolg erklärt und wie er die Situation der Branche einschätzt.
Serie zum Coronavirus: «Der Erfolg hat unseren Mut belohnt»
«Inhaltlich haben wir uns noch stärker auch auf den Incoming-Bereich, also auf die Schweiz, ausgerichtet», sagt Travelnews-Chefredaktor Jean-Claude Raemy. (Bilder: Birgit Mantek)
von Matthias Ackeret

Herr Raemy, vor fünf Jahren wurde Travelnews gegründet – wo stand der Tourismus damals?
Aus heutiger Sicht auf einem Höhepunkt, von dem wir momentan nur träumen können. Der Tourismus war eine unbestritten wichtige Branche mit enorm vielen Beschäftigten, mit gutem Wachstum und einem enormen Potenzial. Was fehlte, war – vor allem auch im Medienbereich – die konsequente Ausrichtung auf digitale Möglichkeiten und Herausforderungen. Das gab uns den Mut, das Abenteuer mit einer ausschliesslich online-basierten Newsplattform zu starten. Der Erfolg hat unseren Mut der vergangenen Jahre belohnt.

Ihr Portal Travelnews verzeichnet momentan Höchstwerte. Ist dies kein Widerspruch zur aktuellen Zeit?
Nein, journalistisch sind wir in so einer Krise mehr denn je gefordert. Das Interesse an unserer Arbeit und der Bedarf nach sachgerechter Information sind sprunghaft gestiegen. Ich würde sogar sagen, dass wir in dieser Zeit journalistisch den Durchbruch geschafft und unsere Position in der Branche gefestigt haben. Leider lässt sich das nicht auch von der Werbeseite sagen, doch sind wir zuversichtlich, dass eine journalistisch gestärkte Plattform auch ein publizistisch attraktiveres Umfeld für Werbeaktivitäten schafft und dieses im Wiederaufbau der Branche überlebenswichtig ist.

«Der Absturz der Tourismusbranche ist dramatisch»

Sie sind als Chefredaktor von Travelnews einer der besten Kenner der Tourismusszene. Wie beurteilen Sie den Sommer 2020?
Der Absturz der Tourismusbranche ist dramatisch. Insbesondere der Outgoing-Bereich, also das Geschäft mit Auslandreisen, ist auf einem nie dagewesenen Tief. Eine Vielzahl vor allem kleinerer Reisebüros und -veranstalter ist existenziell gefährdet. Die Unterstützung der Outgoing-Tourismusbranche von Seiten der Behörden war meines Erachtens leider deutlich geringer als für andere Branchen.

Halten Sie die Quarantänevorschriften des Bundes für gerechtfertigt?
Die Vorschriften sind sicherlich gerechtfertigt, aber ohne sinnvolle Kontrollen wenig wirksam. Auch wenn aus epidemiologischer Sicht die lokalen Verhältnisse schnell wechseln können, ist es für unsere Branche im Alltag verheerend, wenn die Quarantänevorgaben innert kürzester Frist geändert werden. Wir massen uns aber nicht an, besser als der Bund beurteilen zu können, welche medizinischen Massnahmen passend und notwendig sind.

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Wie gross ist der Schaden, wenn ein Land wie Spanien darunter fällt?
Zunächst ist es zu begrüssen, dass am Beispiel von Spanien eine regionale Differenzierung eingeführt wurde. Das erhöht die Glaubwürdigkeit der Vorschriften. Aber Spanien ist eine derart wichtige Outgoing-Destination für die Schweiz, dass die Folgen gleichwohl gravierend sind.

Andererseits war die Schweiz dieses Jahr völlig überlaufen. Wer profitierte von Corona dieses Jahr am meisten?
Mit dem Wort «Profitieren» in Zusammenhang mit Corona bin ich sehr vorsichtig. Aber natürlich haben jene Bereiche der Hotellerie und Destinationen, die schon immer auch auf Schweizer Gäste gesetzt haben, weniger Einbrüche zu verzeichnen als jene, die zum Beispiel stark auf die Klientel aus Asien oder arabischen Ländern fokussiert sind. Die Schweiz-Orientierten haben möglicherweise sogar mehr Kundschaft als zuvor. Das kann aber den Schaden insgesamt keineswegs wettmachen, und der Erfolg lässt sich auch nicht in die Zukunft fortschreiben.

«Es geht um das nackte Überleben»

Geht es vielen Reiseveranstaltern und Hotels momentan an die Existenz?
Absolut! Hier möchte ich nochmals auf die dramatische Lage bei den Reisebüros hinweisen. Und glauben Sie mir, das ist nicht einfach Klagen auf hohem Niveau, wie man sich das manchmal von anderen Branchen gewöhnt ist, wenn der Ruf nach öffentlicher Unterstützung erschallt. Wir schätzen, dass es für mindestens einen Drittel der Reiseanbieter um das nackte Überleben geht. Der Schweizer Reise-Verband befürchtet laut dessen Präsident, dass die Hälfte der Reisebüros eingehen könnte.

Wie lange dauert es, bis der Tourismus wieder auf dem Level der Vor-Corona-Zeit ist?
Erstens wage ich keine Prognose, und zweitens bezweifle ich, dass es eine Rückkehr zum Status «ex ante» geben wird. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die Branche ihre frühere quantitative Bedeutung in den nächsten Jahren wieder erlangen wird.

Wie haben Sie journalistisch und publizistisch auf Corona reagiert?
Der Leistungsdruck ist enorm, die Thematik aber auch redaktionell beflügelnd. Inhaltlich haben wir uns noch stärker auch auf den Incoming-Bereich, also auf die Schweiz, ausgerichtet. Wir haben auch versucht, noch mehr Branchenteilnehmer als üblich zu Wort kommen zu lassen, um deren Situation bestmöglich zu dokumentieren. Darüber hinaus wurden viele Anliegen aus dem branchenfremden Umfeld an uns herangetragen, die wir redaktionell in Form von Artikeln zu thematisieren versuchen. Das alles hat dazu beigetragen, dass wir uns, obwohl ursprünglich als B2B-Plattform gestartet, schon früh – und in diesem Corona-Jahr ganz besonders – auch bei Endkonsumenten und Reise-Affinen als unerlässliche Informationsquelle etablieren konnten.

Wie haben Sie auf die Krise reagiert?
Wir haben die Krise relativ früh kommen sehen und umgehend Kurzarbeit beantragt. Auch konnten wir problemlos auf Homeoffice-Betrieb umstellen – inzwischen arbeiten wir in einer Mischform aus Homeoffice und Büro weiter. Zur Lockdown-Spitzenzeit hielten wir über Skype einmal wöchentlich im «Travelnews Café» mit dem gesamten Team Kontakt. Es war für alle eine Umstellung, aber unseren redaktionellen Output hat die ganze Sache nicht beeinträchtigt.

«Es war für meine Verhältnisse ein eher reisearmes Jahr»

Wo haben Sie Ferien gemacht?
Zunächst wurden unsere Frühlingsferien im April – eine Kreuzfahrt war geplant – annulliert. Berufliche Reisen, anfangen mit der ITB Berlin im März bis hin zu einem Kuba-Trip im August, wurden ebenfalls abgesagt. Es war also bis dato für meine Verhältnisse ein eher reisearmes Jahr. Im Sommer konnten wir dann mit der Familie immerhin nach Sardinien reisen – mit dem Auto.

Was war für Sie das prägendste Erlebnis der letzten Wochen?
Im beruflichen Sinne ist es die Erkenntnis, dass es erst mal schlimmer wird, bevor es besser wird. Die Unsicherheit der Reisenden aufgrund der ständig wechselnden Einreisebestimmungen und der unkoordinierten internationalen Regelungen ist enorm. Eine grössere Pleitewelle steht der Branche voraussichtlich erst noch bevor. Für unsere Firma bin ich aber zuversichtlich, dass wir dank unserer schlanken Strukturen, unserer Flexibilität und dem anhaltenden Reise- und damit Informationsbedürfnis weltweit aber auch in Zukunft präsent sind und eine wichtige Rolle spielen können.



Was bedeutet die Corona-Pandemie für die verschiedenen Akteure der Schweizer Medien- und Kommunikationsbranche? Bis auf Weiteres wird persoenlich.com jeden Tag eine betroffene Person zu Wort kommen lassen. Die ganze Serie finden Sie hier.

 



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