01.12.2003

"Der Leser will andere Zeitungen!"

Peter Rothenbühler blickt zurück. Seit bald zwei Jahren ist der gebürtige Jurassier Chefredaktor der welschen Tageszeitung Le Matin sowie der Sonntagsausgabe Le Matin dimanche. Im neusten "persönlich rot" äussert sich der ehemalige Chefredaktor der Schweizer Illustrierten über die Kunst des Zeitungsmachens, rechte und linke Medien sowie die überraschende Kälte nach dem grossen Erfolg. "persoenlich.com" bringt einen Ausschnitt.

Peter Rothenbühler, Sie sind seit vielen Jahren erfolgreicher Chefredaktor. Was war Ihr grösster Flop?

Eindeutig mein halbes Jahr als Programmleiter von Tele24. Dort bin ich gescheitert.

Waren Sie so eitel, dass Sie sich von den Reizen des Fernsehens verleiten liessen?

Ich wollte Ende 1999, nach gut zehn Jahren als Chefredaktor der Schweizer Illustrierten, etwas Neues machen. Roger Schawinski machte mir ein Angebot als Tele24-Programmleiter. Zuvor war ich als Mitplauderi im "Sonntalk" aufgefallen. Anscheinend machte ich das so gut, dass mich Roger sogleich engagierte. Da Credit Suisse bei seinem Sender eingestiegen war, benötigte er zusätzliche Kaderleute. Dies mit dem Hintergedanken, sich später zurückzuziehen, um die Leitung des Senders Markus Gilli und mir zu überlassen. Doch ich merkte bald, dass Fernsehen nicht mein Ding ist. Es ist etwas anderes, als Moderator oder Teilnehmer bei einer Sendung mitzumachen oder im Hintergrund zu organisieren. Für mich ist es sehr viel spannender, eine Zeitung herzustellen.

Das kurze Engagement hatte aber auch Vorteile: Als ich bei Ringier war, bekam ich während elf Jahren kein einziges Stellenangebot. Kaum hatte ich bei Roger unterschrieben, wurde ich von Angeboten überschüttet, die ich alle ablehnen musste. Wenigstens kam so keine Existenzangst auf. Bei der Schweizer Illustrierten war ich zunehmends betriebsblind geworden. Erst heute, aus gebührlichem Abstand, weiss ich wieder, wie man die SI weiterentwickeln müsste.

Das tönt nach Comeback

Nein, nein. Ein Comeback hat mir genügt. Ich will vorwärts gehen. Es ist gut möglich, dass ich in der Romandie pensioniert werde. Meine Kinder besuchen hier die Schule, wir haben uns gut eingelebt. Ursprünglich hoffte ich ja, Blick-Chefredaktor zu werden, doch die Verlagsleitung bevorzugte meinen früheren Stellvertreter Wolfram Meister.

Hat Sie diese Absage geschmerzt?

Es mag überheblich tönen, aber ich hielt mich tatsächlich vor vier Jahren für die beste Wahl. Aber es war ganz eigenartig: Ich war mit der Schweizer Illustrierten so erfolgreich, dass wir mehr Gewinn als Blick, SonntagsBlick und Cash zusammen generierten. Wir steigerten den Gewinn von minus sieben Millionen Franken auf ein mehrfaches im Plus. Dadurch kam ich in die Neidklasse. Plötzlich war ich nicht mehr der junge Wolf mit den langen Zähnen, den man gerne fördert, sondern ein Konkurrent. Ich glaube, einige Leute in diesem Unternehmen hätten es nicht ertragen, wenn ich bei Blick noch einmal erfolgreich geworden wäre. Ausserdem war ich bekannt dafür, dass ich mir in Sachen Politik nicht dreinreden lasse. Das war mein grösstes Handicap.

Trotzdem sind Sie nach dem Tele24-Abenteuer wieder zu Ringier zurückgekehrt ...

Ja, natürlich, Ringier bleibt die beste Adresse in Zürich. Und glücklicherweise ist Michael Ringier immer ein bisschen über allen Intrigen gestanden. Ich habe ihm die Konzeptionierung einer neuen Zeitschrift angeboten, von der ich schon seit Jahren geträumt habe. Er war begeistert und hat mich von heute auf morgen wieder angestellt. Michael hat mir schon beim Wechsel zu Schawi gesagt, du hältst sechs Monate aus, dann kommst du zurück. So war es. Zusammen mit Urs Heller und Beda Achermann, einem der führenden Zeitschriftendesigner Europas, erarbeitete ich das Konzept für ein qualitativ hoch stehendes Mode- und Kulturmagazin. Da Ringier zu jener Zeit mit dem Kauf des Jean-Frey-Verlags beschäftigt war, wurde das Projekt nicht realisiert. Es ist immer noch zu haben!

Themawechsel: Wo sehen Sie die grösste Gefahr für die Deutschschweizer Zeitungen?

Oh, da kommt vieles auf uns zu. Nicht nur die Abwanderung des Rubrikengeschäfts ins Internet. Am "schlimmsten" (in Anführungszeichen) sind für Journalisten die Nachrichten von der Leserfront: Der Leser will andere Zeitungen! Furchtbar!!! Nehmen wir mal an, jemand käme auf die Idee, sonntags eine dünne Zeitung im Stil von 20 Minuten auf den Markt zu werfen, mit glatten Ausgehtipps und schnellen Nachrichten. Da müssten sich die dicken Sonntags-Elefanten aber ganz schnell etwas einfallen lassen. Inklusive Le Matin dimanche.

Dann wird eine grosse redaktionelle Leistung gar nicht mehr honoriert?

Was ist redaktionelle Leistung? Was ist Qualität? In der grossen Streitfrage nach der journalistischen Qualität haben Leser je länger, je mehr eine ganz andere Meinung als Journalisten. Der Leser ist einfach nicht mehr bereit, sich auf überflüssige Beschreibungen einzulassen, um erst am Ende des Artikels auf die eigentliche Aussage zu stossen. Für längere Artikel braucht es entweder sehr viele spannende, harte Fakten oder aber einen sehr guten Schreiber. Aber wirklich gut schreiben können nur etwa fünf Prozent aller Journalisten.


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