23.11.2015

Inside Paradeplatz

"Die Credit Suisse möchte ein Exempel statuieren"

Medienanwalt Christoph Born über die Rechtsunsicherheit bei Medienprozessen.
Inside Paradeplatz: "Die Credit Suisse möchte ein Exempel statuieren"

Die Credit Suisse klagt gegen Lukas Hässig, seinen Blog Inside Paradeplatz und den "Tages-Anzeiger" wegen unlauteren Wettbewerbs und Persönlichkeitsverletzungen. Letzte Woche veröffentlichte der Wirtschaftsjournalist die Klageschrift auf seinem Finanzblog (persoenlich.com berichtete). Was bezweckt die Grossbank mit der Klage, deren Streitwert mindestens eine halbe Millionen Franken betrage? Der Medienanwalt Christoph Born spricht mit persoenlich.com über die grosse Rechtsunsicherheit bei Medienprozessen und erklärt, wie oft es in solchen Fällen zu einer Verurteilung kommt.

Herr Born, wie beurteilt das Gericht einen solchen Fall?
Das Handelsgericht muss zuerst einmal interpretieren, wie die eingeklagten Stellen von der Leserschaft verstanden werden. Es tut dies aus der Sicht des sogenannten Durchschnittslesers. Da kommt es für die Parteien immer wieder zu Überraschungen, denn die Gerichte verfügen über einen grossen Ermessensspielraum. Das zeigt sich auch in Fällen, in denen die erste Instanz eine Klage gutheisst und die zweite Instanz sie abweist.

Dann sind die Entscheide fast schon willkürlich?
Nein, Willkür ist das nicht. Aber es existiert in Medienprozessen stets eine grosse Rechtsunsicherheit.

Wie verstehen Sie die beanstandeten Passagen in den Blogbeiträgen?
Meine Meinung ist da nicht relevant. Es ist am Gericht, das Empfinden des Durchschnittslesers möglichst objektiv zu beurteilen. Eine Prognose ist unmöglich.

Viele der beanstandeten Passagen wurden von Lukas Hässig bereits nach wenigen Stunden angepasst. Kann da überhaupt noch geklagt werden?
Das ist ein sehr interessanter Aspekt. Eine Feststellungsklage, wie sie hier vorliegt, setzt voraus, dass eine Störwirkung vorhanden ist. Das Handelsgericht muss nun beurteilen, ob diese Störwirkung noch gegeben ist, obwohl die eingeklagten Texte nur ein paar Stunden online waren. Ein vergleichbarer Fall ist mir nicht bekannt.

Will die Bank mit der Klage einfach einen unbequemen Journalisten einschüchtern?
So würde ich es nicht sagen. Das gewählte Vorgehen deutet aber darauf hin, dass die Credit Suisse ein Exempel statuieren möchte. Die vorliegende Klage kann aber auch die Vorstufe einer Schadenersatzklage sein.

Das Gericht legt den Streitwert bei einer halben Million Franken fest. Was bedeutet das?
Der Streitwert – der nicht mit Schadenersatz verwechselt werden darf – dient zuerst einmal der Festlegung des Kostenvorschusses, den die klagende Partei zu leisten hat. Bei einem Streitwert von 500'000 Franken können das rund 20'000 Franken sein. Ausserdem dient er am Ende des Prozesses auch als Grundlage für die Festlegung der Gerichtskosten und der Entschädigung für die Anwaltskosten, welche die unterlegene Partei der obsiegenden zu bezahlen hat. Herr Hässig müsste also, sollte er unterliegen, nicht 500'000 Franken bezahlen. Aber es gilt: Je höher der Streitwert, desto höher die Kosten für die unterlegene Partei.

In der Klageschrift der CS war noch die Rede von 100'000 Franken. Weshalb diese markante Erhöhung durch das Gericht?
Das ist für mich eine Überraschung. Man kann das so interpretieren, dass das Gericht den eingeklagten Äusserungen eine hohen wirtschaftlichen Wert beimisst. Das heisst aber überhaupt noch nichts im Bezug auf Chancen oder Risiken.

Wie oft kommt es in der Schweiz zu Klagen gegen Medien oder Journalisten?
Es kommt regelmässig zu solchen Fällen. Sei es wegen unlauteren Wettbewerbs oder Persönlichkeitsverletzungen.

Wie lange dauert ein solches Verfahren?
Findet ein Beweisverfahren statt, kann es ein bis zwei Jahre dauern bis zu einem erstinstanzlichen Entscheid, und dieser kann dann noch weitergezogen werden.

In wie vielen Fällen kommt es schliesslich zu einer Verurteilung?
Da eine grundsätzliche Aussage zu machen, ist schwierig. Jeder Fall ist anders, und es wird auch nicht jeder Fall publik. Ich schätze, dass es bei mehr als der Hälfte der Fälle zu einem Vergleich kommt. Darüber wird dann aber meistens Stillschweigen vereinbart.

Zurück zum aktuellen Fall. Wer trägt bei einer Verurteilung die Kosten: Lukas Hässig oder seine GmbH Inside Paradeplatz?
Da gegen beide Klage eingereicht wurde, haften beide solidarisch. Lukas Hässig auch mit seinem Privatvermögen.

Haftet in einem solchen Fall jeder Journalist mit dem Privatvermögen oder springt da der Verlag ein?
Wenn der Journalist bei einem Medienunternehmen angestellt ist, gilt bei Schadenersatzklagen die sogenannte Geschäftsherrenhaftung. Der Geschäftsherr – also das Medienhaus – haftet gegen aussen grundsätzlich für Schäden seiner Angestellten. Möglicherweise sind die Medienhäuser für gewisse Schadensfälle auch versichert.

Muss künftig jeder Text mit einem Medienanwalt abgesprochen werden, damit solche Klagen vermieden werden können?
Um das Risiko einer Klage zu minimieren hilft es schon, wenn sich die Medienschaffenden mit Werturteilen beziehungsweise Meinungsäusserungen zurückhalten und Tatsachen sprechen lassen, die sie im Prozess dann auch beweisen können.

Gilt das auch für Blogger?
Ja, da sind die gleichen Massstäbe anzuwenden. Juristisch gibt es keinen Unterschied.

Interview: Boas Ruh, Bilder: zVg, Keystone


Christoph Born ist Medienanwalt. Er berät und vertritt unter anderem auch die "NZZ am Sonntag".


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