30.10.2020

Tages-Anzeiger

«Die Redaktion muss sich verjüngen»

Was beschäftigt die Jugendlichen? Und wie konsumieren sie Medien? Im Januar startet die Tamedia-Zeitung ein Projekt, um Antworten auf diese Fragen zu erhalten. Projektleiterin Katharina Graf und Co-Chefredaktorin Priska Amstutz über das «Tages-Anzeiger Youth Lab».
Tages-Anzeiger: «Die Redaktion muss sich verjüngen»
Beim Tamedia-Flaggschiff erhofft man sich durch die Jugendlichen Erkenntnisse, die dann wiederum in neue Produktideen fliessen. (Collage: persoenlich.com, Bilder: zVg.)
von Loric Lehmann

Frau Graf, wie wird dieses Projekt genau aussehen?
Katharina Graf: Wir laden 20 bis 30 Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren zu uns auf die Redaktion ein. In abwechslungsreichen Workshops wollen wir von ihnen erfahren, was für sie News sind, wie sie sich informieren und was sie an einer Zeitung ändern würden, wenn sie könnten. Dabei werden wir von der Digitalexpertin Sandra Cortesi unterstützt, die das «Youth & Media»-Projekt am Berkman Klein Center an der Harvard Universität leitet und viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen hat. Sie hat auch das «Youth Lab» bei 20 Minuten vor zwei Jahren durchgeführt (persoenlich.com berichtete).

Und konkret?
Graf: Die Jugendlichen werden während zwölf Wochen von Januar bis April – wenn die Coronasituation es erlaubt – vorbeikommen und sich für zweieinhalb Stunden mit uns austauschen. Wir arbeiten dabei in Halbklassen. Einerseits wegen der Pandemie und andererseits, da man bei 20 Minuten gemerkt hat, dass es für die Jugendlichen recht viel Aufwand ist, jede Woche vorbeizukommen.

So war das Youthlab bei 20 Minuten:


Was ist das Ziel dabei?
Graf: Es geht um einen Austausch. Wir wollen den Jugendlichen zuhören, aber sie sollen ebenfalls vom Workshop profitieren. Verschiedene Vertreter aus der Redaktion – Journalisten, aber auch Leute aus dem Social-Media-, dem Video-Team oder aus dem Marketing – diskutieren mit den Jugendlichen über ihren Medienkonsum. Die Jugendlichen werden aber auch Produktideen entwickeln, Social-Media-Postings machen, Videos auf der Strasse produzieren oder Promis interviewen.

Die Jugendlichen haben also auch etwas von dem Format?
Graf: Genau. Es ist uns extrem wichtig, dass es ein gegenseitiges Zuhören ist. Die Jugendlichen sollen nicht nur uns Dinge erzählen, sondern sie sollen auch von uns lernen – darunter auch neue, nützliche Kompetenzen.

«Wir wollen keine jüngere Zeitung werden»

Wie kommt dies bei den Mitarbeitenden an? Ich kann mir vorstellen, dass auch sie, wie auch die Jugendlichen mit Gymi oder Lehre, momentan viel zu tun haben.
Graf: Wir haben bei 20 Minuten gesehen, dass das Projekt für alle Beteiligten extrem bereichernd und erfrischend war. Einerseits für die Teilnehmenden, die hinter die Kulissen blicken konnten. Aber auch für die Redaktion und den Verlag, die viel von den Jugendlichen lernen und erfahren konnten. Dies konnte man dann wieder in die Produkte einfliessen lassen.

Eines der Erkenntnisse vor zwei Jahren war, dass gerade für Jugendliche traditionelle Medien wie der Tages-Anzeiger einen schweren Stand haben. Will der Tagi nun für Jugendliche attraktiver werden?
Graf: Es geht uns darum, herauszufinden, warum der Tages-Anzeiger bei den Jugendlichen eben nicht so hoch im Kurs ist. Und auch, über welche Plattformen wir sie vielleicht doch erreichen können. Es geht hingegen nicht darum, dass wir nun eine jüngere Zeitung werden. Die Zielgruppe des Tagis ist klar. Wir sehen die Jugendlichen mehr als Quelle zur Inspiration für die neue Generation von Leserinnen und Lesern – so dass sie uns Inputs geben, an die wir gar nicht denken.

Priska Amstutz: Das ist ein wichtiger Punkt. In etwa zehn Jahren kommen die Jugendlichen allmählich in unsere Zielgruppe. Und natürlich müssen wir kontinuierlich neue Leser gewinnen. Die Jugendlichen in diesem Projekt können so als Trendforscher gesehen werden. Vieles, was die Jugendlichen heute beschäftigt, kommt dann irgendwann in etwas abgeänderter Version bei den Älteren an. Da kann man viel erfahren, welche Ideen längerfristig funktionieren und welche nicht. Ich habe eine 13-jährige Tochter, die immer wieder Dinge in meinen Alltag bringt. Manchmal denke ich dann: «Och, schon wieder etwas Neues», aber bemerke dann regelmässig interessante Aspekte. Die muss man dann für unseren Alltag übersetzen. Gleichzeitig sind die Jugendlichen im «Youth Lab» auch Multiplikatoren, sie wirken als Art Botschafter in ihrem Umfeld.

«Dieser Workshop ist auch eine Talentshow»

In letzter Zeit vermelden ja immer mehr Studien, dass die Jungen immer weniger News konsumieren. Jeder zweite in der Altersgruppe ist ein «News-Deprivierter». Viele informieren sich nur über soziale Medien. Dabei spielt es sicher eine Rolle, dass Jugendliche jenen Content konsumieren, der auch von Gleichaltrigen produziert wird. Macht man es sich nun nicht etwas zu einfach beim Tages-Anzeiger, wenn man einfach ein paar junge Leute einlädt und die fragt, was die so konsumieren, statt, dass man aktiv in den Nachwuchs investiert?
Amstutz: Dies spielt natürlich auch in dieses Projekt. Dieser Workshop kann auch eine Talentshow sein. Wenn man sich als Jugendlicher in so einem Projekt engagiert, dann hat man vermutlich auch ein berufliches Interesse daran. Wir möchten gerne für unsere Redaktion junge Leute als Reporter gewinnen. Bei Neubesetzungen im Züri-Bund versuchen wir zurzeit vermehrt jüngere Redaktorinnen und Redaktoren ins Boot holen – auch besonders Frauen. Denn es ist sicher so, dass sich die Redaktion verjüngen muss.

Pandemie und Medienkrise werden dabei wohl nicht helfen…
Amstutz: Der Beruf hat ja per se zurzeit nicht mehr so einen guten Ruf wie früher. Das haben ja auch die Studien und Umfragen ergeben, über die persoenlich.com berichtet hat. Im Moment ist es natürlich besonders schwierig, ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis steht oftmals über dem Risiko, der ein Jobwechsel in den Medien momentan mit sich bringt. In nächster Zeit die besten Leute zu finden, ist eine Herausforderung. Aber ich konnte in den letzten Monaten mit vielen jungen Bewerberinnen und Bewerbern für Praktika sowie Journalimusstudentinnen und -studenten sprechen, und ich staune immer wieder.

«Gerade in Zeiten von Corona wurde diese Altersgruppe ja oft kritisiert»

Wieso das?
Amstutz: Meine Generation hatte noch ein glorifiziertes Bild vom Journalismus. Das hat sich nun in den letzten 10, 15 Jahren geändert. Aber doch waren die jungen Menschen, mit denen ich Kontakt hatte, sehr motiviert und engagiert. Die wissen auch, was auf sie zukommt, und man spürt einen gewissen Biss. Und auch die Qualität ihrer bisherigen Arbeit und ihre Art zu denken hat mich erfreut.

Graf: Bei dem Projekt geht es natürlich auch ein Stück weit um die Suche nach Talenten. Nach dem «20 Minuten Youth Lab» konnte ein teilnehmender Jugendlicher beispielsweise ein Praktikum in der Videoredaktion machen. Es ist aber auch wichtig, dass die älteren Redaktoren erfahren, wie die Jungen es empfinden, wie man über sie berichtet. Gerade in Zeiten von Corona wurde diese Altersgruppe ja oft kritisiert. Wir sehen das Projekt ganz allgemein auch als Investition in die Zukunft des Journalismus. Und freuen uns sehr darauf.



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