07.06.2018

Tamedia

«Die Romands jammern auf hohem Niveau»

Peter Rothenbühler war mehrere Jahre Chefredaktor von «Le Matin». Im Interview zeigt er Verständnis für den Entscheid von Tamedia, die Zeitung nicht mehr zu drucken. Für arbeitslose Journalisten werde es in der Westschweiz jedoch schwierig.
Tamedia: «Die Romands jammern auf hohem Niveau»
«Für arbeitslose Journalisten in der Westschweiz wird es schwierig»: Peter Rothenbühler, ehemaliger Chefredaktor von «Le Matin». (Bild: Keystone)
von Matthias Ackeret

Sie waren langjähriger Chefredaktor von «Le Matin». Kommt dieses Ende für Sie überraschend?
Nein, von einer Einstellung des täglichen «Matin» haben wir schon vor der Übernahme durch Tamedia gesprochen. Der Einbruch von der Gratiszeitung «20 Minutes» (Tamedia) ins Welschland und die fast gleichzeitigen Lancierung der Gratiszeitung «Le Matin Bleu» als Abwehrmassnahme hat natürlich zuerst «Le Matin»-Leser und Anzeigen weggenommen. Da die Sonntagsausgabe «Le Matin Dimanche» aber nach wie vor grossen Gewinn abwarf, hat man von einer Einstellung von «Le Matin», die wegen der Gratiszeitungsschlacht von den schwarzen in die roten Zahlen kam, abgesehen.

Woran liegt es, dass Tamedia für «Le Matin» keine Zukunft mehr sah?
Die Zeitung wird vor allem dort gelesen, wo sie gratis ist, in den Cafés. Dort bleibt die Zeitung heute noch erste Wahl, vor allem auch wegen der ausführlichen Sportberichterstattung. Da die Auflagen auch bei «24heures», «Tribune de Genève» und auch «Le Matin Dimanche» zurückgehen, musste Tamedia handeln.

Jetzt ist nach «L’Hebdo» ein weiterer Prestigetitel eingestellt worden. Wie einschneidend ist dies für die Romandes?
Die Romands werden jetzt jammern, das ist klar, aber es ist ein Jammern auf hohem Niveau. Gut, die grosse, überregionale, sehr populäre Zeitung wird fehlen. Aber es bestehen für etwa anderthalb Millionen potentielle Leser immer noch zehn Tageszeitungen mit einem Vollprogramm. Darunter erfolgreiche und qualitativ gut gemachte wie «24heures», «Tribune de Genève», «Le Temps» oder «La Liberté». Zum Vergleich: Paris, mit zehnmal mehr Einwohnern, hat gerade noch drei Tageszeitungen.

Wie beurteilen Sie den Westschweizer Markt, wird es jetzt viele arbeitslose Journalisten geben?
Das ist das Problem des kleinen Marktes: es wird schwierig für arbeitslose Journalisten. Wobei eine Absetzbewegung seit Jahren stattgefunden hat, fast bei jedem Regierungsrat der Waadt oder Genfs sitzt ein Kommunikationsverantwortlicher, der früher bei einer Edipresse-Zeitung gearbeitet hat.

Sie wurden als Deutschschweizer anfangs des Jahrtausends Chefredaktor von «Le Matin». Wie wurden Sie damals aufgenommen?
Ich wurde einerseits empfangen wie der Retter in der Not, habe «Le Matin» auch wieder raufgebracht und ins Gespräch gebracht. Andrerseits war ich für die lieben welschen Kollegen ein rotes Tuch, weil ich einen sanften Boulevardjournalismus eingeführt habe, den sie nicht gekannt haben, also mehr People, mehr angriffige Kommentare, Themen aufgreifen, die nicht durch eine Pressekonferenz in die Zeitung kommen, hart recherchieren. Dranbleiben, wenn eine Geschichte echt interessiert.

Was war Ihr bestes Erlebnis bei «Le Matin»?
Ganz verrückt war, als wir als erstes Medium überhaupt gross berichteten, dass der französische Präsident Nicolas Sarkozy von seiner Frau verlassen wurde. Ganz Paris wusste es, keiner hat sich getraut, die Nachricht zu bringen. Wir, die Zeitung, die es gewagt hat, wurden in Frankreich zum Tagesgespräch, alle Radios und TV-Stationen wollten wissen, warum wir das wussten. Sarkozy hat den Geheimdienst auf mich angesetzt, hat behauptet, dass wir «Nachrichtenwäscherei» betrieben und hat mich verklagt wegen Verletzung der Privatsphäre. Ich wurde in fast allen Punkten von einem französischen Gericht freigesprochen, ausser in einem: Wir haben nicht nur gesagt, wer der neue Mann von Cécilia Sarkozy ist, sondern auch, dass Nicolas selbst seine Frau schon betrogen hat und mit wem. Das hat das Gericht nicht gut gefunden. Ich musste Sarkozy einen Euro Schadenersatz zahlen. Es war echt lustig. Solche Geschichten gibt es zuhauf.



*Peter Rothenbühler war von 2002 bis 2008 Chefredaktor von «Le Matin». Ab 2009 war er Direktionsmitglied bei Edipresse und nach der Übernahme von deren Schweizer Medienaktivitäten durch Tamedia bis 2013 stellvertretender publizistischer Direktor von Tamedia Publications romandes.



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Kommentare

  • Victor Brunner, 08.06.2018 14:55 Uhr
    PR muss natürlich Verständnis aufbringen für die Einstellung der Printausgabe von LM. Rothenbühler hat die französische Schweiz nie richtig verstanden und Boulevard- und Peoplejournalismus als Heilmittel angepriesen, was im Welschland eben nicht funktionierte, weil anspruchslos. Aber mit seinem Verständnis wird er bestimmt weiterhin bei Ringier seine Kolumnen schreiben können und bei TA hat er auch einen Fuss im Türspalt! Letzte peinliche Kolumne von PR über Leupi in der SI, kein nachfragen nach Rendite, Grösse, Ausstattung, einfach losschreiben und gleichzeitig seinen Frust über die Grünen loswerden.
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