Was wird 2022 für die Medien- und Kommunikationsbranche wirklich wichtig? Der Strategieberater Konrad Weber* hat über 20 Trend-Berichte analysiert und miteinander verglichen, um daraus 8 «Meta-Trends» abzuleiten.
Hybrid-Kultur – Sowohl-als-auch wird ständiger Begleiter
In einer laufend komplexer werdenden Welt wird es umso notwendiger, vermeintliche Widersprüche auszuhalten. Oftmals lösen Entscheidungen (oder zumindest der Weg dorthin) aber etwas aus, wofür wir noch viel zu wenig trainiert sind: das Meistern von Übergängen. Konkret betrifft dies in der Medienbranche gemäss Mitteilung gleich mehrere fundamentale Bereiche:
- das publizistische Angebot: der Übergang vom analogen hin zum digitalen Angebot.
- die Zusammenarbeit: der Übergang von der klassischen Zusammenarbeit vor Ort hin zu einem hybriden New-Work-Ansatz.
- die Strukturen und Prozesse: der Übergang vom hierarchisch organisierten Unternehmen hin zu einer Organisation – geleitet durch Eigenverantwortung, Selbstwirksamkeit und klaren Rollen.
Mehrere Trend-Reports würden sich dieser Übergangsphase annehmen und zu mehr fortlaufender Transition statt einmaliger Transformation raten.
Entbündelung – die Paywall ist nicht die (einzige) Lösung
Um sich von sinkenden Werbeumsätzen emanzipieren zu können, haben die meisten Verlage im vergangenen Jahr ihre Paywalls ausgebaut, wie es weiter heisst. Die Hoffnung auf neue Erlösquellen ist schnell der Ernüchterung gewichen: Die Bezahlbereitschaft für Nachrichtenangebote hat sich in Deutschland wie auch in der Schweiz auf moderate zehn Prozent der Leserschaft eingependelt.
Das führe dazu, dass Medienhäuser sich vom Vollsortiment verabschieden und hin zu einem Portfolio von spezifischen (bezahlpflichtigen) Spartenangeboten orientieren müssten. Dazu gehört auch, Spartenangebote künftig für ganz spezifische Nutzungssituationen respektive Gefühlslagen zu entwickeln – wie uns dies Social-Media-Plattformen bereits seit einiger Zeit plakativ vorleben würden.
Kuration – weniger ist mehr
Wofür Zeit, Aufmerksamkeit und Geld investieren? Bei der zunehmenden Fülle und Entbündelung von Medieninhalten würde dieser Entscheid Nutzerinnen und Nutzern immer schwieriger fallen. Medienhäuser versuchen diese Entscheide mit verstärkter Investition in Qualität und Fokussierung auf einzelne wenige Kern-Angebote zu erleichtern.
Doch die Beliebigkeit und Austauschbarkeit von vielen Medien-Angeboten ist noch immer gross, wie es weiter heisst. «Cover what you do best. Link to the rest», predigte der US-amerikanische Journalist Jeff Jarvis bereits 2007. Dieser Ausspruch scheint heute aktueller denn je.
Führung – mit Empathie kommst du weiter
Journalismus ist (noch) immer ein Traumberuf. Hunderte von Bewerbungen für eine Festanstellung seien keine Seltenheit. Doch der hart umkämpfte Markt um Talente trete immer mehr zum Vorschein. Bei Stellenbesetzungen mit spezifischer Fachexpertise und abseits der Grossstädte werde dies besonders deutlich.
Die Pandemie-Monate haben das Konzept «Arbeit» gemäss Konrad Weber bei vielen Menschen auf den Kopf gestellt: Plötzlich wurden die enormen Möglichkeiten an Freiheit, Flexibilität und finanzieller Unabhängigkeit für viele wichtiger, als ein klassischer 9-to-5-Job. Umso zentraler würden immaterielle Anreize wie Selbstwirksamkeit, Flexibilität und empathische Führung, um künftig Talente anziehen und halten zu können.
Impact – Outcome war gestern, jetzt gehts um langfristige Wirkung
Journalismus ist der Sauerstoff jeder Demokratie. Doch was, wenn der Sauerstoff seine Wirkung nicht entfalten kann? «Während in den letzten Jahren vor allem ‹immer mehr› das Credo war – mehr Output, mehr Reichweite, mehr Klicks – benötigen wir in naher Zukunft vor allem eines: mehr langfristige Wirkung», schreibt Weber weiter.
Durch die Entwicklung regelmässiger Gewohnheiten wird die Loyalität und vor allem auch das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzern gestärkt. Nur so könne langfristig eine echte Bindung mit Wirkung erzielt werden. Doch das brauche Zeit. Mehr als je zuvor bedeute dies eine Investition in echtes Community-Management. Und das geht weiter als «nur ein paar lustige Social-Posts zu veröffentlichen und situativ einige User-Kommentaren zu melden».
Diversität – mehr als nur ein Gendersternchen
«Während im vergangenen Jahr der Streit über die Daseins-Berechtigung eines Sternchens in der Orthographie erst recht eskalierte, sollten wir den Fokus im neuen Jahr wieder auf das echte Anliegen hinter dem Sonderzeichen setzen», so Weber. Und da überwiege der Fakt, dass in der Medienberichterstattung, aber auch in den Medienhäusern noch immer eine männliche Überrepräsentation vorherrsche.
Das führe nicht nur dazu, dass Frauen im Journalismus weniger sichtbar seien. Vielmehr würden ganze Gesellschaftsteile in der Medienberichterstattung kaum Gehör oder Aufmerksamkeit erhalten. Da diese unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen auch nicht Teil der Medienorganisationen seien, könne auch keine Personalisierung – im Sinne der Vermittlung von Inhalten über starke Persönlichkeiten – stattfinden. 2022 biete die Chance, dieses «doppelte Eigengoal» bestmöglich zu verhindern.
Produktentwicklung – das neue Rückgrat des Journalismus
Wer Journalismus mit Sichtbarkeit, Wirkung und finanziellem Ertrag anbieten will, brauche dringend Know-How in der Produktentwicklung. Das sei zwar nicht neu, scheine aber in vielen Medienhäusern noch immer nicht gelebt zu werden. Diese Produkte-Fachexpertinnen und -Fachexperten sollten in der Lage sein, starke kommunikative und ethische Fähigkeiten mit technologischem Verständnis zu verbinden.
Sie würden wissen, wie sich Elemente digitaler Produkte auf die Verbreitung von Informationen und das Engagement des Publikums auswirken würden. Doch wo lassen sich solche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden? Und sind Journalimsus-Schulen bereit, um dieses Wissen ihren Studierenden mitzugeben?
Metaverse – auch 2022 noch ein Hype
Die kühnen Träume der Silicon-Valley-Pioniere sind gross: Nichts weniger als die Zukunft des Internets soll mit dem Metaverse eingeläutet werden. «Was uns als virtuelles und offenes Digital-Zuhause der Zukunft schmackhaft gemacht wird, ist in erster Linie der grosse Kampf um die künftige Vorherrschaft im Netz», so Weber weiter: «Es geht um nichts weniger als die neuen digitalen Standards, die in den nächsten Monaten definiert werden.»
Für die grossen Digital-Unternehmen stehe viel Geld auf dem Spiel: Wer Vorreiter im Metaverse sei, könne womöglich künftig über ganze Wertschöpfungskosmen entscheiden – angefangen beim Avatar, über Events hin zu eigenen Sub-Welten. Dementsprechend werde kaum in einem der zahlreichen Trend-Reports dieser grosse Hype ausgelassen.
Auch Thomas Ruck, Managing Director bei Accenture Interactive, befasste sich aktuellen persoenlich-Blogbeitrag mit dem Metaverse.
Sämtliche Quellen und Trend-Reports im Original finden Sie hier.
Konrad Weber* ist Strategieberater und Coach im Bereich der digitalen Transformation. Seit über 13 Jahren ist er als «Brückenbauer» zwischen Inhalt und Technologie tätig – vor der Zeit als selbständiger Berater als Digitalstratege bei Schweizer Radio und Fernsehen SRF mit mehrjähriger Erfahrung in Projektleitung und Strategieentwicklung.
Unterdessen begleitet er als selbständiger Berater Geschäftsleitungen von Grossunternehmen bis hin zu Startups bei der Entwicklung neuer Strategien und begleitet Teams und Organisationen bei tiefgreifenden Veränderungen. Aktuell berät Weber unter anderem in der Schweiz das zehnsprachige Medienhaus SWI swissinfo.ch, die regionale Mediengruppe Saint-Paul sowie in Deutschland den Südwestrundfunk und den Rundfunk Berlin-Brandenburg in strategischen Themen. Nebenbei unterrichtet er in der Schweiz und in Deutschland an verschiedenen Hochschulen in den Bereichen Digitaljournalismus, Innovationsmethoden und Strategieentwicklung.