21.11.2002

Schweizerische Nationalfond-Studie

Eigenleistungen in den Medien gering

Je kleiner das Medium, desto mehr Übernahmen.

Eine Studie des Schweizerischen Nationalfonds zeigt, dass Massenmedien die Realität meist nicht direkt abbilden, sondern Themen, Formulierungen und Bewertungen aus vorhandenen Texten übernehmen. Dabei gilt: Je kleiner das Medium, desto eher.

Journalistische Beiträge in Presse, Radio und Fernsehen sind nur selten von einer Person geschrieben, obwohl die Namensnennung des Autors, der Autorin dies nahelegt. Journalistische Texte sind vielmehr das Ergebnis einer Montage verschiedener bereits vorhandener Texte. Dabei werden nicht nur Themen und Formulierungen übernommen, sondern auch Bewertungen und Gewichtungen. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung des Schweizerischen Nationalfonds. Sie wurde im Rahmen des Schwerpunktprogramms "Zukunft Schweiz" am deutschen Seminar der Universität Zürich unter der Leitung von Harald Burger durchgeführt.

Quellen nicht deklariert

Für ihre Studie analysierten die Autoren 3200 Medientexte zu den Themen "Schweizer Sozialwerke" und "Gentechnologie" und verglichen sie miteinander. Bei den meisten Texten war ein Autor oder eine Autorin angegeben, zumindest mit einem Kürzel, und auch die Zitate waren, wo sie vorkamen, als direkte Rede markiert und zugeordnet. Allerdings enthielten fast alle der analysierten Texte zusätzliche sogenannte intertextuelle Textelemente. Der Begriff Intertextualität kommt aus den Literaturwissenschaften und bedeutet, dass sich ein Text wiederholt. Diese intertextuellen Elemente beruhten meistens entweder direkt oder indirekt auf Öffentlichkeitsarbeit, stammten aus Communiqués, Medienkonferenzen oder Interviews, also aus dem Public Relation-System im weitesten Sinne. Diese Textelemente waren aber jeweils nicht als solche deklariert. Trotz Namensnennung ist ein journalistischer Text, und dazu gehören ebenfalls Radio- und Fernsehbeiträge, daher meistens ein Werk mehrerer Personen, auch wenn das nicht transparent wird. Sehr deutlich war das auch bei Agenturmeldungen festzustellen, die oft nur leicht umformulierte und gekürzte Versionen von Medienmitteilungen waren.

'Bedenklich'

Dabei werden nicht nur Formulierungen übernommen, ohne die Quelle anzugeben, sondern auch Bewertungen und Gewichtungen. Zwar werden explizite Bewertungen - Aussagen, die sehr deutlich in die eine oder andere Richtung weisen - in der Regel weggelassen. Implizite Bewertungen dagegen, die subtiler daherkommen, bleiben stehen. Das gilt grundsätzlich für alle betrachteten Medien, doch für kleinere Zeitungen oder Sender eher als für grössere. Das liege daran, dass die Kleineren häufiger Agenturmeldungen übernehmen, sagt Martin Luginbühl, einer der Autoren der Studie. Doch in der Tendenz werden Bewertungen bei allen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern übernommen, auch bei den grossen. Die Eigenleistungen der Redaktionen, so das Fazit der Studie, sei erstaunlich gering. Diese Einschätzung bezieht sich sowohl auf die Themenfindung, die Recherche, die Formulierung als auch auf die Bewertung. Journalistische Beiträge sind demnach meistens keine eigenständige Arbeit und bilden nicht die Wirklichkeit direkt ab, wie sie das oft zu tun vorgeben, sondern beruhen auf anderen, bereits vorhandenen Texten. Sie sind ein "Patchwork aus verschiedenen Realitäten", wie die Autoren der Studie betonen. Das PR-System, das diese Texte produziert, bestimmt in hohem Masse, über welche Themen die Medien berichten und wie sie sie bewerten und gewichten, eine Tatsache, die Martin Luginbühl als "bedenklich" und "brisant" einstuft.

Extremer Zeitdruck


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