Herr Wälty, Lohn nach Klickzahlen: Können die 15 Newsexpress-Mitarbeiter ihre Miete jetzt nur noch zahlen, wenn sie gut titeln?
Die Lohnrelevanz ist gering. Das Ganze ist zudem ein Versuch mit beschränkter Dauer. Nach dessen Ablauf setzen wir uns hin und machen die Auswertung.
Ab welcher Klickzahl gibt es einen Bonus?
Die Höhe des Bonus bewegt sich im Bereich von ein paar hundert Franken pro Quartal, die übrigens immer zum bisher bestehenden Lohn hinzukommen. Er kommt sowohl dem Team als Ganzes wie auch den drei besten Textern zu Gute.
RTS La1ère berichtete am Donnerstag, es würde auch die Menge der produzierten Artikel honoriert.
Das exakte Gegenteil ist richtig. Es soll weniger produziert werden, dafür überlegter ausgewählt und sorgfältiger aufbereitet.
Welcher Grundgedanke steckt hinter der Neuerung?
Das Team des NXP arbeitet in der Hauptsache mit Agenturen. Mit neutral getextetem, nüchternem Rohmaterial. Nun besteht die Aufgabe des NXP-Redaktors darin, diesen Rohstoff zu veredeln. Und zwar so, dass der Leser Wertigkeit, Relevanz und Bedeutung eines Themas für sein eigenes Leben erkennt. Diesen Veredelungsprozess möchten wir mit der Massnahme in diese Richtung fördern.
Ein Klick heisst allerdings nicht unbedingt, dass der Nutzer den Text auch gelesen hat.
Bevor etwas gelesen werden kann, muss es erst angeklickt werden. Letzteres können wir messen. Und das Leserverhalten kann wiederum stark dadurch beeinflusst werden, wie man ein Thema aufzieht. Das ist ein überaus kreativer Vorgang und das Grossartige dabei ist: Das Bessere ist immer messbar unterscheidbar vom Guten. Natürlich wissen wir nicht mit Sicherheit, ob ein Text nach dem Klick auch wirklich gelesen wird. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass ein ungeklickter nicht gelesen worden sein kann.
Gibt es konkrete Zielsetzungen für die Perfomance-Verbesserung vom Newsexpress (NXP)?
Ja, wir haben Langzeitmessungen durchgeführt und die Entwicklung analysiert. Daraus haben wir konkrete Ziele abgeleitet. Die Wette besteht darin, dass wir glauben, diese mit dem Massnahmenpaket zu erreichen.
Wenn sich ein Journalist zwischen einer News über einen wichtigen Beschluss der Ständeratskommission und einer Haifisch-Attacke in Australien entscheiden muss, wird er wohl letztere auswählen. Er verdient dann wahrscheinlich mehr. Ist das in Ihrem Sinn?
Da sind wir genau beim Punkt. Wieso liest denn der Leser lieber über die Haifisch-Attacke? Weil man sich bisher viel zu wenig Gedanken gemacht, wie man ihm den Kommissionsbeschluss schmackhaft macht. Ein journalistisches Totalversagen im Grunde. Denn der Beschluss der Fernmeldekommission, nein zur No-Billag-Initiative zu sagen, ist logischerweise für den Leser als Gebührenzahler und TV-Konsument relevanter als die Haifisch-Attacke in Australien. Unsere Aufgabe besteht nun genau darin, diesen Kommissionsbeschluss so zu verkaufen, dass sich dem Leser eben diese existierende Relevanz für sein eigenes Leben erschliesst.
Werden die Mitarbeiter von einander wissen, wer wie gut performt? Der interne Hahnenkampf ist da ja vorprogrammiert.
Wer glaubt, Journalismus sei frei von Gockelei, dem möchte ich eine kurze Twitter-Safari empfehlen – die Verbalkeule sicherheitshalber immer in Griffnähe. Und ja, wieso eigentlich nicht? Ein wenig Sportsgeist kann der an sich eher trockenen Sache kaum schaden.
Die Newsexpressler produzieren sda-Meldungen und durchforsten das Netz nach möglichen Geschichten. Vor allem bei letzterem ist Vorsicht geboten. Stichwort: Fake News. Wer kontrolliert bei euch, ob die Fakten stimmen?
NXP produziert zwei bis drei Scout-Storys pro Tag, üblicherweise auf Basis etablierter und vertrauenswürdiger Quellen. Bisher gabs noch nie Probleme.
Sehen Sie keine andere Möglichkeit, Mitarbeiter zu spritzigen Titeln zu motivieren? Man könnte vielleicht die Arbeitsbedingungen verbessern, oder Perspektiven schaffen.
Ich glaube, die Bedingungen für die Redaktoren werden genau dadurch verbessert. Ihre Kreativität wird gefördert, weil sie nun gefragt ist. Sie haben mehr Autonomie beim Auswählen der Themen und beim Texten.
Der Newsexpress soll, und das ist die zweite wichtige Änderung, unabhängiger von «20 Minuten» und Tagi sein. Was heisst das konkret?
Das heisst, er ist freier bei der Themenwahl und der Gestaltung der Texte. Das Ziel besteht darin, die Agilität zurückzugewinnen, die wir im Abstimmungsaufwand zwischen den beiden grossen Redaktionen Newsnet und 20 Minuten teils etwas eingebüsst haben.
Die Blattmacher der beiden Redaktionen müssen Meldungen vom Newsexpress neu fix übernehmen. Inwieweit haben sie die Möglichkeit, angelieferte Titel und Lead im Sinn des eigenen Portals anzupassen?
Die Idee des Newsexpress besteht in der Lieferung der sogenannt nicht-differenzierenden Inhalte. Das heisst Inhalte, die zur allgemeinen News-Grundversorgung gehören. Ihre Identität bezieht eine Site über die Leistung der titelspezifischen Redaktion. Wir reden bei 20 Minuten und Newsnet zusammen von mehreren hundert Journalisten. Ich bin überzeugt, dass diese Identität damit weiterhin gewährleistet werden kann.
Das heisst also es gibt keinen Spielraum?
Die Texthoheit liegt beim NXP-Team. Aber logischerweise ist ein Blattmacher herzlich eingeladen, sich zu melden und einen Titel zu diskutieren, wenn er eine bessere Idee hat. Das soll ein Wettbewerb der guten Ideen sein. Und der NXP-Mitarbeiter wirds ihm danken.
Bei der Einführung des Newsexpress gab es vor allem vom «Tages-Anzeiger» Widerstand. Man habe im Vergleich zu 20 Minuten andere Ansprüche bei Selektion und Umsetzung. Ich nehme an, die Freude bei der Tagi-Redaktion über die Aufwertung des Newsexpress hält sich in Grenzen.
Die ganze Geschichte läuft jetzt schon fast drei Wochen. Praktisch reibungslos. Ich staune fast ein wenig. Und ja klar haben 20 Minuten und Tages-Anzeiger andere Ansprüche. Aber da sind wir wieder bei der Differenzierung. Für diese Differenzierung sind die Redaktionen selbst zuständig. Und wenn der Effekt des neuen NXP darin besteht, dass mehr Menschen mehr Texte lesen, dann kann niemand ernsthaft etwas dagegen haben.
Werden die Redaktionen von «20 Minuten» und «Tages-Anzeiger» überhaupt noch einen sda-Zugang haben?
Ja, natürlich.
Gleichzeitig führen Sie ein neues Messtool ein. Das Demoskop, wie Sie es nennen, zeigt Anteil Geschlecht, Altersstruktur und Bildung pro Artikel. Welche Vorteile entstehen daraus für die Redaktion?
Nun, das Demoskop ist noch längst nicht einsatzbereit. Leider. Was wir bis jetzt gemacht haben ist ja eine rein quantitative Betrachtung, was mit dem Demoskop möglich sein wird, ist die qualitative Analyse. Wir werden also die Frage beantworten können: Wer liest was? Das ist natürlich unheimlich wertvoll, wenn man glaubt, für eine bestimmte Gruppe zu publizieren. Beispielsweise haben wir festgestellt, dass Frauen weniger Texte anklicken als Männer. Man könnte daraus die Hypothese ableiten, dass sie weniger Inhalte finden, die sie interessieren. Was wiederum die Frage nach der Themensetzung oder vielleicht sogar nach dem Frauenanteil auf der Redaktion aufwirft.
Woher haben Sie die Information über die Leser?
Die stammen von den Log-Ins auf der 20 Minuten-App.
Der Newsexpress kämpft mit einer starken Fluktuation, weil der Job für viele nur der Einstieg ist (persoenlich.com berichtete). Wie gehen Sie dagegen vor?
Die NXP-Leitung mit Rupen Boyadjian und Nadine Wozny haben das Team in den letzten 12 Monaten prima stabilisiert. Die Zeit davor hingegen war ziemlich holprig. Das stimmt. Und ja, es ist wohl für viele ein Einstieg in das Geschäft. Andererseits aber haben wir auch Teammitglieder über 40. Aber es wäre natürlich ideal, man könnte verschiedene Tätigkeits-Profile entwickeln und so Abwechslung erzeugen. Das wäre sicher eine Bereicherung.
Wäre es denkbar, dass Newsexpress in Zukunft auch andere Tamedia-Titel beliefert oder gar in die Kooperation mit der «Süddeutsche» integriert wird?
Ersteres wird mit grosser Wahrscheinlichkeit passieren. Das zweite würd mich eher erstaunen.
Das Interview wurde schriftlich geführt.
KOMMENTARE
25.02.2017 20:36 Uhr
25.02.2017 15:22 Uhr
24.02.2017 21:18 Uhr
24.02.2017 19:23 Uhr
24.02.2017 17:37 Uhr
24.02.2017 15:32 Uhr
24.02.2017 09:04 Uhr