13.05.2013

TVO

"Einmal mehr ist der Bundesrat auf die Salamitaktik der SRG hereingefallen"

TVO hat sich neu erfunden: Der zur NZZ-Gruppe gehörende TV-Sender startete am Montagabend nebst brandneuen Sendungen einen frischen Werbeauftritt. Was haben Arnold Schwarzenegger, Ché Guevara oder 50 Cent mit dem Ostschweizer Fernsehen gemeinsam? Senderchef André Moesch erklärt es im Interview mit persoenlich.com. Weiter spricht er über die Auswirkungen des Quoten-Debakels, die Öffnung des Internets für die SRG und er sagt, wie er die erstmals zugesprochenen 2'323'210 Franken Konzessionsgelder investieren will.
TVO: "Einmal mehr ist der Bundesrat auf die Salamitaktik der SRG hereingefallen"

Herr Moesch, der Claim Ihrer neuen Werbekampagne lautet: "Schon viele haben sich erfolgreich neu erfunden". Damit kehren Sie dem bisherigen TVO ausdrücklich den Rücken. War das bisherige TVO-Programm tatsächlich so kläglich?
Keineswegs, die TVO-Crew hat schon bisher ein tolles Programm gemacht, vor allem, wenn man bedenkt, unter welchen widrigen Umständen. Schliesslich mussten wir vier Jahre lang vor Gericht um unsere Konzession kämpfen und verloren dabei Millionen an Gebührengeldern – das ging an die Existenz. Jetzt ist die Konzession endlich definitiv und damit auch Zeit für den längst überfälligen Neustart.

Ob sich beispielsweise Arnold Schwarzenegger tatsächlich "erfolgreich neu erfunden" hat mit seinem Schritt in die Politik, kann bezweifelt werden. Man denke an das Festhalten an der Todesstrafe oder an seine fatale Budgetpolitik. Warum haben Sie sich trotzdem für das Schwarzenegger-Sujet entschieden?
Eine Prise Provokation muss sein in der Werbung, sonst schaut ja keiner hin. Wir werben neben Schwarzenegger auch mit dem Revolutionär Che Guevara oder dem Rapper 50 Cent – beides durchaus umstrittene Figuren. Aber alle haben sich in ihrem Leben mit Überzeugung und grossem Willen "neu erfunden", zum Teil sogar mehrfach. Unsere Botschaft ist: Man kann sich neu erfinden, wenn man wirklich will. Und jetzt erfindet sich eben TVO neu.

Erst Schauspieler, dann Gouverneur von Kalifornien: Das Plakat mit Arnold Schwarzenegger ist eines von fünf Sujets der Werbekampagne.

 

Die Werbekampagne soll auf die neuen Sendungen "60 Minuten" und "Kompakt" hinweisen. Diese behandeln "alles, was die Ostschweiz interessiert" (persoenlich.com berichtete). Was genau ist revolutionär daran?
So hat bisher noch kein Regionalsender in der Schweiz Fernsehen gemacht. Wir bringen jeden Tag ein 60-minütiges, live produziertes, doppelmoderiertes Magazin mit News, Talks und Unterhaltung. Abgesehen von den Fixpunkten "News" zu Beginn der Sendung und "Kompakt" zum Schluss erfinden wir die Sendestruktur jeden Tag neu, je nach Aktualität. Das kann vom Streitgespräch bis zur grossen Reportage gehen. Wir sind überzeugt: So muss Regionalfernsehen sein.

Sie haben ein neues Studio gebaut und eines der "modernsten Broadcastsysteme der Schweiz" angeschafft, wie es in einer Mitteilung heisst. Wie viel haben diese Erneuerungen gekostet?
Wir investieren über 1,5 Millionen Franken in die technische Erneuerung.

Das frisch gestaltete Studio und neue Signete sollen den Wandel auch äusserlich zeigen.

Das Moderationsteam von "60 Minuten" mit Tom Bächle, Anita Cassese, Dani Sager (von links, vordere Reihe), Linda Fäh, Andrea Huser, Claudia Eggenberger, Natascha Verardo (hintere Reihe).

Für dieses Jahr kann TVO maximal 2‘323‘210 Franken Konzessionsgelder beziehen (20 Prozent davon werden 2014 ausbezahlt, sofern die Bedingungen dazu erfüllt sind). Wie werden Sie dieses Geld investieren?
Dieses Geld geht ausschliesslich ins Programm. Wir haben die Redaktion nochmals um fünf Stellen aufgestockt, und – wie gesagt – in die Technik investiert. Lassen Sie mich noch etwas Generelles zur Finanzierung der Regionalfernsehen in der Schweiz sagen: In den kleinen Konzessionsgebieten, welche die Politik für die Regionalen definiert hat, lässt sich Regionalfernsehen unmöglich nur über Werbung finanzieren. Es braucht Gebührenanteile. Wir sind sehr froh über die 2,3 Millionen, die TVO nun erhält. Aber man darf nicht vergessen: Das sind nur 0,2 Prozent des Gebührentopfes, eigentlich ein Trinkgeld angesichts der SRG-Milliarde. Vielleicht sollte sich die Politik über dieses Verhältnis wieder einmal Gedanken machen.  

Werden Sie nun auch höhere Löhne zahlen können?
TVO hat als Teil der NZZ-Gruppe schon immer anständige Löhne bezahlt und wird das auch in Zukunft tun. Detailzahlen geben wir aber nicht bekannt.

Mit rund 4'500 Franken monatlich steigt man ein bei TVO. Rund 5’000 Franken verdient ein Redaktor mit drei bis fünf Jahren Berufserfahrung bei 100 Prozent. Gibt es Abstufungen je nach Ausbildung, resp. vorhandener Berufserfahrung?
Wie gesagt, ich werde Ihnen hier keine Lohnliste präsentieren. Aber nur so viel: Die Zahlen, die sie nennen, sind so ziemlich die Mindestlöhne. Je nach Ausbildung und Erfahrung kann jemand bei uns auch deutlich mehr verdienen.

Der Bundesrat hat der SRG kürzlich mehr Freiheiten im Internet zugestanden. Wie betrifft dieser Entschied TVO – je nach dem im negativen, allenfalls im positiven Sinne?
Positive Beispiele? Die dürfen Sie von mir nicht erwarten! Einmal mehr ist der Bundesrat auf die Salamitaktik der SRG hereingefallen, die ihre ungeheure Machtposition Schritt für Schritt ausbaut. Jetzt kommt noch das Internet dazu und die SRG wird diesen Vektor nutzen, um beispielsweise das bisherige Verbot regionaler TV-Angebote zu umgehen. Mit Livestreams und regionenbezogenen Suchfunktionen etc. wird sie jetzt auch noch den Regionalstationen Konkurrenz machen.

Noch immer darf Mediapulse keine Zahlen über die TV-Nutzung bekannt geben. Telesuisse hat den Ausstieg bei Mediapulse angedroht. Wie gross ist der Schaden durch die ausbleibenden TV-Quoten?
Es ist höchst bedauerlich und auch gefährlich für die TV-Branche in der Schweiz, dass wir momentan keine Quotenwährung haben. Allerdings trifft dies die grösseren Sender weitaus stärker als die regionalen, da wir in der Beziehung zu unseren regionalen Kunden weniger auf Zahlen, als auf die Nähe und die persönliche Beziehung setzen. Dennoch: TVO prüft derzeit – wie die meisten Regionalsender – Alternativen zum neuen Messsystem.

Sie erwägen also einen Ausstieg. 
Ich denke, dass wir noch im Mai oder spätestens im  Juni soweit sind.

Kürzlich wurde bekannt, dass sich die Vermarkter-Branche unter Führung von Goldbach Media und Publisuisse die Quoten künstlich anheben wollte. Hatten auch Sie sich, als Präsident von Telesuisse, für diese Anhebung ausgesprochen? 
Die Idee war eine andere: Da sich die neuen Zahlen sehr grundlegend von den alten unterscheiden, wollte man eine Übergangswährung schaffen, um das Vertrauen aller Marktteilnehmer wieder herzustellen. Telesuisse war daran allerdings nur am Rande beteiligt.

Die TVO-Redaktion (ca. 30 Vollzeitstellen) ist im gleichen Raum wie diejenige von Radio FM1 (ca. 23 Vollzeitstellen) angesiedelt. Inwiefern haben Sie in den letzten Jahren crossmedial zusammengearbeitet?
TVO und FM1 sind bereits seit fünf Jahren im selben Gebäude. Die Redaktionen arbeiten allerdings unabhängig voneinander, nur schon wegen der grundlegend unterschiedlichen Produktionsrhythmen. Da es sich um kleine Teams handelt, gibt es auch die Möglichkeit von Fachredaktionen, wie es beispielsweise die SRG kennt, nicht. Wir profitieren vor allem in den Bereichen Technik, Verkauf und Administration voneinander.

Inwiefern ist Print – also das "St.Galler Tagblatt" – mit einbezogen?
Hier gibt nur wenige Berührungspunkte, beispielsweise bei der Ausbildung.

Trotz guter Voraussetungen ist Crossmedialität demnach gar kein so wichtiges Feld für Sie. Gibt es für Sie zu viele Nachteile durch die crossmediale Organisation?
Wir nutzen die Zusammenarbeit dort, wo sie sich ergibt und Sinn macht. Insofern gibt es keine Nachteile.

Am Montagabend wird "60 Minuten" erstmals ausgestrahlt. Damit bleibt Raum für neue Projekte. Was werden Sie als nächste Neuerung anpacken?
Jetzt packen wir zuerst mal das erste "Gschänkli" fertig aus, bevor wir das nächste aufreissen! Ein neues Programmkonzept wie "60 Minuten" braucht eine längere Optimierungsphase, bis alles stimmt. Wir lassen das erst mal reifen, bevor wir das nächste Projekt anpacken.

Interview: Edith Hollenstein


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