16.09.2004

Roger Blum

Empfehlung, den Arsch zu heben

Diagnose der Schweizer Medienlandschaft.

Roger Blum, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Bern, fragt sich in der aktuellen WOZ, welche Therapie den Schweizer Medien verschrieben würde, wenn sie sich bei einem Artz melden müssten. Die Diagnose würde gemäss Blum die folgenden Befunde enthalten:

Im Schweizerischen Mediensystem gibt es noch immer eine breite Grundversorgung. Es besteht auch eine Vielfalt von Angeboten und Meinungen, und die wirklich relevanten sind unter den verbreiteten Informationen weiterhin im Übergewicht. Die Boulevardisierung sei von den Scheizer Medien nur zum kleinsten Teil mitgemacht worden. Die Qualität der Journalisten sei sogar gestiegen; die jungen Medienleute arbeiten professioneller und seien technisch versierter.

Es gebe aber auch negative Befunde, so Blum weiter. Im Schweizer Journalismus werde zu viel abgeschrieben und zu wenig wirklich gründlich recherchiert. Der Zugriff auf Daten per Mausklick verleite die Journalisten dazu, auf dem Bürostuhl zu sitzen und nicht mehr hinauszugehen: "Wenn sie den Arsch nicht heben, spüren sie 'la Suisse profonde' nicht mehr", so Blum in der WOZ.

Zudem werde zu viel Belangloses wiedergekäut. Der Mediendiskurs bewege sich oft im Bereich der Lappalien. Auch die Anzahl Windfahnen im Schweizer Journalismus sei zu gross. Mal sei man ausländerfreundlich und zwei Monate später das Gegenteil, mal finde man den EU-Beitritt gut, dann sei man wieder skeptisch.

Als letztes gibt Blum zu bedenken, dass zu viel nur in der Gegenwart gedacht werde, darum würden soviele Vorgänge als "einmalig", "wahnsinnig", "sensationell" und "noch nie dagewesen" eingestuft. Es brauche aber nicht nur Quer-, sondern auch Längsvergleiche. Medienschaffende müssten die Geschichte kennen: "Journalismus ohne Geschichtsbewusstsein ist Fast-Food-Journalismus."


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