16.08.2013

Le Matin

"Es ist wichtig, dass man sich wehrt!"

Hausdurchsuchung bei einem Westschweizer Journalisten: Ein Staatsanwalt, vier Polizisten und ein Informatiker tauchten am Dienstag völlig unerwartet um 6.40 Uhr beim Wohnhaus von Ludovic Rocchi auf. Weil der "Le Matin"-Journalist nicht zuhause war, sondern in Locarno, wo er über das Filmfestival berichtete, beschlagnahmte die Polizei kurzerhand die Computer seiner Frau. Kurze Zeit später muss Rocchi seinen Laptop der Tessiner Polizei übergeben. Dass die Polizei bei Journalisten derart heftig vorgeht, sucht in der Schweiz seinesgleichen. "Le Matin" und die Gewerkschaft impressum sprechen von einer "schwerwiegenden Beeinträchtigung der Pressefreiheit". Im Gespräch mit persoenlich.com beschreibt Ludovic Rocchi seine Sicht der Dinge.
Le Matin: "Es ist wichtig, dass man sich wehrt!"

Herr Rocchi, Ihre Recherche und die Veröffentlichung einer Serie von Artikeln über einen Professor der Universität Neuenburg führte zu einer Anzeige, worauf der Staatsanwalt eine Hausdurchsuchung bei Ihnen angeordnet hatte. Diese fand statt, als Sie nicht daheim, sondern am Filmfestival in Locarno waren. Denken Sie, dass die Justiz die Durchsuchung ganz bewusst während Ihrer Abwesenheit durchgeführt hat?
Nein, das ist vermutlich nicht der Fall, denn die nicht sehr effiziente Arbeitsweise der Polizei, deutet eher darauf hin, dass die Beamten überrascht waren, nicht mich, sondern nur meine Frau angetroffen zu haben. Sie kamen ja am Dienstagmorgen früh und stellten fest, dass mein Laptop nicht da war, weil ich ihn nach Locarno mit genommen hatte. Daher befragten Sie meine Ehefrau – übrigens ohne ihr zuvor ihre Rechte zu erklären. Sie behandelten sie wie eine Verdächtige. Sie nahmen ihren Computer mit. Anschliessend kontaktierte die Polizei den Chef der Sicherheitspolizei in Locarno. Um etwa 9.30 Uhr klingelte die Tessiner Polizei an meiner Hotelzimmertüre, um meinen Geschäfts-Laptop zu beschlagnahmen.

Waren Sie vorgewarnt?
Natürlich hatte mich meine Frau am Dienstagmorgen über die Vorfälle zu Hause informiert. Als Journalist weiss ich, dass ich Rechte, aber auch Pflichten habe. Im Bestreben, meine Quellen zu schützen, habe ich meinen Laptop speziell gut gesichert, bevor ich ihn dann der Polizei übergeben musste.

Das konfiszierte Material darf nun vorerst nicht gesichtet werden.
Nein. Dies konnte der Anwalt von "Le Matin" mit der Polizei aushandeln. So wurde am Nachmittag schliesslich die Versiegelung des Materials erreicht. Die Justiz darf das Material also vorerst nicht auswerten. Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, dass wir dies erreicht haben, denn das Redaktionsgeheimnis, welches in der Verfassung verankert ist, muss unbedingt gewahrt bleiben.

In der Anklageschrift werden Ihnen üble Nachrede, Verleumdung und Verletzung des Amtsgeheimnisses vorgeworfen. Warum genau denken Sie, griff der Staatsanwalt zu einem so drastischen Mittel? Eine Aufhebung des Quellenschutzes sieht das Gesetz nur vor, wenn Leib und Leben bedroht ist oder wenn es um eine gravierende Straftat geht.
Wahrscheinlich geht er von der Annahme aus, dass es sich um eine Intrige handelt, der Einhalt geboten werden muss. Ich nehme an, er ist beeinflusst durch die Kläger, also durch den Professor und seinen Anwalt, die von einem Komplott sprechen. Und es kommt nicht von ungefähr, dass – wie bei mir – bei einem Universitätsprofessor ebenfalls eine Hausdurchsuchung durchgeführt wurde. Natürlich ist diese Theorie von einem Komplott aber komplett falsch.

Ihre Artikel hätten die Unschuldsvermutung gegen den Professor verletzt, wird Ihnen vorgeworfen. Was sagen Sie dazu?
Gemeinsam mit meinem Anwalt werde ich diese Gesetzesverletzung anfechten und öffentliches Interesse geltend machen. Mehr kann ich momentan nicht dazu sagen.

Dieser Fall ist ein Novum in der Schweiz. Niemand kann sich an einen ähnlichen Fall erinnern.
Ja, das sagen die Experten. Deshalb wurde auch breit darüber berichtet, nicht nur in der Romandie sondern auch in der Deutschschweiz und in Ausland fand der Fall Beachtung. Es ist klar: Dieser Fall schockiert die Journalisten. Alle, die demokratisch eingestellt sind, sehen das Berufsgeheimnis in Gefahr. Es ist wichtig, dass man sich wehrt! Investigative Recherchen sind sehr wichtig für unsere Demokratie. Wir können uns doch nicht damit abfinden, nur noch Artikel über den Regen, die Hitze und Tiere schreiben zu dürfen!

Wie geht es nun weiter in diesem Fall?
Mein wichtigstes Anliegen ist es, vor einem neutralen Gericht die Hausdurchsuchung anfechten zu können. Zudem muss verhindert werden, dass die Versiegelung der beschlagnahmten Computer und Dokumente aufgehoben wird.

Interview: Edith Hollenstein, Bild: Yvain Genevay (Le Matin)


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