Herr Steiger, am 1. April trat das revidierte Urheberrechtsgesetz (URG) in Kraft. Flattern seither bei den Medien vermehrt Abmahnungen ins Haus?
Ich habe den Eindruck, dass es seit dem 1. April 2020 vermehrt Bilder-Abmahnungen in der Schweiz gibt. Vor allem Abmahnungen der Agentur Keystone-SDA begegnen mir momentan sehr häufig. Das könnte daran liegen, dass Fotografien, wie sie eine Bildagentur üblicherweise vertreibt, erst durch das revidierte Urheberrechtsgesetz geschützt sind. Man spricht vom sogenannten Lichtbildschutz. Bilder-Abmahnungen gehen übrigens nicht nur an Medien, sondern auch an Agenturen, Bloggerinnen, Influencer, Veranstalter und viele weitere Betroffene. Bei den Medien gibt es allerdings immer wieder besonders dreiste Urheberrechtsverletzungen.
Was ist mit Bildern, die bereits vor dem 1. April publiziert wurden?
Die Verwendung von Bildern, die vor dem 1. April 2020 in der Schweiz noch nicht urheberrechtlich geschützt waren, darf vollendet werden. Ein Bild, das zum Beispiel am 31. März 2020 auf einer Website veröffentlicht wurde und nun unter den Lichtbildschutz fällt, darf veröffentlicht bleiben. Hingegen darf es ohne Berechtigung nicht erneut veröffentlicht werden. Quellenangaben waren und sind unabhängig davon bei der Verwendung von Bildern immer empfehlenswert. Gleichzeitig genügt eine Quellenangabe allein nie, um ein urheberrechtlich geschütztes Bild verwenden zu dürfen. Das gilt auch für das deutsche Recht, auf das sich viele Abmahnungen berufen.
Was braucht es nebst der Quellenangabe ausserdem?
Es braucht einen rechtlichen Grund, ein Bild verwenden zu dürfen. Ein möglicher Grund ist eine entsprechende Lizenz, häufig verbunden mit der Verpflichtung, diese zu nennen und zu verlinken. Ein anderer möglicher Grund ist, dass ein Bild nicht mehr urheberrechtlich geschützt ist oder vom Urheber zur freien Verwendung in die Public Domain entlassen wurde.
«Es schafft einen wirtschaftlichen Anreiz für Möchtegern-Fotografen»
In Deutschland gibt es ja schon länger eine eigentliche Abmahnindustrie. Wie funktioniert die Masche?
Nach deutschem Recht können Anwaltskosten aussergerichtlich eingefordert werden. Ausserdem neigt die deutsche Rechtsprechung traditionellerweise dazu, fiktive Schadenersatzbeiträge für Urheberrechtsverletzungen zu sprechen. Beides schafft einen erheblichen wirtschaftlichen Anreiz für Möchtegern-Fotografen und andere Abmahner sowie mit ihnen verbundene Anwälte und Dienstleister. In diesem Rahmen sind die Bilder-Plattform Flickr und die Wikipedia beliebte Abmahnfallen, weil die dort verwendeten Lizenzen häufig zu Fehlern bei der Bildverwendung führen.
Haben solche Abmahnungen aus Deutschland ebenfalls zugenommen, seit in der Schweiz das revidierte URG in Kraft ist?
Dafür habe ich keine Anhaltspunkte. Hingegen beobachte ich seit einiger Zeit, dass Rechteinhaber in der Schweiz versuchen, das deutsche Recht zu ihrem Vorteil zu nutzen. So kann es vorkommen, dass Abgemahnte in der Schweiz, die nach einer Abmahnung keine Zahlung an Keystone-SDA leisten, von einem deutschen Abmahnanwalt angegangen werden.
Stichwort Keystone-SDA: Kürzlich twitterten Sie, dass die Agentur ihr Bildarchiv mit «PicRights-Abmahnungen» verteidigt. Um was geht es hier?
Die Agentur Keystone-SDA monetarisiert ihr Bildarchiv seit mehreren Jahren unter anderem mit kostenpflichtigen Abmahnungen. Seit einiger Zeit erfolgen die Abmahnungen in erster Linie über PicRights in Österreich. PicRights ist auf Massenabmahnungen im grossen Stil spezialisiert und setzt auf die effiziente Abwicklung per E-Mail sowie über ein Onlineportal. Vorreiterin für solche Abmahnungen war die Bildagentur Getty Images.
Die Agentur #Keystone-SDA verteidigt ihr Bildarchiv mit #PicRights-#Abmahnungen: https://t.co/8X4o6OhwbI
— Martin Steiger (@martinsteiger) June 12, 2020
Aber eigentlich ist es ja logisch, dass man ohne gültige Bildlizenz keine Fotografien nutzen darf. Kommt das dennoch vor?
Wer eine Fotografie verwenden möchte, sollte immer wissen, wieso die Verwendung zulässig ist. Nicht jede Verwendung setzt eine Lizenz voraus. In der Schweiz sind beispielsweise Bildzitate möglich, und Medien können sich auf Schranken wie die Berichterstattung über aktuelle Ereignisse berufen. Es gibt, wie erwähnt, auch Fotografien, die nicht mehr geschützt sind, das heisst als Teil der Public Domain gemeinfrei sind. Allerdings kommt es tatsächlich häufig vor, dass Fotografien verwendet werden, ohne dass ein allfälliger urheberrechtlicher Schutz berücksichtigt wird. Es kursieren viele urheberrechtliche Irrtümer.
Wie zum Beispiel?
Dazu zählt, dass Screenshots nicht urheberrechtlich geschützt seien oder Fotografien ohne ©-Zeichen dürften beliebig verwendet werden.
«Wer eine Bilder-Abmahnung erhält, sollte diese immer sorgfältig prüfen»
Und was empfehlen Sie, wenn eine Bilder-Abmahnung ins Haus flattert?
Wer eine Bilder-Abmahnung erhält, sollte diese immer sorgfältig prüfen. Einerseits gibt es betrügerische Abmahnungen. Andererseits sind viele Abmahnungen zumindest teilweise unberechtigt oder unwirksam. Aufgrund der Prüfung kann man über das weitere Vorgehen entscheiden. Abmahner, die wirtschaftlich denken, schaffen mit vergleichsweise geringen Geldforderungen einen Anreiz, Abmahnungen nicht zu prüfen, sondern als kleineres Übel eine Zahlung zu leisten. Bei Rechteinhabern, die wir selbst vertreten, hat sich dieses Vorgehen bewährt. Ich gehe davon aus, dass Keystone-SDA mit diesem Vorgehen ebenfalls erfolgreich ist.
Sie sagen, die Bilder-Abmahnungen sollen sorgfältig geprüft werden. Wie?
Der Sachverhalt muss aufgearbeitet werden: Wie wurde das Bild verwendet? Woher stammt das Bild? Gibt es eine relevante Vorgeschichte? Bei der Überprüfung einer Bilder-Abmahnung stellt sich ausserdem fast immer die Frage, ob eine Unterlassungserklärung unterzeichnet werden soll. Gerne geht vergessen, dass die Zahlung aufgrund einer Abmahnung zwar schmerzhaft sein kann, aber die Verletzung einer Unterlassungserklärung zu einer hohen Vertragsstrafe führt. Vielfach versäumen es Abgemahnte, Bild-Dateien zu löschen und Bilder nicht bloss aus veröffentlichten Beiträgen zu entfernen. Viele Abmahnungen lassen sich ganz oder teilweise abwehren, wenn man über die erforderliche Erfahrung und das notwendige Wissen verfügt. Man kann sogar zum Gegenangriff übergehen, wie ein aktuelles Urteil zeigt, das die TX Group gegen einen bekannten deutschen Abmahner erwirkte. 20 Minuten war für die Verwendung von zehn Flickr-Bildern abgemahnt worden. Ein solcher Gegenangriff ist gegen deutsche Abmahner manchmal auch vor Gericht in Deutschland möglich, was Kosten sparen kann.
Was passiert, wenn man nicht bezahlt?
Wer weder bezahlt noch anderweitig richtig reagiert, muss mit einer einstweiligen Verfügung von einem deutschen Gericht oder sonstigen rechtlichen Schritten in Deutschland rechnen. Bei der erfolgreichen Abwehr einer Abmahnung ist es deshalb wichtig, von Anfang an richtig zu reagieren. Die immer noch häufig zu hörende Empfehlung, man solle die abgemahnten Bilder löschen und ansonsten Abmahnungen ignorieren, geht leider immer wieder schief.
Machen wir ein paar Praxisbeispiele: Nehmen wir an, ein Onlinemedium verwendet ein Bild nur für den Teaser, wo keine Quellenangabe möglich ist, im Artikel aber dann nicht mehr. Wird damit gegen das URG verstossen?
Bei Vorschaubildern gehe ich davon aus, dass auf eine Quellenangabe verzichtet werden kann, sofern diese beim eigentlichen Beitrag vorhanden ist. Zur Erinnerung: Die Quellenangabe allein genügt aber nicht, um ein urheberrechtlich geschütztes Bild verwenden zu dürfen.
Ebenfalls häufig: Ein Unternehmen schickt eine Medienmitteilung mit Bild ohne weitere Quellenangabe. Viele Medien verwenden dann das Kürzel «zVg.» (zur Verfügung gestellt). Kurz später meldet sich der Fotograf und stellt Rechnung. Wer muss bezahlen? Das Medium oder das Unternehmen, welches die Mitteilung geschickt hat?
Der Fotograf oder sonstige Rechteinhaber kann sich direkt an das Medium halten. Dieses kann danach allenfalls Regress nehmen auf das Unternehmen, das die Bilder zur Verfügung gestellt hat. Leider vergessen viele Unternehmen, Bilder von Fotografen umfassend zu lizenzieren. Ich empfehle, sich für Fotos, die man selbst erstellen lässt, die Rechte immer umfassend einräumen zu lassen.
Ist «zVg.» überhaupt noch zeitgemäss?
Die Angabe hat keine urheberrechtliche Bedeutung. Wer Fotografien verwenden möchte, sollte immer wissen, wieso die Verwendung zulässig ist. Im Zweifelsfall müssen entsprechende Abklärungen getätigt werden. «zVg.» erlaubt nicht, das Urheberrecht zu ignorieren.
«Ich entdeckte auch schon eigene Bilder»
Aber Redaktionen haben doch kaum Zeit, jeder nicht vorhandenen Quellenangabe hinterherzurennen …
Medien, die freie Bildbestände nutzen oder Bilder aus Archiven wie jenem von Keystone-SDA lizenzieren, können sich den Zeitaufwand sparen. Bei Medien ist zu beachten, dass ihr Geschäftsmodell wesentlich darauf beruht, dass ihre eigenen Inhalte urheberrechtlich geschützt sind. Insofern wäre zu erwarten, dass Medien im Umgang mit dem Urheberrecht besonders geübt sind. Der Alltag sieht anders aus. Ich entdeckte auch schon eigene Bilder, die von Schweizer Medien ohne Quellenangabe verwendet wurden.
Eine freie Bilddatenbank ist Pixabay. Dort heisst es meist, dass es für die Fotografien eine «freie kommerzielle Nutzung» gebe und «kein Bildnachweis nötig» sei. Kann man sich darauf verlassen?
Freie Bildbestände wie jene von Pixabay sind meiner Erfahrung nach sehr rechtssicher. Man kann zwar nie vollständig ausschliessen, dass ein Bild ohne entsprechende Berechtigung veröffentlicht wurde, aber solche Fälle sind selten.
Was, wenn ein Fotograf nachträglich plötzlich seine Spielregeln ändert? Kann er Forderungen geltend machen?
Nein.
Gibt es ein einfaches Patentrezept für Schweizer Medien, um in Sachen Urheberrecht nichts falsch zu machen, ohne plötzlich viel mehr für Bildrechte budgetieren zu müssen?
Wer freie Bildbestände nutzt, ist üblicherweise auf der sicheren Seite. Daneben können eigene Bilder verwendet oder Bildarchive lizenziert werden. Bei Keystone-SDA ist daran zu denken, dass sich die Agentur teilweise im Eigentum von Schweizer Medien befindet. Sinnvoll ist ausserdem, Journalistinnen und Journalisten das grundlegende Wissen über das Urheberrecht zu vermitteln. Die Kunst besteht nicht nur darin, passendes Bildmaterial effizient zu finden, sondern solches Bildmaterial auch dauerhaft rechtskonform verwenden zu können.
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22.06.2020 11:33 Uhr